„Ihr seid kein Menschenkind!“
Nach „The Devil's Backbone“ aus dem Jahre 2001 ist der 2006 veröffentlichte „Pans Labyrinth“ der zweite von drei vom gebürtigen Mexikaner Guillermo del Toro geplanten Filmen über den spanischen Bürgerkrieg. „Pans Labyrinth“ ist eine ungewöhnliche Melange aus Kriegsdrama und Fantasy-Märchen und sollte keinesfalls mit einem Kinderfilm verwechselt werden.
Im Jahre 1944 finden in den nordspanischen Bergen noch immer Kämpfe zwischen den widerständischen Partisanen und der Armee des faschistischen Diktators Franco statt. Das elfjährige Mädchen Ofelia (Ivana Baquero, „Fragile - A Ghost Story“) verschlägt es mit ihrer schwangeren Mutter Carmen (Ariadna Gil, „Torrente 2 - Mission Marbella“) in jene Region, wo ihr Stiefvater Hauptmann Vidal (Sergi López, „Eine pornografische Beziehung“) den Widerstand bekämpft. Vor der vom Wahnsinn des Krieges, Leid und Tod beherrschten, wenig kindgerechten Szenerie flieht Ofelia in eine Fantasiewelt voll fantastischer Lebewesen; sie lässt sich von einer Fee zu Pan und seinem Labyrinth geleiten, von dem sie erfährt, dass sie die Königstochter einen unterirdischen Königreichs sei. Drei Mutproben habe sie zu bestehen, um wieder ihren Thron besteigen zu können. Derweil ersehnt Faschist Vidal seinen „Stammhalter“ herbei, während es seiner Frau zusehends schlechter geht...
Auf nicht unbedingt leicht verdauliche Weise vermengt del Toro bedrückend realistische Bilder des Krieges, in dem sich der sadistische Vidal auf brutale Weise austobt, mit faszinierend gestalteten Märchenwelten, die mit viel Liebe zum Detail gestaltet wurden und reich an Metaphern auf die für Ofelia unerträglich gewordene Realität sind. Del Toro beschreibt in eindrucksvollen Bildern die Kraft der Imagination und erinnert damit an das Drama „Der Geist des Bienenstocks“ des spanischen Regisseur Víctor Erice aus dem Jahre 1973 – und doch wieder nicht, denn Erice sah sich gezwungen, extrem uneindeutig und symbolreich noch unter Franco zu arbeiten, während del Toro in US-amerikanisch-mexikanisch-spanischer Koproduktion nicht nur über ein beachtliches Budget verfügen konnte, sondern auch keine Repression fürchten musste. Seine Inspiration ist jedoch für Kenner beider Filme unübersehbar. Del Toro spingt zwischen faschistischer Realität und Phantasiewelt hin und her, greift für letztere auch auf CGI zurück, die jedoch tatsächlich gut gelungen sind – ich denke an die wandlungsfähige Heuschrecke oder an die dicke Kröte inkl. ihrer ekligen Effekte. Vornehmlich jedoch setzte man auf gute alte Handarbeit und erschuf beeindruckende Masken und Kostüme beispielsweise des „Pale Man“, der schaurig-schön abstoßend aussieht und seine kleinen Feen am liebsten blutig verzehrt. Augenscheinlich wurde diese Kreatur vom Schallplattencover des Albums „Release from Agony“ der deutschen Thrash-Metal-Band Destruction inspiriert. Mehr oder weniger subtil schlägt die Fantasiewelt Brücken zur filmischen Realität, verknüpft sich mit realen Ereignissen, verarbeitet diese oder treibt sie voran.
Für Freunde grausiger Kreaturen hat „Pans Labyrinth“ also einiges zu bieten, für Liebhaber märchenhafter Erwachsenen-Fantasy abseits von Barbaren-Trash ebenfalls. Jedoch sollte man sich nicht täuschen lassen, denn der Fantasy-Anteil ist nicht Hauptbestandteil des Films – das ist nach wie vor das Grauen des Krieges und des Faschismus, veranschaulicht anhand einer auf eine überschaubare Anzahl von Pro- und Antagonisten heruntergebrochenen Situation. Diese entwickelt sich brutal, blutig, mörderisch und verstörend in beklemmender, depressiver Stimmung. Betont langsam, entschleunigt erzählt „Pans Labyrinth“ seine Geschichte, lässt sich seine Charaktere oft scheinbar in Zeitlupe bewegen, während sich die Kamera langsam um sie herum bewegt und sanft das Klavier dazu klimpert. Der von allen beteiligten Darstellern hervorragend geschauspielerte Film verkneift sich trotz Ofelias fantastischer Eskapaden ein unzweideutig als solches zu betrachtendes Happy End, liefert stattdessen Stoff für Überlegungen und Interpretationen. Die vermeintliche kindliche Naivität erweist sich in erster Linie als Selbstschutzmechanismus, himmelschreiende Ungerechtigkeit bleib über weite Strecken eben genau diese, der Fantasy-Anteil verkommt nicht zum selbstzweckhaften, „familientauglichen“ Kitsch, sondern kann in meinem Fall auch nicht verhindern, dass die Ereignisse des Films emotional berühren und verdammt schlechte Laune verbreiten – weshalb aus meiner Sicht „Pans Labyrinth“ nur sehr bedingt als Unterhaltungsfilm taugt. Als Auseinandersetzung mit Krieg und Faschismus und Parabel auf die damit stets einhergehende Kindesmisshandlung, die Zerstörung der Kindheit der jungen Generation sowie als Plädoyer für Realitätsflucht angesichts von Extremsituationen ist del Toro ein beeindruckender Film gelungen, der durchaus nachwirkt.