Review

The Fountain

Oder

Der Versuch einer Gebrauchsanweisung


Einführung

Was ist Kunst?
Ist Kunst all das, was wir nicht verstehen?
Oder ist es etwas Künstliches, in dem jeder das sehen kann, was er will, eine Projektionsfläche des individuellen menschlichen Geistes?
Ist es das Konstrukt von Etwas, das unser Astraktionsvermögen fordert?
Oder ist es simpel die kreative Schöpfung des Künstlers, die einem vielfältigeren Sinn freigegeben wird?
Oder ist es alles?

Darren Aronowskys Film „The Fountain“ könnte man in die Kategorie „Film als Kunstprodukt“ einordnen, wenn man vergisst, dass jeder Film Ausdruck und Produkt eines Künstlers ist.
Wie geht man jedoch mit einem komplexen Werk dieser Art um, das alles und vieles und noch dazu vieles auch wieder nicht ist.
Hier sind ein paar Erläuterungen für die unterschiedlichsten Rezipienten.
Sie sind alle wahr und falsch.
Und sie sollen eine Hilfe sein.
Möglicherweise.

„The Fountain“…

...für Film(kunst)liebhaber…

Für all diejenigen, die den gloriosen 70er Jahren hinterhertrauern, als die Regisseure noch die Filmmacher waren und kreatives Neuland in Sachen Film ohne Zuschauerinteressenabsicherung losgebrochen wurde, dürften hier einen Hauch von Renaissance schnuppern.
Aronowskys episodisch verwobenes Werk umfasst einen Zeitraum von gut 2000 Jahren, in dem in parallel laufenden Handlungssträngen einerseits ein spanischer Conquistator für seine bedrängte Königin im Lande der Inkas den biblischen Baum des Lebens sucht; gleichzeitig in unserer Gegenwart ein verzweifelter Arzt bemüht ist, mittels Stoffen aus diesem Baum ein Heilmittel für seine an einem Gehirntumor leidende Frau zu finden und in dem schlussendlich 1000 Jahre in der Zukunft sich derselbe Mensch mit dem sterbenden Baum in einer durchsichtigen Kugel auf die Reise zu einem sterbenden Stern begibt, um dessen Wiedergeburt zu erleben.
Die von Hugh Jackman portraitierte, scheinbar unsterbliche Figur muß dabei (so kann man halbwegs folgern) Aufschlüsse über das Wesen und den Kreislauf von Leben und Tod erfahren, damit das ewig währende Band aufgehoben werden kann – Leben ohne Tod ist ergo nicht möglich.

Aronowsky setzt diese spirituelle Reise kunstvoll verwoben in wahnsinnig schönen Bildern in geradezu meditativer Ruhe um, begleitet von entspannt dahinwabernden Saitenklängen, die die Intensität und Stille zusätzlich fördern. Dabei erzählt er die Geschichte einer ewigen Liebe.

Hier funktioniert „The Fountain“ als Trip, ein unglaublicher Eye-Candy, der sich definitiven erzählerischen Strukturen verweigert und genau so viel Interpretationsspielraum zulässt, wie Atome im All existieren. Hier geht alles und der Zuschauer wird auf eine visuelle und faszinierende Reise mitgenommen, in der totales Verständnis nichts und träumerische Hingabe alles ist.
Die Banalität des Vehikels Handlung spielt hier keine Rolle, das fragile Konstrukt versinkt in sphärischen Bildern und entlässt den Zuschauer in einer Art anrührenden und andächtigen Stimmung in die Nacht.
Weswegen dies vielleicht der Film ist, wegen dem man Mitternachtsvorstellungen wieder einrichten sollte.


…für normale Kinobesucher…

Hier sollte man spätestens das Warnschild aufbauen.
Informieren sie sich vorher.
Gehen Sie nicht auf Verdacht in diesen Film!

So schön „The Fountain“ unter den bereits genannten Gesichtspunkten erscheint, so redundant und kryptisch wird er dem normalen und weitestgehend uninformierten Zuschauer vorkommen.
Gerade weil er sich typischen narrativen Strukturen verweigert, wird das Publikum erst mit Verwirrung und dann mit Unmut oder Spott reagieren, denn das, was die nicht esoterisch vorgeweichte Zuschauerschaft hier an Plot herausfiltern kann, entpuppt sich als eine Art Melange aus Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ und „Love Story“.

