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"Sorcerer" - Abgesang auf "New Hollywood" und Blick in die Zukunft

Als William Friedkin "Sorcerer" (wörtlich "Zauberer" -deutscher Titel "Atemlos vor Angst", um die Nähe zum bekannteren Vorgänger "Lohn der Angst" herzustellen) 1977 herausbrachte, waren nicht nur vier Jahre seit seinem letzten Film "The exorcist" (Der Exorzist) vergangen, sondern hatte er auch eine Vielzahl an Problemen bei der Fertigung seines neuen Films zu bewältigen. Zuerst musste er auf Steve McQueen verzichten, weshalb er Roy Scheider für die Hauptrolle besetzte, dann stellten sich die Dreharbeiten vor Ort als so schwierig heraus, dass er sowohl das Budget, als auch die Zeitvorgabe deutlich überschritt, auch weil er nicht bereit war, Kompromisse einzugehen. Mit welcher Konsequenz er vorging, wird allein daran deutlich, dass er "Tangerine Dream" bei der Komposition des Scores freie Hand ließ - sie sollten sich nicht nach Rahmenbedingungen richten, sondern unabhängig künstlerisch arbeiten können.

Das Ergebnis war mehr als ernüchternd. Die Kritik verriss den Film, der in den Kinos nur einen Bruchteil seiner Kosten wieder einspielte. In Deutschland kam "Sorcerer" zudem ohne Friedkins Autorisierung ummontiert und deutlich gekürzt in die Kinos, obwohl sogar Szenen verwendet wurden, auf die der Regisseur in der von ihm geschnittenen 118 Minuten langen Fassung verzichtet hatte. Der Grund dafür lässt sich leicht feststellen. Es sind die Szenen, die die größte Nähe zur ersten Verfilmung von Georges Arnauds Roman "Le salaire de la peur" - "Lohn der Angst" unter der Regie von Henri-Georges Clouzot aus dem Jahr 1953 - aufwiesen. Sieht man von der grundsätzlichen auf dem Roman basierenden Thematik ab, bemühte sich Friedkin um eine eigenständige Interpretation und Umsetzung, konnte aber aus dem langen Schatten des großen Vorbilds nicht heraustreten.


"Sorcerer" vs. "Le salaire de la peur"

Auch Clouzot hatte den Roman frei adaptiert, verfilmte ihn aber kurz nach dessen Erscheinen an der Schnittstelle zwischen Nachkriegsdepression und prosperierendem Wirtschaftswachstum, Anfang der 50er Jahre – ein Phase, die von Zukunftsglauben, aber auch von rücksichtsloser Ausbeutung geprägt wurde. Seine Protagonisten sind Gestrandete einer vergangenen Zeit, die versuchen, wieder Anschluss an die Zukunft zu finden. Um nicht als endgültige Verlierer zurück zu bleiben, sind sie bereit, sich zu erniedrigen und jedes Risiko dafür einzugehen. Die Einöde - von Clouzot im ersten Drittel seines Films eindringlich beschrieben - symbolisiert den inneren Stillstand, aus dem sie auszubrechen versuchen, aber es handelt sich um keinen Zufluchtsort wie in Friedkins Film.

Als der bis dahin ausschließlich als Dokumentarfilmer tätige Walon Green sein Drehbuch Mitte der 70er Jahre entwarf, musste er sich mit einer vollständig gewandelten Sozialisation auseinander setzen. Nach dem 2.Weltkrieg war alles dem Wirtschaftswachstum und einem ungebremsten Fortschrittsglauben untergeordnet worden, aber in Folge des Vietnamkriegs kam es zu Massen-Protesten, die das bisherige Establishment in Frage stellten. Eine allgemeine Ernüchterung trat ein, nachdem auch die Wirtschaft in eine Krise geriet und die Arbeitslosenzahlen stiegen. Nicht nur der Wachstumsglauben zeigte erste Nebenwirkungen, auch der seit drei Jahrzehnten andauernde "Kalte Krieg" hatte an vielen Orten der Welt neue Brennpunkte geschaffen, deren Folgen bis heute andauern. Auch Hollywood reagierte darauf, setzte jahrzehntelang gültige Codes außer Kraft und brachte politisch relevante Stoffe in die großen Kinos - später unter dem Begriff "New Hollywood" zusammen gefasst.

"Sorcerer" entstand während dieser Phase des wirtschaftlichen Niedergangs und gesellschaftspolitischer Proteste, aber die us-amerikanische Gesellschaft hatte inzwischen die Lust am kritischen Diskurs verloren, was in der Wahl Ronald Reagans zum US-Präsidenten 1980 gipfelte, der eine erneute ökonomisch bestimmte Zeit einläuten sollte. Hollywood war dem schon zuvor gekommen und setzte wieder verstärkt auf das reine Unterhaltungskino – entsprechend wirkte Friedkins „Sorcerer“ bei seinem Kinostart 1977 wie ein Relikt aus einer vergangenen Epoche. Zu verdanken ist dieser Eindruck auch dem inszenatorischen Kniff, der seinen Film vordergründig am deutlichsten von Clouzots Werk unterscheidet – die der Handlung vorangestellten Biografien der vier Protagonisten, von der jede für einen eigenen Themenbereich steht: die steigende Gewalt im „Nahen Osten“, das Ende des ungebremsten wirtschaftlichen Aufschwungs, die Bandenkriminalität und die zunehmende Korrumpierung der us-amerikanischen Gesellschaft.

