Damiano Damianis "L'istruttoria è chiusa: dimentichi" (Das Verfahren ist eingestellt : Vergessen Sie' s!) nimmt innerhalb seiner zwischen dem Ende der 60er und Mitte der 70er Jahre entstandenen Polit - Thriller eine Sonderstellung ein. Befassten sich "Il giorno della civetta" (Der Tag der Eule, 1968) und "La moglie più bella" (Recht und Leidenschaft, 1970) noch mit den inneren Strukturen der Mafia und ihren Verpflechtungen in der Gesellschaft, waren "Confessione di un commissario di polizia al procuratore della repubblica" (Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauerte, 1971), "Perché si uccide un magistrato ?" (Warum musste Staatsanwalt Traini sterben ?, 1976) und "Io ho paura" (Ich habe Angst, 1977) auf der Seite der Ermittler angekommen, die unter Lebensgefahr versuchten, gegen die zunehmende Unterwanderung des Rechtsstaates anzukämpfen.
Seine Filme entwickelten sich zu einer immer generelleren Betrachtung dieser Situation - weg von den kleinstädtischen Mafia - Clans, hin zu einer Gesellschaft, die bis in die höchsten politischen Ämter infiltriert wurde. Franco Nero übernahm in den meisten dieser Filme die wichtige Rolle des Kämpfers gegen einen überlegenen Feind - zuerst noch als einfacher Polizist, später als Staatsanwalt - der in der Regel allein versucht, dessen Machenschaften zu unterbinden. Damiani machte aus seiner pessimistischen Haltung kein Geheimnis, aber in Neros engagierten Rollen verbarg sich noch ein letzter Rest Anstand und Unbestechlichkeit und damit die Hoffnung, die Situation noch ändern zu können. Allein schon die Tatsache, dass Jemand dagegen ankämpfte, hielt diese Illusion aufrecht, so demoralisierend das Ergebnis oft auch war.
Mit diesen gleichzeitig hintergründigen und aktionistischen Polizeifilmen hat "L'istruttoria è chiusa: dimentichi" scheinbar nur wenig gemeinsam. Fast intim und bis auf die letzten Minuten nur in einem Gefängnis spielend, entwickelt der Film eine Story, die auf jede Einleitung oder einen übergeordneten Rahmen verzichtet. Der Architekt Vanzi (Franco Nero) kommt ins Gefängnis und wird nach einem kurzen Gespräch mit dem Gefängnisdirektor (Ferruccio De Ceresa), der ihn einen Moment lang mit einem Mörder verwechselt, in eine Zelle gesteckt. Zuerst noch allein, gerät er bald in eine Gemeinschaftszelle, besetzt von Schwerverbrechern, darunter Piro (John Steiner), der mehrfach lebenslänglich verurteilt wurde.
Trotz einiger vertrauter Genre - Elemente, ist Damiani an keinem klassischen Gefängnis-Film interessiert, auch nicht an einer Kritik an den Zuständen innerhalb der Gefängnismauern, sondern er nutzt den begrenzten Raum, um von innen heraus ein Gesellschaftsbild zu entwickeln, das zusammenfasst, was seine anderen Polit - Thriller im Detail behandeln. Der Betrachter erfährt dabei immer nur so viel, wie sein Protagonist, aus dessen Blickwinkel der gesamte Film erzählt wird. So wird es auch nicht ersichtlich, wie sein Anwalt versucht, die Vorwürfe zu entkräften, Vanzi hätte bei einem Unfall einen Menschen getötet, weshalb er in Untersuchungshaft kam. Deutlich wird dagegen, dass er zum passiven Spielball von Interessen wird, die er nicht kennt.
Wenig überraschend ist in diesem Zusammenhang, dass es in dem älteren Häftling Campoloni (Georges Wilson) eine Art Paten gibt, der in souveräner Form die Geschicke aller Anwesenden leitet. Auch Vanzi, dessen Profession als Architekt ständig erwähnt wird und damit dessen gehobene bürgerliche Stellung, wendet sich an ihn, als er sich in seiner Zelle bedroht fühlt, um ihn um eine Verlegung zu bitten. Damit begibt er sich in eine Abhängigkeit, deren Folgen er noch nicht ermessen kann. Damiani verzichtet konsequent auf Hintergrundinformationen, zeigt keine konkreten Verbindungen oder Machtstrukturen auf, lässt aber zunehmend erkennen, das alles was im inneren Bereich des Gefängnisses geschieht, von außen beeinflusst wird. So begrenzt die Räume sind, so unwichtig der einzelne Häftling scheint, so wesentlich kann deren Schicksal für die Machtinteressen bestimmter Gruppen sein.
In dieser Konstellation ähnelt der Film Damianis anderen Polit-Thrillern, aber der entscheidende Unterschied liegt in der Rolle Franco Neros. Das er hier keinen Vertreter des Staates spielt, sondern einen normalen, wenn auch angesehenen Bürger, ist nur ein äußerlicher Aspekt, denn Vanzi, als er erkennt, das man ihn dazu benutzen will, seinen Mitinsassen Pasenti (Riccardo Cucciolla) zu verraten, beginnt sich zu wehren. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er keinen souveränen Eindruck hinterlassen, hatte sich mit seinem Geld Privilegien erkauft, die dem verheirateten Mann auch Sex mit einer Insassin des benachbarten Frauengefängnisses in der Krankenstation ermöglichten, und wurde nicht wirklich ernst genommen von den meisten seiner Mithäftlinge. Allerdings hatte er bisher nur versucht, irgendwie zurecht zu kommen, aber als Pasenti sich ihm anvertraut, wird er Zeuge eines großen Komplotts und begreift, dass dieser in Lebensgefahr schwebt.
Einen Moment zeigt Franco Nero auch in "L'istruttoria è chiusa: dimentichi" wieder Anstand und Unbestechlichkeit, aber diesen Eindruck zerstört Damiani unmittelbar. Vanzis Situation im Gefängnis erlaubt keinen Widerstand und er erfährt schnell, was dem geschieht, der sich nicht an die ungeschriebenen Gesetze hält. Dass Franco Nero in gewohnt überzeugender Manier diese Rolle übernahm, zudem optisch und im Gestus den Gesetzesvertretern in Damianis anderen Filmen ähnlich, lässt erkennen, wie gut dieses System aus Bedrohung und Belohnung funktioniert und wie schwach der Einzelne ist.
Im Vergleich zu seinen Polit-Thrillern und Polizeifilmen, die in dieser Phase großer politischer Auseinandersetzungen in Italien entstanden waren, ist "L'istruttoria è chiusa: dimentichi" heute eher unbekannt, obwohl er sich thematisch eingliedert. Vielleicht ist dieses der Kritik an einem gebildeten Bürgertum geschuldet, das sich zunehmend aus der Verantwortung stahl und ins Privatleben zurückzog. Es ist deshalb weniger die Begrenztheit des Handlungsraums, noch der fehlende Blick aus der Totalen, der den Unterschied ausmacht, als der Verzicht auf jeden Hoffnungsschimmer, mit dem Damiani seinen Film beendet. Dabei schließt er mit einer fröhlichen, ausgelassenen Szene und einem selbstbewusst schwadronierenden Protagonisten im Mittelpunkt - doch dieser hat jeden Mut und Anstand verloren (9/10).