Review

Spoilerwarnung!

Die Prinzessin der Unterwelt wollte unbedingt das Tageslicht spüren und floh deshalb auf die Erdoberfläche. Dort angekommen, erkrankte sie jedoch, verfiel zusehends und starb...
1944, der Bürgerkrieg Spaniens ist zugunsten des Diktators Franco seit bereits fünf Jahren entschieden, fahren das junge Mädchen Ofelia und ihre hochschwangere Mutter Carmen dem Ziel entgegen, das ihre Beziehung auf eine harte Probe stellen soll: Ein Capitan Francos, der selbstverliebte und grausame Vidal, möchte seine neue Familie bei sich haben; so scheint es wenigstens zunächst. In einer Mühle irgendwo im bewaldeten Bergland Nordspaniens haben er und seine Soldaten Stellung bezogen, um den republikanischen Rebellen, die in der Nähe ihr Versteck haben, endgültig den Garaus zu machen.
Ofelia ist - im Gegensatz zu ihrer Mutter, die sich verzwifelt an ihre letzte Hoffnung klammert - mit ihrem Stiefvater alles andere als zufrieden und sucht Zuflucht in ihren Märchenbüchern. Diese stellen für sie nicht nur eine simple Ablenkung, sondern vielmehr das Tor zu einer anderen Welt dar. Dieses hat sich bereits aufgetan, bevor Ofelia es richtig gemerkt hat. Als sie nämlich während einer Rast auf dem Weg zur Mühle einen Stein (bezeichnenderweise in Form eines Auges) in eine seltsame, uralte Statue abseits des Weges wieder eingesetzt hat, kriecht aus deren Mund ein seltsames Geschöpf, das an eine zu groß geratene Mischung aus Grashüpfer, Ohrenkneifer und Libelle aussieht. Fasziniert von diesem unheimlichen, fast abstoßenden, aber zugleich so geheimnisvollen Wesen folgt sie ihm auch ohne Zaudern, als sie es bei der Mühle wiederentdeckt. Es führt sie in ein steinernes Labyrinth, in dessen Mitte ein Schacht in die Tiefe führt. In der Mitte der finsteren Grube steht ein alter Monolith, in den ein fremdartiges, baumähnliches Geschöpf, ein Mädchen und ein Baby eingehauen sind. Während Ofelia sich noch wundert, tritt aus dem Dunkel der Pan auf die Bühne.

Mit diesem Wesen hat del Toro meinen Fantasy-Favoriten einen Neuzugang verschafft. Wie Faune nun einmal sind, benimmt sich auch das Exemplar dieses Films: Gewitzt, nachdenklich, freundlich, verschlagen, spielerisch - irgendwo in der Mitte dieser Eigenschaften pendelt sich der Charakter des Pans ein, dessen wunderhafte Maske und vor allem die ausschweifenden, tänzelnden und theatralisch-skurrilen Bewegungen ihm eine surreale und dennoch markant-dominante Präsenz verleihen, die ihresgleichen sucht (die anderen, teils noch wundersameren Geschöpfe, befinden sich auf ähnlich gutem Niveau).
Bei ihm sucht Ofelia Zuflucht, die sie in der Außenwelt nicht bekommen kann. So willigt sie auch ohne großes Nachdenken ein, drei Aufgaben zu übernehmen, durch deren Lösung sie sich als Inkarnation der toten Prinzesssin beweisen soll. Im Folgenden teilt sich der Film in zwei große Handlungsstränge, die aber durchaus schwerwiegende Auswirkungen aufeinander haben und mitunter auch verwoben sind.

