„Wissen Sie, was dieses Zementparadies gekostet hat? 400 Mrd. Lire!“ – „Und 59 mal Mord und Totschlag!“ – „63 nach dem heutigem Stand.“
Mit „Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert“ erschuf der italienische Regisseur Damiano Damiani („Der Tag der Eule“) im Jahre 1971 den Auftakt zu einer mehrere in der damaligen Gegenwart angesiedelte Filme umfassenden Reihe von Polizei-/Mafia-/Polit-Thrillern. Damit war er sogar noch früher dran als Steno mit seinem „Das Syndikat“, der als der erste klassische Poliziesco gilt.
Der desillusionierte sizilianische Commissario Bonavia (Martin Balsam, „Hexensabbat“) kämpft schon lange verzweifelt gegen den Bauunternehmer und Mafiaboss Lommuno (Luciano Catenacci, „Malastrana“). Als er endgültig den Glauben an die Macht des Rechtsstaats verloren hat, befreit er Lommunos Todfeind Li Puma (Adolfo Lastretti, „Das Lied von Mord und Totschlag“) aus einer Klinik, auf dessen Blutrache spekulierend. Doch obwohl hieraus tatsächlich ein Blutbad resultiert, bleibt Lommuno am Leben und kann weiterhin ungehindert seinen korrupten Geschäften nachgehen und unliebsame Gegner durch Morde aus der Welt schaffen. Mit dem jungen, noch fest an den Rechtstaat glaubenden Traini (Franco Nero, „Django“) wird ein Staatsanwalt auf den Fall angesetzt, der bald mit Bonavia aneinander gerät...
Staatsanwaltschaft vs. Polizei vs. Mafia – das ist der Stoff, aus dem Damianis bittere Pille ist, die er dem Publikum zu Beginn der 1970er-Jahre zum Fraß vorwarf. „Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert“ ist eine tiefgehende Momentaufnahme italienischer Mafiaverstrickungen, zeigt auf intelligente Weise deutlich ihre Strukturen auf und wie die Verbindungen zwischen Politik und Mafia zum Leidwesen der Bevölkerung funktionieren, wer von wem profitiert und weshalb die Polizei auf legalem Wege machtlos ist. Die Mafia tritt bei Damiani nicht in Form finsterer Typen in Erscheinung, sondern trägt das Sunnyboy-Lächeln eines erfolgreichen Baumagnaten spazieren – der seine Gegner gern in die Betonpfeiler seiner Neubauten einmauern lässt, die er auf ehemaligem Ackerland errichtet. Diese Grundstücke kauft er für geringe Beträge, lässt sie von der korrupten Politik in wertvolle Wohnungsbauflächen umwandeln und errichtet Luxusbauten zu horrenden Preisen. Damit sind die Mafia-Motive einmal außerhalb sonst gern üblicher Drogen-, Prostitutions- und Glücksspielmilieus angesiedelt worden und stehen im Prinzip stellvertretend für das Kapital, das über Leichen gehend stets versucht, das Maximum aus dem Volk herauszupressen, sich an ihm zu bereichern. Mit politischer Rückendeckung wird so ein Klima von Angst und vorauseilendem Gehorsam erzeugt, die eigenen Arbeiter werden ausgebeutet und Ambitionen, Gewerkschaften zu gründen, im Keim zerschlagen. Da die Korruption bis in die höchsten Ebenen reicht, fehlt jeder erfolgversprechende Ansatz, wirksam und nachhaltig etwas gegen die Missstände zu unternehmen.
