„Moral und Anstand – darunter versteht jeder etwas anderes!“
Wie im Jahr zuvor wartete auch das Jahr 1973 mit gleich zwei „Schulmädchen-Report“-Fortsetzungen auf. Die Regie übernahm diesmal der Österreicher Ernst Hofbauer wieder im Alleingang, Walter Boos war nicht an „Schulmädchen-Report, 6. Teil - Was Eltern gern vertuschen möchten“, wie sich der neue Teil der pseudodokumentarischen Sexfilm-Reihe nannte, beteiligt.
Für diesen Teil entschied man sich wieder für eine Rahmenhandlung, die die einzelnen Episoden zusammenhält – und in die gewohnt markig ein Sprecher aus dem Off einführt: „Eine Flut neuen Materials ist uns zugegangen, so dass wir uns veranlasst sahen, um der Vollständigkeit der Information willen, den Schulmädchen-Report fortzusetzen!“ Verstehe: Eigentlich wollte man gar nicht mehr, doch man sah sich regelrecht gezwungen, weiterzumachen und weiterhin seriös aus dem Alltag von Pennälerinnen zu berichten – im Namen der Aufklärung und der Wissenschaft. Vor so viel Selbstlosigkeit kann man nur den Hut ziehen…
Achim (Bert Lock, „Bohr weiter, Kumpel!“) und Sybille (Sonja Jeannine, „Mannaja - Das Beil des Todes“) sind die ersten, die’s erwischt bzw. die erwischt werden, nämlich von Professor Bader, der die beiden dabei erwischt, es im Klassenraum miteinander zu treiben und daraufhin empört eine Lehrerkonferenz einberuft. Achim und Sybille werden vorgeladen – und treten selbstbewusst auf. Achims Verteidigungsrede gegen überholte Vorstellungen von Sitte und Enthaltsamkeit leitet einen Einspieler ein, der die Fummelei innerhalb der Schulklasse während einer Lehrfilmvorführung zeigt. Daraufhin folgt die erste Episode:
Ingrid (Marie Ekorre, „Wovon die Frauen träumen - Der Orgasmologe“) ist verknallt in ihre Lehrerin Fräulein Lensing (Shirley Corrigan, „Blindman, der Vollstrecker“) und lädt sich bei ihr ein. Sie reißt ihr das Kleid auf, schmiegt sich an ihre nackte Brust und beteuert, sie zu lieben. Zunächst wird sie zurückgewiesen, doch schließlich droht sie mit Selbstmord und erreicht auch fast ihr Ziel, doch Fräulein Lensings Freund (Felix Franchy, „Schüler-Report - Junge! Junge! Was die Mädchen alles von uns wollen!“) macht einen Strich durch die Rechnung. Nicht nur, dass sich Frl. Lensing mit einer spießigen Hauswirtin herumplagen muss, sie hat sich auch noch einen verheirateten Mann angelacht: Herrn Dornseif, ebenfalls Lehrkörper. Ingrid stellt den beiden nach und beobachtet sie beim Sex im Freien sowie im Hotel. Eine Rückblende zeigt Ingrids Entjungferung durch den rabiaten Klaus (Sascha Hehn, „Die Klosterschülerinnen“) („Beine breit – hauruck!“) und weckt Verständnis dafür, dass sie sich eher nach einer verständnisvollen Lehrerin sehnt als nach einem weiteren Klaus. Der unschöne Ausgang: Ingrid erpresst Frl. Lensing mit kompromittierenden Fotos und verpfeift sie beim Direktor. Marie Ekorre führt als fleißig aus dem Off kommentierende Ingrid durch diese Dreiecksgeschichte, die das für die Reihe typische Schülerin-Lehrer-Sex-Sujet einmal als lesbische Variante variiert und die Autoritätsperson ihre Schutzbefohlene einmal nicht ausnutzen lässt (auch wenn das in den seltensten Fällen zuvor als solches dargestellt worden wäre), sondern – wenn man es so nennen will – als einzige Schuld den Ehebruch ihres Freunds billigend in Kauf nimmt und letztlich Gefahr läuft, dafür nicht nur moralisch verurteilt zu werden. Eine gar nicht mal so uninteressante Wendung – für „Schulmädchen-Report“-Verhältnisse, versteht sich.
„Irgendwas muss ich ihm antun…“
Sybille läutet gleich zwei Episoden ein, indem sie erzählt, in der Schule vergewaltigt worden zu sein (!) und wie sie Achim kennenlernte (inkl. Nacktbaden in der Isar) sowie von einer Freundin zu berichten weiß, die Sex mit einem gewissen Hans (Kurt Meinicke, „Die liebestollen Apothekerstöchter“) hatte, dem ein Ruf als promiskuiter Vielficker vorauseilte. Sie verliebte sich ihn, musste jedoch später mit ansehen, wie er mit einer anderen Sex hat und kein gutes Haar an ihr lässt. Sie prostituiert sich daraufhin an einen Mitschüler, damit dieser Hans eins auswischt. Das endet schließlich darin, dass Hans beim Sex überrascht und von seinen Mitschülern verprügelt wird, einen Abhang herunterstürzt und seinen Verletzungen erliegt. Dieses Filmchen wirkt plötzlich für die Reihe unpassend moralistisch und ist in seiner maßlosen Übertreibung, hölzernen darstellerischen Leistung und fragwürdigen Dramaturgie nicht nur extrem unglaubwürdig, sondern auch unfreiwillig komisch – also fast so wie ein herkömmlicher „Schulmädchen-Report“, nur eben unter umgekehrten Vorzeichen. Kurios.