Dabei wird deutlich, dass die Märchenwelt außerhalb des Labyrinths nicht aufgehoben ist. Viele typische Elemente hat del Toro auch für die reale Erzählung übernommen: So gibt es den bösen Stiefvater, die fehlgeleitete, aber eigentlich herzensgute Mutter (hier sind die Märchenrollen vertauscht), das Kind, das von ihrem Stiefvater misshandelt in eine fremde, unheimliche, aber auch faszinierende Märchenwelt flüchtet - und eine Person, bei der sie auch in der realen Welt Geborgenheit findet. Die Haushälterin Vidals, Mercedes, ist die sanfte Verbindung zur harten Realität; sie befindet sich, wie sich bald zeigen wird, sehr unfreiwillig in ihrer Rolle, denn ihr Platz ist an einem anderen Ort. So entspinnt sich eine Geschichte um Hoffnung, Verzweiflung und Verrat, wie sie überzeichneter kaum sein könnte. Während nämlich das Kriegsgeschehen zwischen Soldaten und Rebellen eher schmerzhaft realistisch verläuft, handelt es sich beim Kern der Erzählung um den klassischen Ausgangspunkt jeder Märchengeschichte (s.o.).
So wird Vidal zum Überfaschisten hochstilisiert, der sich, stets glattrasiert und mit korrekt liegendem Haar, durch die, die seinen Weg kreuzen, hindurchprügelt, -foltert, und -mordet, dass es ein wahres Grausen ist. Carmen hingegen, von der Fahrt und ihrer Schwangerschaft stark geschwächt, klammert sich nach dem Kriegstod ihres ehemaligen Mannes, eines Schneiders, an die einzige Hoffnung, die ihr noch bleibt. Immer wieder ermahnt sie Ofelia, endlich die grausame Realität zu akzeptieren und sich ihr zu beugen, doch trifft sie bei ihr auf kein Verständnis. Die Liebe Vidals stellt sich natürlich auch bald als Trugschluss heraus, da dieser nur um das Wohl seines im Mutterbauche heranwachsenden Nachfolgers besorgt ist. Carmen stellt eine tragische Figur dar - wie sie sich auch entscheidet, am Ende findet sie keine Rettung.

Wir haben es, wie wohl deutlich wurde, mit einem Erwachsenenmärchen zu tun, wie eines aus der Zeit, bevor die Gebrüder Grimm sie zu Moralgeschichten für kleine Kinder umschrieben und nur ein Bruchteil der ursprünglichen Inhalte bleib. Diese drehen sich eigentlich um menschliche Schattenseiten, die sich in Form einer Fabelgeschichte in aller Freiheit entfalten und wüten dürfen: Jähzorn, Sadismus, (hier weniger) die zunächst unheimlichen Seiten des Erwachsenwerdens, ja auch Randthemen wie Pädophilie finden ihren Platz in diesen Geschichten (siehe nur den Wolf bei Rotkäppchen). Wohlgemerkt sind diese Themen mal eher unterschwellig, mal deutlich vertreten und bilden nicht den Gesamtumfang der Märchen - so ist es auch bei diesem. Wo in der Realität jedwede Hoffnung verloren geht und auch im Märchenreich immer schwärzere Fantasien durchdringen, findet Ofelia doch im so traurigen wie wundervollen Ende Erlösung (hier erklärt sich auch die Eingangsszene).

Wie man meine Begeisterung gerade für die Märchenseite spüren kann, die wundervoll skurril, abartig und doch seltsam schön (allein die Szene mit dem Pale Man) umgesetzt wurde und für mich zu den großartigsten Filmmomenten überhaupt zählt, so steht es leider nicht in gleicher Weise um den anderen Part, den man ein Kriegsdrama nennen könnte. Er ist zwar auch sehr sorgfältig gedreht und auch gut, jedoch nicht für sich genommen. Nur im Kontext des Märchens kann der reale Teil seine ganze Wirkung entfalten, wenn die überdrehten Figuren durchdringen, Ereignisse der einen auf die andere Welt übergreifen - nur macht der Märchenteil lediglich ein Drittel des Films aus. So kraftvoll jener ist, verliert das Kriegsdrama an Stärke, je mehr es versucht, sich von seinem Gegenpart loszulösen.
Trotz dieser (verzeihlichen) Schwäche ist "Pans Labyrinth" einer der besten Filme der letzten Zeit (gerade nach der Gurke "Hellboy" war ich erst besorgt) und wird so bald wie möglich Eingang in meine Sammlung finden. Jedem, der düsterer, abwegiger Fantasie und wundersamen Geheimnissen in verborgenen Winkeln nicht abgeneigt ist, kann ich dieses Meisterwerk nur empfehlen.

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