„Halt’s Maul, du Sünder!“
„Brennpunkt Brooklyn“ und „Der Exorzist“ waren große Erfolge des US-Regisseurs William Friedkin und es vergingen vier Jahre, bis er 1977 sein nächstes Projekt realisierte: Eine Neuverfilmung des Romans „Lohn der Angst“ aus der Feder Henri Georges Girards, erstverfilmt 1953 von Henri-Georges Clouzot. Der Film mit seinem damals opulenten 20-Millionen-Dollar-Budget floppte an den Kinokassen kolossal und war lange Zeit lediglich als verstümmelte Fassung zu haben.
Vier Männer mit kriminellem Hintergrund sind voneinander unabhängig in einen südamerikanischen Staat geflohen, in dem eine Militärdiktatur herrscht. Um sich dort wenigstens geringfügige Privilegien zu sichern, nehmen sie einen lebensgefährlichen Auftrag an: den Transport hochexplosiven Nitroglyzerins zu einer brennenden Ölquelle, die mit einer großen Explosion erstickt werden soll. Aufgrund falscher Lagerung droht die gefährliche Ladung, bei der kleinsten Erschütterung hochzugehen. Doch die Männer haben nicht mehr viel zu verlieren und treten ihre Reise quer durch den Dschungel mit Lastwagen an – den Tod sprichwörtlich immer im Nacken…
„Poza Rica ist tot!“
„Atemlos vor Angst“ beginnt direkt mit Mord und Bombenanschlag, Menschenjagd, Verhaftungen und Erschießungen. Das liegt u.a. daran, dass sich Friedkin in der von ihm autorisierten Fassung zunächst einmal die Zeit nimmt, nicht die vier Männer erschöpfend vorzustellen, sondern sie vielmehr über ihre Taten zu definieren: Auftragsmörder Nilo (Francisco Rabal, „Halleluja... Amigo“) erschießt jemanden, Kassern (Amidou, „Der Boss“) verübt einen Bombenanschlag in Jerusalem und Victor Manzon (Bruno Cremer, „Lärm & Wut“) ist ein verurteilter Pariser Wirtschaftskrimineller, der vor Antritt seiner Haftstrafe flieht. Ein vergleichsweise kleiner Fisch ist dagegen Scanlon (Roy Schneider, „Das fliegende Auge“), der sich als Fluchtwagenfahrer an einem Überfall auf ein Glücksspielbüro beteiligt, das sich in den Hinterzimmern einer Kirche befindet und in der Hand der Mafia ist. Bei der Flucht vor der Polizei kommt es zu einem schweren Unfall, den nur Scanlon überlebt, der sich ab sofort aber auf der Abschussliste der Mafia befindet.
Wer vollkommen unbedarft an den Film herangeht, wird Zeuge des realistisch umgesetzten Verkehrsunfall-Stunts, weiß aber ca. 20 Minuten lang noch nicht, in welche Richtung sich der Abenteuer-Thriller mit seinen wechselnden Drehorten entwickeln wird. Erst in Südamerika laufen die einzelnen Handlungsfäden zusammen und der Anschlag auf die Bohrtürme geht einher mit deftigen Bildern der Feuersbrunst und schwerverletzter brennender Menschen. Immer wieder begleiten Tumulte und Aufruhre die Exposition, bevor sich die vier Männer auf ihre schwierige Mission begeben. Die Reise durch den Urwald hält sodann manch Knüppel parat, der ihnen zwischen die Beine geworfen wird: marode Straßen und Wege, eine wenig vertrauenserweckende Hängebrücke, Wettergewalten und ihre Folgen sowie bewaffnete, wenig skrupelbehaftete Wegelagerer. All dies geht einher mit grandios ausdrucksstarken Bildern in Kombination mit einer sich zunächst sparsam doch bald unablässig und erbarmungslos entfaltenden Dramaturgie innerhalb einer schwülen, unwirtlichen Atmosphäre, in der die Grenze zwischen Leben und Tod jederzeit zu zerbersten droht und die Charaktere unweigerlich den Launen der Natur und des Umfelds unterliegen, beinahe zu Statisten degradiert werden. Sie sind ausgeliefert, Spielbälle des Systems, das sie schickt, der als feindlich empfundenen Natur und der Männer, die nach ihrem Leben trachten. Die Leistung, diese perfide Stimmung erleb- und fühlbar zu machen, macht Friedkin auf diese unaufgeregte, jede falsche Hektik vermeidende Weise so schnell niemand nach.
Er widersteht auch jeder Versuchung, das Quartett zu etwas hochzustilisieren, was es nicht ist; den Männern wird wenn überhaupt nur eine quälend langsame Weiterentwicklung zugestanden, vom Saulus zum Paulus avanciert hier niemand. Stattdessen regiert eine nihilistische Haltung und Weltsicht. Nur zaghaft nähern sich die Männer aneinander emotional an, stets bestraft von auf dem Fuße folgender Ernüchterung. Als Zuschauer ist man geneigt, wenn überhaupt noch am ehesten wirkliche Empathie für Scanlon zu empfinden, der diese Art schicksalhafter Strafe von allen am wenigsten verdient zu haben scheint. Dennoch hält Friedkin die Charakterzeichnungen auf ebenem Niveau und lässt damit kaum Zweifel an der Verlorenheit seiner Protagonisten. Dass dieser Umstand in der Rezeption durch den Zuschauer als sperrig empfunden wird, geht damit einher und dürfte ein beabsichtigter Effekt gewesen sein: „Atemlos vor Angst“ geht es nur sehr bedingt darum, Identifikationsmerkmale zu schaffen. So wenig man über die Hintergründe über die konkreten Anlässe zur Auslandsflucht hinaus erfährt, so sehr kann sich Friedkin der Aufmerksamkeit des Zuschauers aufgrund aller beschriebenen Formali- und Qualitäten gewiss sein, zu denen auch der experimentell-stimmige Soundtrack Tangerine Dreams zählt. Blutige Schusswechsel gegen Ende besiegeln das eine oder andere Schicksal und erhöhen noch einmal den Action-Anteil, bevor der offene Ausgang die negative Grundstimmung nicht verrät, indem er die letzte Konsequenz erahnen lässt.
Konsequenz ist auch ein gutes Stichwort, um diesen Film zu beschreiben, der aus seiner geradlinigen Handlung das Maximum herausholt, einige echte Charakterfressen als Darsteller gewinnen konnte und seinen kulturpessimistischen Nihilismus letztlich konsequent am damaligen Massenpublikums vorbei durchzog, anstatt die x-te Geschichte von Läuterung, Katharsis und Metamorphose zu erzählen. „Atemlos vor Angst“ bleibt die verfilmte Hoffnungslosigkeit, in der alles verliert, wer eigentlich nichts mehr zu verlieren hat und sich trotzdem noch an sein bisschen Leben klammert. Das ist nicht schön – und wird unter Friedkin zu einem verdammt guten, weil authentisch und realistisch anmutenden Film, wie er heutzutage nicht mehr möglich scheint.