„Bei dir ist wohl der Pudding undicht!“ (Jugendsprache anno ’73)
Zurück in der Lehrerrunde wird eine Studie zitiert, die die frühere Geschlechtsreife belegt, natürlich zu dokumentarischen Zwecken reich bebildert. Viele Sexualstatistiken werden heruntergerattert, bevor für die nächste Episode wieder einmal der Klischee-Itaker von der Leine gelassen wird: Der ist diesmal Fensterputzer (Rinaldo Talamonti, „Dr. Fummel und seine Gespielinnen“) und albert während des Sexualkundeunterrichts am Fenster herum, bis er schließlich in die Klasse springt und von der sehbehinderten Lehrerin (Elisabeth Welz, „Urlaubsgrüße aus dem Unterhöschen“) nicht erkannt wird. Hinterm Schrank treibt er’s mit der ersten Schülerin und schnappt sich gleich darauf die nächste (Puppa Armbruster, „Schlüsselloch-Report“), und im Anschluss gar noch eine (Carmen Van Der Poel, „Bettkanonen“). Diese vor peinlichen Stereotypen nur so strotzende komödiantische Episode gehört zum Bodensatz bundesdeutschen Sexualklamauks und dürfte nicht einmal unter Drogen oder lobotomiert zu ertragen sein.
„So was geschieht jede Stunde tausendmal auf der Welt!“
Ein Lehrer greift sie dennoch auf und berichtet von einem „schockierenden Gegenstück“ in Form der nächsten Episode: Im ländlichen Bayern will Bauer Herbert die fesche Marlies (Sonja Embriz, „Wenn die prallen Möpse hüpfen“) besteigen und diese ist durchaus nicht abgeneigt, doch ihr spießiger Vater funkt dazwischen. Als der geile Herbert den keuschen Vater mit Geld besticht, damit er Stillschweigen über den Vorfall wahrt, wittert dieser ein Geschäftsmodell: Er „verkauft“ seine Tochter zum Schein an Freier und will rechtzeitig einschreiten. Dies tut er jedoch dann doch nicht, so dass Marlies von einem Walter vergewaltigt wird. Ihr Vater macht aus Marlies eine waschechte Zwangsprostituierte, bis Herbert sie schließlich rettet. Halleluja, das dürfte der erste „Schulmädchen-Report“ sein, in der sich die Jugendliche nicht freiwillig prostituiert, sondern unter übergriffigen, geifernden älteren Männern leidet. Lief man damit nicht Gefahr, die Zielgruppe zu verprellen? Sicherlich nicht, vielmehr dürfte die Ausrichtung dieser Episode Alibi-Charakter gehabt haben.
„Ich bin ein Mensch und kein Hengst!“
Die nächste Episode verfällt sodann auch zunächst zurück ins alte Schema und stellt uns Lore Brinckmann vor, die einen Studienrat verführt und es nach dem Fechttraining im Duschraum mit ihm treibt. Fortan ist das immer öfter der Fall, nicht nur in der Dusche, auch im Wald. Diese Episode bekommt einen sehr ernsten Tonfall, als sich der Studienrat für seine Familie entscheidet und Lore eröffnet, was sie miteinander hätten, sei keine Liebe, sondern lediglich Sex. Zunächst ist Lore verzweifelt, lernt aber in Carsten Vollmann (Achim Neumann, „Lustig ist die Jodelei bei der Fummelfilmerei“) schließlich ihre echte Liebe kennen. Eine kritisch betrachtete sexuelle Beziehung zwischen einem Pädagogen und einer Schutzbefohlenen, woraus ein Plädoyer für die wahre Liebe zwischen Gleichaltrigen wird, in einer „Schulmädchen-Report“-Fortsetzung? Unglaublich, aber wahr.
Zum Ende setzt sich der Sprecher aus dem Off noch für Achim und Sybille ein und besiegelt damit einen „Schulmädchen-Report“, der mich mit der einen oder anderen Episode angesichts des sexistischen und Missbrauch relativierenden Schunds vorausgegangener Teile fast verblüfft hat, indem er zeitweise überholte sexualfeindliche Moralvorstellungen angreift, in anderen Fällen moralische Fragen aufwirft, ohne unmittelbar zu be- oder verurteilen und sogar Sex nicht mit Liebe zu verwechseln mahnt, während er gleichzeitig das ältere Semester fast schon dafür zu sensibilisieren versucht, dass eine Affäre mit einer Jugendlichen nicht unbedingt erstrebenswert ist, wenn man Verantwortung für eine Familie trägt, deren Liebe und Rückhalt der unverbindliche Sex mit einer naiven Heranwachsenden ebenso wenig ersetzen kann wie deren wichtige normale Entwicklung, um überhaupt erst erfahren zu können, was das große Wort Liebe bedeutet.
Ob dieser sechste Teil der Reihe damit eine neue Richtung eingeschlagen hat, die in den weiteren Filmen beibehalten oder gar ausgebaut wurde, wird sich zeigen.