Spoiler enthalten!
Märchen haben eine naive Eigenart. Schwarz-Weiß-Malerei unterwandert das Geschehen. Hier sind die Guten, auf der anderen Seite die Bösen. Die Moral, eine vereinfachte Intention, darf nicht fehlen. Die Figuren sind allgemein eher blass, sie dienen nur dem Zweck. Die zugrunde liegende Einfachheit erzeugt den Effekt, dass die Geschichte leicht zu merken ist und in kürzester Zeit wiedergegeben kann.
„Pans Labyrinth“ ist sicherlich kein Märchen, Guillermo del Toro verknüpft vielmehr die Realität mit einer märchenhaften Traumwelt. Zumindest versucht der Regisseur eine Verbindung im Sinne von Parallelwelten aufzubauen. Problematisch daran ist, dass man den Verbund wie ein Märchen erzählt und sich ähnlicher Mechanismen bedient.
Im Grunde geht es um Freiheit und Individualität und dem Versuch beides zu unterdrücken. Wir sehen Spanien im Jahre 1944. Der Bürgerkrieg ist zu Ende, das faschistische Franco-Regime ist weiterhin an der Macht. Lediglich rebellische, politisch linksgerichtete Gruppierungen leisten Widerstand und verschanzen sich, um aus dem Hinterhalt effektiv zu handeln. Den Konflikt projiziert del Toro auf ein kleines Dorf, das von Wäldern umgeben ist. Schon früh manifestiert sich Bedrohung durch die Ausgangssituation. Im Wald lauern Rebellen, im Dorf befinden sich Tyrannen. Die Sympathien sind schnell verteilt, wenn man Hauptmann Vidal (Sergi Lopez) brutal in Aktion sieht. Eine Abkehr vom Konventionellen wir schnell mit harter Folter bestraft. Eines kann die starke Hand jedoch nicht unterbinden, die Freiheit der Gedanken – Individualität im Geiste. Wir sehen die kompromisslose Realität und im Gegensatz dazu die Traumwelt der kleinen Ofelia (Ivana Baquero), deren schwangere Mutter (Adriana Gil) mit dem Hauptmann in zweiter Ehe verheiratet ist. Die Protagonistin fühlt Unbehagen, sie spürt die allseitige Unterdrückung. Eines Tages kommt sie dann, die in Captain Jack Sparrow Manier rumsteuernde Fantasiegestalt. Ofelia bewegt sich in phantastische Welten. Sie muss von einem „Pan“ gestellte Prüfungen bestehen, um als Prinzessin in einer Traumwelt leben zu können.
Aus diesem narrativen Grundkonstrukt soll del Toro eine viel gepriesene, audiovisuell beeindruckende Konjunktion zwischen Historie und Fantasiewelt gezaubert haben. Dahinter verbirgt sich eine philosophische Komponente - die Unzerstörbarkeit der Freiheit im Geiste. Gedanken, die durch nichts unterjocht werden können. Das klingt zweifelsohne gut, aber leider befinden wir uns in schwarz-weißen Welten. Pragmatisch konstruiert del Toro etwas, das dem Effekt dient. Visuell und atmosphärisch ist das Ganze an der Oberfläche im bedrohlichen Sinn überwältigend. Der Blaustich im Bild, düster morbide Orte und jede Menge dunkle Phantasien dokumentieren eine gewisse finstere Kreativität. Hier sehen wir durchaus einen Film, der Atmosphäre transportiert. Zwischen Sehen und Fühlen besteht allerdings ein großer Unterschied. Der visuellen Wucht fehlt Tiefenwirkung. Nichts dringt tief bis in die Knochen.
Der wesentliche Grund dafür sind blasse Figuren, die märchenhaft eindimensional wirken und vor plumper Polarisation triefen. Ausschließlich kompromisslos böse Faschisten treffen auf durchweg gute Rebellen – interessante Ambivalenzen fehlen schon einmal komplett. Das wäre ja noch erträglich, wenn die Charaktere nicht so oberflächlich geraten wären. Von Ofelia und ihrer schwangeren Mutter erfahren wir herzlich wenig bzw. immer wieder das Gleiche. Bezeichnend ist, dass der Hauptmann als Bösewicht noch die meisten Konturen hat. Er foltert und regiert mit einer brutalen Hand, aber wenigstens weiß man etwas über ihn. Die Geschichte um seinen Vater, der rassistische Idealismus und die damit verbundene pragmatische Kompromisslosigkeit. Vidal ist der Antagonist schlechthin, aber charismatischer als alle anderen. Das belegt wiederum, wie ausdruckslos Ofelia und der Rest geraten sind bzw. wie wenig überzeugend das Schauspiel von Ivana Baquero und Co. ist. Dem Drehbuch, das del Toro selbst schrieb, fehlt es an Ecken und Kanten, was die Charakterisierung betrifft. Was man an persönlichem Hintergrund weiß, wird ständig wiederholt, so dass man sich gelangweilt im Kreis dreht. Der Film funktioniert wie ein Märchen, aber die damit verbundenen Mechanismen sind nicht auf eine Lauflänge von zwei Stunden ausgelegt.
Ärgerlich ist auch die offensichtliche Funktionalität des Ganzen. Der Aussage und dem Effekt opfert der Regisseur alles – und das schließt jede Logik mit ein. Vidal überlebt an einer Stelle des Films merkwürdigerweise nur, weil er am Ende unbedingt noch gebraucht wird. Er muss Ofelia töten, damit sie ihre letzte Prüfung bestehen kann. Der Film ergibt quasi nur einen Sinn, weil der Hauptmann entgegen jeder Logik nicht getötet wird. Wobei wir bei den Aufgaben wären. Wozu drei Tests, wenn nur der letzte wirklich einen effektiven Fortschritt bringt? Der Pan stellt Prüfungen, die weder eine Verbindung zwischen Realität und Fiktion manifestieren oder sonst irgendeinen Zweck erfüllen – außer der künstlichen Streckung des Plots, so dass del Toro ordentlich mit visuellen Effekten protzen kann. Erst am Schluss, als die Protagonistin die letzte Aufgabe meistert, ist das vorhanden, was man lange zuvor erwartet hat: eine schlüssige Verbindung. Der Moral Willen, nach bestem Märchenstrukturen. Dem Ganzen unterliegt arg konstruierte Dramatik und fehlende Logik, die man nicht immer mit der Lupe suchen muss, aber in diesem Fall eindeutig ins Auge sticht. Unlogik folgt der Unlogik, um die finale Unlogik überhaupt möglich zu machen. Spannung vermittelt man dadurch weder auf fiktiver oder realistischer Ebene.
Narrative Rundungen fehlen dementsprechend und so schafft man es auch nicht die zweifelsohne subtile Intention als emotionalen Donnerhall zu verkaufen, zumal die Charaktere aufgrund ihrer Eindimensionalität und plakativen Struktur weder überzeugen noch auf empathischer Ebene vereinnahmen. Da kann man oberflächlich noch so viel Angst vermitteln, der Film scheitert in erster Linie an den Mechanismen, die stark an ein Märchen erinnern. Es wurde die große Verbindung zwischen Historie und Traumwelt angepeilt – pragmatisch opfert man aber zu viel dem rohen Effekt. Das nennt man dann filmischen Suizid durch beabsichtigte Effekthascherei. Gute Ansätze ersticken folgerichtig im Keim. (4,5/10)