Soweit das traurige Bild, das Damiani von seiner Heimat auf Leinwand bannt und ihr damit einen Spiegel vorhält. Bei der Besetzung bewies er ein perfektes Händchen, denn Balsam spielt den im Laufe der Jahre zynisch gewordenen Bonavia, der manch markigen, sarkastischen Spruch auf Lager hat, mit einer Feinfühligkeit, die es schafft, die innere Zerrissenheit des nach außen häufig abgeklärt wirkenden Mannes begreifbar und nachvollziehbar zu machen, statt einen eindimensionalen Law-and-Order-Rambo oder einen seine Wut an anderen auslassenden Unsympathen zu präsentieren. Als sein Gegenpart wird Staatsanwalt Traini eingeführt, dessen Argumentationen und Beweggründe ebenso nachvollziehbar sind wie die Bonavias, wenngleich der Zuschauer weiß, dass ein hohes Maß an aus Unerfahrenheit resultierender Naivität mit ihnen einhergeht. Franco Nero beweist in dieser Rolle, dass er prinzipiell alles spielen kann und schafft es (wie so oft), trotz deftigstem Oberlippenspoiler nicht wie ein reaktionärer Idiot auszusehen. Sein Traini steht ihm gut zu Gesicht, Glaubwürdigkeitsprobleme gibt es keine; niemand erwartet, dass er jeden Moment zu „Django“ werden und ein Maschinengewehr aus seiner Aktentasche zaubern würde. Diese Zweierkonstellation tritt nach einem actionreichen, an klassische Gangsterfilme erinnernden Beginn eine dialoglastige, komplexer werdende Handlung los, die dem Zuschauer Bonavias Entwicklung aufzeigt und mit Rückblenden arbeitet. Nero wird zum Katalysator, der Bonavia alles Relevante ausplaudern lässt. Diese Konversationen münden in Streitgesprächen bis hin zu Brüllattacken, die verdeutlichen, wie ähnlich sich beide eigentlich grundverschiedenen Männer sind, wenn sie die Leidenschaft unter Beweis stellen, mit der sie sich ihrer jeweiligen Sache verschrieben haben. All diese Dialoge machen aus „Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert“ keinesfalls einen trockenen, anstrengenden Film, sondern werden intelligent und emotional konzipiert. Sie werden von Damiani genutzt, um eine nicht nur kritische, sondern auch wahrlich spannende Geschichte zu erzählen, die bis zur letzten Sekunde fesselt. Anspruch trifft auf Dramatik trifft auf Melancholie und Tragik, jeweils wunderbar stimmig musikalisch untermalt von Riz Ortolanis Soundtrack. Sogar für ein wenig gelungenen Humor wurde Platz gefunden.
Das letzte Drittel bleibt dem Realismus des Films streng verhaftet (im wahrsten Sinne...). Das destruktive, doch innerhalb des gesellschaftlichen Klimas nachvollziehbare Misstrauen zwischen Bonavia und Traini – niemand nimmt dem anderen seine hehren Motive ab – nützt letztlich keinem von beiden. Auch Serena Li Puma (die wunderschöne Marilù Tolo, „Themroc“), die Schwester des von Bonavia befreiten Attentäters, kann nicht gerettet werden. Viel mehr verraten möchte ich an dieser Stelle nicht, außer dass Nello Pazzafini als finsterer Knastbruder noch entscheidende Rolle spielt.
Damianis Film ist kein Plädoyer für Selbstjustiz, sondern eines gegen Korruption und entfesselten Kapitalismus, dessen Gefahren er aufzeigt. Dadurch läuft „Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert“ nie Gefahr, faschistoid oder anderweitig politisch fragwürdig zu werden. Gewalt wird nicht glorifiziert, Bonavias letzte Tat kommt so nüchtern und unspektakulär wie nur möglich daher. Es ist der Verfall der Rechtsstaatlichkeit auf allen Ebenen und damit in letzter Konsequenz eines solidarischen gesellschaftlichen Miteinanders, was Damiani als Resultat aus Vorteilsnahme, Korruption und der Macht des Kapitals in seiner Weitsichtigkeit porträtiert, ohne popularistische Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen und damit Gefahr zu laufen, sich ideologisch vereinnahmen zu lassen. Laut Franco Nero wurde Damianis eindrucksvolle Studie zu einem der erfolgreichsten italienischen Spielfilme überhaupt – was mich ebenso freut wie ich es gut nachvollziehen kann. Komplexe Themen kritisch anzuprangern und dabei ebenso intelligent wie leidenschaftlich und unterhaltsam vorzugehen, scheint eines der besonderen Talente der italienischen Filmindustrie in den 1970ern gewesen zu sein. Ein großartiger Film!