»Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.«
(Die folgende Rezension enthält leichte Spoiler. Meine Empfehlung: Erst den Film schauen, bevor ihr irgend etwas über ihn in Erfahrung bringt.)
Frankreich. Der georgische Einwanderer Sébastien (George Babluani) repariert für einen älteren Herrn namens Jean-François Godon (Philippe Passon) das Dach. Eines Tages stirbt Godon überraschend an einer Überdosis. Sébastien lässt einen Brief mitgehen, der eigentlich für seinen ehemaligen Arbeitgeber bestimmt war. Er weiss nur eines: Godon wollte die Anweisungen des Briefes befolgen, um seine Geldprobleme zu beseitigen. Nun will Sébastien an seine Stelle treten. Er weiss nicht, auf was für ein gefährliches Geschäft er sich da einlässt.
13 Tzameti (2005) beginnt als ruhig beunruhigendes Stimmungsbild. Der georgische Regisseur Géla Babluani verbringt viel Zeit im desolaten Heim Jean-François Godons, wobei er es schafft, ohne viele Tricks eine ominöse Stimmung zu schaffen. Gezeigt wird Godon, wie er unter Drogen, Altersverwirrung und Armut leidet. Und Sébastien, der Godon heimlich belauscht – und deshalb vom seltsamen Brief weiss. Die Schwarzweiss-Bilder sind unaufgeregt, klar und stilvoll. Nach dem Tod Godons zieht Babluani die Spannungsschraube langsam und mit sicherer Hand an. Sébastien folgt den Anweisungen des Briefes, die Etappe für Etappe zwielichtiger werden, da sie darauf angelegt sind, seine Spuren zu verwischen. Bald ist klar: Hier stimmt etwas ganz und gar nicht. Sébastien läuft Gefahr, sich in etwas Verbrecherisches zu verwickeln.
Das ist denn auch der Fall. Worum es genau geht, muss ich an dieser Stelle offen lassen. 13 Tzameti ist so ein Film, den man am besten ohne jegliche Vorkenntnisse schaut. Die Wirkung ist umso stärker, je weniger man weiss. Nur so viel: Der Mittelteil des Filmes ist ganz, ganz grosses Spannungskino. Meisterhaft inszeniert Babluani ein perverses Spiel um Leben und Tod, das den anfangs unbedarften Sébastien in ein anderes Wesen verwandelt. In ein düsteres. Hauptdarsteller George Babluani – der Bruder des Regisseurs – vollzieht einen glaubwürdigen Wandel von Unschuldslamm zu Antiheld. Seine Physiognomie und Mimik erinnert in einer Einstellung (bewusst?) an Anthony Perkins’ Norman Bates in Psycho (1960). Der »Antagonist« Jacky (Aurélien Recoing) ist noch faszinierender: hinter seinem harten Äusseren schimmert eine Trauer und Schwäche durch, die berührt. Die anderen Schauspieler agieren adäquat, aber nicht herausragend. Das ist allerdings auch nicht nötig, da der eigentliche Star Géla Babluani ist.
Regisseur Babluani mischt einen saftigen Gefühlscocktail: Gier, Not, Sucht, Hoffnungslosigkeit, Angst und Hass vermischen sich zu einem einzigartigen Adrenalin-Rush. Er erzählt seine Geschichte ohne viele Schnörkel. Man kann die Geschehnisse in 13 Tzameti sozialkritisch lesen – man muss aber nicht. Am besten ist der Film dann, wenn er die dialektischen Beziehungen zwischen Jäger und Gejagten, zwischen Herr und Sklave, erforscht. Zu sehen, wie sich der Gequälte mit dem Quälenden verbrüdert (und der Zuschauer mit dem Quälenden), ist eine wahrhaft schockierende Erfahrung. Auf subversive Weise macht uns Babluani zu Komplizen der Reichen und Mächtigen. Zu Voyeuren. Denn ebenso wie sie lechzen wir danach zu wissen, wie es weiter geht. Der Film macht erfahrbar, weshalb sich Menschen gegenseitig Gewalt antun. Und weshalb andere Menschen ihnen dabei zuschauen. Sie tun es nicht nur, weil sie böse sind. Sondern (auch), weil sie den Kick lieben. The Thrill of the Kill, sozusagen.
»Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf«, so könnte das Motto dieses Filmes lauten. Er erforscht diesen Satz allerdings nicht moralisch, sondern aus einer beinahe nihilistischen Warte. Das ist die grosse Leistung von 13 Tzameti. Er bietet weder Trost, Kontext, noch Auflösung. Leider weicht das Ende den kompromisslosen Ansatz auf. Die Schlusspointe ist vorhersehbar und lässt einen schalen Nachgeschmack zurück. Als hätte Babluani nicht ganz gewusst, wie er diese Tour de Force beenden sollte.
Aber eine Tour de Force bleibt 13 Tzameti; ein hitziger Psychothriller scheinbar ohne Gewissen. Man mag das Gezeigte sinn-, herzlos und zuweilen langweilig finden. Aber vergessen wird man es nicht so schnell.
9/10