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Wenn ein Film mit dieser Besetzung nicht in die Kinos kommt, fragt man sich ernsthaft, was daran nicht stimmt. Alleine Bruce Willis, Josh Hartnett und Morgan Freeman haben so viel Star-Appeal, daß sie normalerweise jeden durchschnittlichen Actionfilm über ein paar Kinowochen tragen können, egal wie ihn die Kritik vorher verreißt. Wöchentlich erlebt man irgendwelche aufgepeppten Trailer, die aus wenigen auffälligen Szenen etwas scheinbar Besonderes hervorzaubern, das erst nach dem Kinobesuch zur Ernüchterung führt - warum nicht also hier ?

Ähnlich wie zuletzt in "Ice Harvest" könnte man zu dem Gedanken kommen, daß die Kinobetreiber dem Publikum nichts mehr zutrauen. Lieber einen inhaltlich schwachen Hau-Drauf-Film promoten, der zumindest oberflächlich hält, was er verspricht, als einen Film zu zeigen, der vom Zuseher eine gewisse Geduld erfordert bis er seine Reize vollends ausspielt.

So fängt "Lucky Number Slevin" recht verwirrend an. Man erlebt einige Morde, ohne den Täter zu sehen oder die Opfer zu kennen und man sieht einen jungen Mann in einer Wartehalle sitzen. Dazu gesellt sich ein gehbehinderter Mann (Bruce Willis) mit einem lustigen Hut und erzählt ihm die Geschichte vom "Kansas City Shuffle". Daraufhin tötet er den jungen Mann - Break!

Slevin (Josh Hartnett) kommt nach New York und betritt eine Wohnung. Er sieht ziemlich mitgenommen aus und wirkt ein wenig verwirrt. Wie es sich herausstellt, hatte er einige Schicksalsschläge zu verkraften und wurde kurz vorher noch überfallen bevor er endlich in der Wohnung seines alten Freundes Nick Zuflucht fand - so zumindest erzählt er die Geschichte der netten Nachbarin (Lucy Liu), die anklopfte, um sich ein wenig Zucker zu besorgen. Und die natürlich erstaunt war, ihn statt Nick anzutreffen.

Kaum ist sie wieder draußen, stehen zwei Typen vor der Tür, die ihm unmißverständlich klar machen, daß er mitkommen soll - wenn auch nur mit einem Handtuch bekleidet. Sie bringen ihn zu dem "Boss" (Morgan Freeman), der sich in der obersten Etage eines Hochhauses verbarrikadiert hat und der seine Schulden eintreiben will. Slevins Beteuerungen, er wäre nicht Nick, werden nicht geglaubt. Schnell stellt sich heraus, daß der "Boss" sich an seinem ehemaligen Partner ,dem "Rabbi" (Ben Kingsley) rächen will, weil er glaubt, daß dieser seinen Sohn ermordet hat. Deshalb soll Nick, der ja eigentlich Slevin ist, den Sohn des "Rabbi" ermorden, quasi zum Schuldenerlaß.

Doch Nick hat auch Schulden beim Rabbi und deshalb läßt dieser Slevin ebenfalls antanzen, um ihm eine letzte Frist zu geben. So kommt Slevin in ein unverschuldetes Schlamassel, daß ihn in höchste Gefahr bringt, wenn da nicht noch die süße Nachbarin wäre...

Immer wieder wird diese linear erzählte Story von Szenen unterbrochen, die sich dem Betrachter nicht vordergründig erschließen. So arbeitet Regisseur Paul McGuigan teilweise mit Überblendungen, die Gesprächsszenen zeigen, die am selben Ort schon zu einem früheren Zeitpunkt stattfanden oder er zeigt Szenen aus der Vergangenheit, die teilweise tragische Ereignisse schildern, die aber noch in keinem Zusammenhang zur Gegenwart stehen, nicht zuletzt deshalb, weil die handelnden Personen selten sichtbar sind.

Merkwürdig bleibt ebenso Slevins Haltung in dieser Affäre, der sich durch nichts die Stimmung versauen läßt und keineswegs irgendwelche Ängste ausstrahlt, selbst als auch die Polizei sich immer mehr auf seine Fersen setzt. Im Gegenteil, er freundet sich immer mehr mit seiner Nachbarin an und so bekommt der gesamte Film zwischendurch fast den Charakter einer leichten Komödie mit lauter liebenswerten Protagonisten...nahezu absurd angesichts der Ereignisse.