Im Vergleich zu dem Bombenattentäter Kassem (Amidou), dem Auftragskiller Nilo (Francesco Rabal), sowie Victor Manzon (Bruno Cremer) als betrügerischem Wirtschaftsboss, wirkt Jackie Scanlons (Roy Scheider) Beteiligung an einem Überfall einer Bingo-Geldsammelstelle eher gewöhnlich, aber Friedkin gelingt in dieser kurzen Sequenz das eindringliche Bild einer maroden Sozialisation, fernab jeder Hollywood-Idealisierung. Während der Priester bei einer Hochzeit eine verlogene Moral predigt, werden in den Hinterzimmern der Kirche die Einnahmen aus dem Bingo-Spiel gezählt, das von der Mafia kontrolliert wird. Zwar gelingt der Raub, aber bei der Flucht vor der Polizei verunglückt ihr Wagen so schwer, dass nur Scanlon ohne Beute entkommen kann. Doch die Organisation verzeiht keinen Eingriff in ihre Hoheitsrechte, weshalb ihm nur die Flucht in einen abgelegenen und verwahrlosten Ort in Südamerika bleibt, wo er auf die anderen Männer trifft. Die Besetzung Roy Scheiders anstatt des coolen Steve McQueen erscheint aus heutiger Sicht ideal, denn Scanlon ist zwar fähig und abgeklärt, aber in seiner Heimat ein Verlierer, der in die Mühlen aus wirtschaftlicher Notlage und Kriminalität geriet. Scheider gelingt es, auch Scanlons Schuld an dieser Situation zu vermitteln.

Diesen vier der Handlung vorangestellten „Biografien“ gilt die häufigste Kritik im Vergleich zu Clouzots „Lohn der Angst“, der bewusst auf nähere Hintergründe seiner Protagonisten verzichtete, um den existentialistischen Charakter seines Films noch zu betonen. Die Vergangenheit existierte nur noch in ihrer Erinnerung, Stillstand war gleichbedeutend mit dem Tod und für die Chance auf eine Zukunft waren sie bereit, ein hohes Risiko einzugehen. Friedkin hätte diese Konstellation nachspielen können, aber Mitte der 70er Jahre war sie nicht mehr authentisch. Die vergangenen Jahrzehnte haben ihre Spuren hinterlassen – der Zufluchtsort ist eine elende Ansammlung baufälliger Baracken, die Arbeitskraft und Gesundheit seiner Bewohner wurde von der nahe liegenden Raffinerie ausgebeutet und der restriktive südamerikanische Staat laviert zwischen Kapitalinteressen gegenüber der Ölgesellschaft und einer stärker werdenden Opposition. Das gilt auch für die vier Männer, die ihrer Vergangenheit nicht entkommen können und die auch keine Zukunft mehr haben. In Clouzots „Le salaire de la peur" existierte noch die Illusion, in der Heimat neu anfangen zu können, in „Sorcerer“ geht es nur noch darum, an einem anderen Ort unter halbwegs menschlichen Bedingungen weiter zu existieren.

Deshalb war es konzeptionell falsch, die Hintergründe der vier Männer verzahnt mit dem späteren Geschehen zu schildern, wie es die eigenmächtige deutsche Fassung vorsah. Damit wird eine Nähe zu den Protagonisten vorgegaukelt, die Friedkin mit seiner Trennung von der eigentlichen Handlung vermeiden wollte. In der Vergangenheit liegt zwar der Auslöser für ihre Bereitschaft, ein hohes Risiko einzugehen, aber das Kernstück der Handlung – der LKW-Transport durch den Dschungel – hat einen autarken Charakter, den Friedkin noch damit betont, das er einige Szenen ausschließlich mit der Tangerine Dream - Musik unterlegte. Basierend auf den treibenden elektronischen Beats, die sie in ihrem ein Jahr zuvor erschienen Album „Stratosphere“ erstmals verwendeten, entwickelte die Band eine treibende Kraft, die keine Erlösung versprach, sondern die fortschreitende Zersetzung spürbar werden ließ. Zurecht verzichtete Friedkin im Filmtitel auf den Begriff der „Angst“, denn anders als in „Le salaire de la peur" wird hier die Angst, die bei Clouzot mit Händen greifbar wurde, noch von einer nihilistischen Haltung übertroffen, die einen Freudesausbruch, wie er Yves Montand am Ende von „Le salaire de la peur" zum Verhängnis wird, nicht vorstellbar werden lässt.


Auch wenn sich das Grundgerüst der beiden Filme ähnelt, verdient Friedkins Interpretation eine unabhängige Beurteilung. Clouzots Film ist in der Demaskierung der menschlichen Existenz zeitlos, Friedkins Gewicht liegt stärker auf einer sich selbst zerstörenden Sozialisation, die nichts an Aktualität verloren hat. In der Einbeziehung realer Vorkommnisse und Missstände, liegt zwar die Gefahr von Oberflächlichkeit und Berechenbarkeit, aber Friedkin urteilt nicht. Das Urteil verdeutlicht sich in der so egoistischen wie fatalistischen Haltung der Männer, die sich selbst in ihre hoffnungslose Situation gebracht haben, bereit sind, gegen eine hohe Bezahlung ein lebensgefährliches Risiko einzugehen, um doch bis zum letzten Atemzug zu kämpfen. In dieser Intention ist „Sorcerer“ unemotionaler und sperriger als „Le salaire de la peur", der immerhin noch tragische Momente zulässt. Friedkins knapp zweistündige Fassung entwickelt dagegen das Bild einer Technokratie, untermalt von der elektronischen Musik Tangerine Dreams, die die Verhaltensweisen der Menschen bestimmt. Der Kampf gegen die Widrigkeiten des Dschungels und die Überquerung des Flusses über eine Hängebrücke, verspricht weder Lohn, noch Chancen, sondern gaukelt nur noch einen Freiraum vor – „Sorcerer“ hat ganze Arbeit geleistet (9/10).

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