Da sich die verwobenen Episoden nicht schlüssig oder logisch einordnen lassen (die Conquistatorepisode erscheint z.B. auch als Buchwerk des Tumoropfers, der Zukunftsmensch hat ständige Visionen der Figuren aus der Gegenwart), muß sich der „normale“ Zuschauer an dem mittleren, in unserer Realität spielenden Teil festhalten und der hat als Kern eine hundertfach gesehene Leidensgeschichte eines Arztes, der den drohenden Tod seiner Liebsten einfach nicht wahrhaben will und wie besessen in seiner Verzweiflung nach einem möglichen Heilmittel forscht, wobei er aber die letzten Möglichkeiten, noch etwas Zeit mit seiner ewigen Liebe zu verbringen, opfert.
Diese Behelfsstory ist dermaßen tränenreich, das sie gar nicht anders als plakativ und banal aufgenommen werden kann, wenn man nicht sowieso nah am Wasser gebaut ist.
Hugh Jackman spricht in Zeiten höchster Not da einige Zeilen, die spöttisches Gelächter geradezu herausfordern, wobei seine intensive schauspielerische Leistung nicht geschmälert werden sollte, denn die Verzweiflung und Wut ist hautnah zu spüren.

Noch mehr Ablehnung ruft aber vermutlich das futuristische Teilstück hervor, das religiöse und esoterische Elemente munter durcheinander wirft und in seiner gottgleichen Erhabenheit und universellen Ordnung ungemein naiv erscheint. Wenn Jackman kahlrasiert und in buddhagleicher Haltung durch das Nichts schwebt, bis ihm der sterbende Stern um die Ohren fliegt, dann weiß der geneigte Zuschauer nicht, ob er ob soviel offensichtlicher Plattheiten prätentiöser Kunstkacke lachen oder weinen soll.

Die wahnsinnige Intensität der Bilder wird durch solche Simplizität immer wieder geschmälert und so gerät der Film zu nichts Halben und nichts Ganzem, maximal zu einem aufgesetzten Egotrip eines besessenen Regisseurs, dem sein Publikum u.U. scheißegal scheint.

…für Leute, die die Abgeschlossenheit einer Geschichte lieben…

Hoffnungslos wird es für all jene, die am Ende einer Geschichte einen Punkt stehen sehen wollen.
Hier wird nichts definitiv geklärt und diejenigen, die überwältigt und andächtig heimwärts streben, kauen nicht weniger über dem Geschehen wie diejenigen, die sich von „The Fountain“ provoziert fühlen.
Es gibt hier keine eindeutige Lösung, auch wenn ich mir persönlich eine gebildet habe.
Hier wird der Film „eine Sache, auf die man sich einlassen muß“ und wo man über seinen persönlichen Gewinn oder Verlust vielleicht besser schweigen sollte.

…für alle unter Drogen….

Problematisch oder wunderbar ist dieser Film sicherlich unter Einfluß von Rauschmitteln, denn die Vorstellung, vor diesem Bilderrausch gekifft zu haben, lässt auch ohne schon vor Vergnügen die Kuh fliegen.
Seit Kubricks berühmten Lichttunnel wird man sicherlich nicht mehr so intensiv Bilder gefühlt haben.
Es wird aber genauso viele Besucher geben, die eher den Einfluß von Alkohol empfehlen, um das alles leichter ertragen zu können…

...für Romantiker…

Gleichzeitig ist „The Fountain mit Sicherheit das Herzstück für alle Liebhaber universeller Liebesgeschichten, denn so unkonventionell wurden Leidenschaft, Liebe, Angst und Religion selten verknüpft und wenn Gefühle etwas Unfassbares und unglaublich Grosses sind, dann kann man hier einen Eindruck davon bekommen, wie so etwas aussehen könnte.

… für Leute, die etwas ganz Bestimmtes sehen wollen…

Nicht in diesen Film gehen.
Die Folge ist eine Art Aufnahmetotalverweigerung binnen acht Minuten.
Unter Garantie!

…für den Verleih…

Liebe Leute, es tut mir leid, aber ihr sitzt mit diesem Film echt am ganz kurzen Ende.
Es gibt kaum eine Zielgruppe, die geeignet wäre, für diesen Film effektiv beworben zu werden. Dafür ist der Film zu individuell, zu künstlerisch.
Er wird ein Renner in allen Astrologieläden und Esoterikbuchhandlungen und die Arthousekinos werden in den Spätvorstellungen noch lange ihre Freude an einer freundlichen Kultgemeinde haben, aber im normalen Cineplex wird dieser Film schneller sterben, als die Angestellten dafür plakatieren können.
„Take the money and run“ könnte ein Rezept sein, bevor sich das erzählerische Fiasko rumspricht – aber vermutlich wird man den Film lautlos beerdigen – was irgendwie auch wieder schade ist.
Aber das ist der Lauf der Welt…

…für mich…

Das Review ist eigentlich mein Fazit, denn all diese Informationen spielen auf unnachahmliche Art und Weise zusammen. So schön die Bilder sind und so kunstvoll verwoben die Story, so banal und zäh wirkt die Love Story.
Und dennoch verlässt man das Kino mit Tiefenwirkung, Verwirrung und Erhabenheit und wird das alles nicht los.
Das ist Regiekino in seiner reinsten Film.
Und Kunst.
Irgendwie.

Take a trip – find yourself!
6/10

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