Dazu tragen auch die wunderbar sparsamen und treffenden Dialoge bei, die detaillierte Ausgestaltung der Charaktere mit einer Vielzahl ausgezeichneter Nebendarsteller und natürlich die sehr stylischen Bilder, die mit Farbfiltern und grafischen Effekten sehr auf der Höhe der Zeit sind.

Auch wenn man an Hand der einzelnen eingeblendeten Puzzleteile schon ahnt, in welche Richtung der Film sich bewegt und sogar den dezenten Hinweis mit dem "Kansas City Shuffle" richtig interpretiert hat, so tut das der Freude am Film keinen Abbruch - obwohl es empfehlenswert ist, den Film einfach auf sich wirken zu lassen. Denn obwohl sich McGauguin scheinbar an den Legionen der berühmten Vorbilder "Pulp Fiction", "Bube, Dame, König, Gras" usw. orientiert, so behält der Film einen ganz anderen Charakter bei, denn er ist in seinem Grundsatz absolut ernsthaft.

Man könnte genau diesen Punkt kritisieren und vielleicht ist es auch der Grund, warum "Lucky Number Slevin" nicht in die deutschen Kinos kam. Profi-Killer, brutale Bodyguards, absurde Situationen, verschachtelte Erzählweisen, coole Sprüche und teilweise drastische Morde sind ja immer angesagt, aber bitte mit einem ironischen Grundton und einem Hintergrund, der verdeutlicht, daß sich Regisseur und Drehbuchautor in Wirklichkeit nur einen großen Spaß machen.

Doch hier bekommt die Story zum Ende einen ernsten Hintergrund, sie wird zu einer Geschichte von Verrat, Rache, aber auch Mitgefühl und Liebe - in letzter Konsequenz ist sie eine "Vater-Sohn Geschichte". Durch diese Dimension fällt es dem Betrachter am Ende nicht leicht, jegliche Verhaltensweisen der Protagonisten gut zu heißen, die ihre Intentionen konsequent zu Ende bringen. Hier stellt sich plötzlich die Frage von Moral, von der Möglichkeit des Verzeihens und der Einsicht, sich nicht auf die selbe Ebene wie Verbrecher zu begeben. Eine Thematik, die bei vielen Filmen im Mittelpunkt steht, wenn z.B. der Vater den Mörder seiner Tochter am Ende nicht umbringt, sondern ihn dem Gesetz übergibt.

Solche Fragen stellen sich üblicherweise in tarantinoesken Werken nicht, die bewußt Emotionen ausklammern und alles nur der Coolness übertragen. Doch genau das erhebt "Lucky Number Slevin" über diese Werke, in dem er auch beim Betrachter Verwirrung stiftet - er vermischt eine coole Gangster-Ballade mit einem ernsthaften, intensiven Hintergrund und vermeidet damit, daß dieser großartige Film der Beliebigkeit von Zitaten und schenkelklopfenden Nacherzählungen übereignet wird.

Fazit : Hervorragend gemachte und erzählte Gangster-Ballade mit sehr guten Darstellern, die sich an tarantinoesken Werken orientiert, aber eine eigene Stimmung aufbaut und letztendlich eine ernsthafte, emotionale Geschichte erzählt. Dadurch wird die Erwartungshaltung an eine rein coole Story nicht erfüllt und auch die Protagonisten erhalten einen zumindest fragwürdigen Charakter. Die brutalen Morde können hier nicht einfach als typische Ingrendenzien abgetan werden, sondern erhalten auch dadurch, daß kaum ein Charakter anonym bleibt, eine tragische Komponente, durch die sich auch moralische Fragen stellen.

Vielleicht kam der Film deshalb nicht ins Kino, vielleicht erhält er deshalb verständlicherweise zwiespältige Kritiken, vielleicht wird er nicht die Masse an "Filmfreunden" finden, aber genau das macht für mich die Qualität des Films aus - endlich eine intelligent gemachte "Gangster-Ballade", die auch Fragen aufwirft und berührt und nicht nur unterhält (10/10).

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