Review

Der italienische Filmemacher Damiano Damiani genießt ganz zu recht einen sehr guten Ruf unter seinesgleichen. Zu verdanken hat er dies seinem Gespür für gute Thriller, die er seit Ende der Sechziger bis in die Achtziger hinein drehte und stets mit einer politischen Note versah. Seinem Höhepunkt, die legendäre Mini-Serie „Allein gegen die Mafia“, gingen längst anerkannte Klassiker wie „Der Tag der Eule“, „Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert“, „Warum mußte Staatsanwalt Traini sterben?“ und auch „Das Verfahren ist eingestellt: Vergessen Sie's!“ voran. Als Meister dieses Fachs rief ihn später auch Hollywood zu einer Stippvisite herüber, doch „Amityville II: The Possession“ war nicht mehr als ein effektverliebtes Horrorsequel dem Damiani abseits seines Metiers keine neuen Seiten abgewinnen konnte.

Abgestimmt mit Maestro Ennio Morricone steckt Damiani nach seinem eigenen Drehbuch Italiens Filmikone Franco Nero („Django“, Keoma“) in U-Haft. Der Ingenieur aus gutem Hause soll nach einem Verkehrsunfall Fahrerflucht begangen haben, beteuert aber seine Unschuld und wird trotzdem erst einmal ins Gefängnis bugsiert, wo er eine völlig neue Welt kennen lernt und die ist keine schöne...

Ausgerechnet der wandelbare Nero, mit dem man nahezu grundsätzlich knallharte, souveräne Figuren in Verbindung bringt, nimmt sich hier einmal vornehm zurück und überzeugt mit einer grandiosen Vorstellung des zerbrechlichen Vanzi, der in dieser von Korruption und Machtmissbrauch beherrschten Welt sich seine Moral zu bewahren versucht und den harten Knastalltag kennen lernt. Die Mafia hat längst ihren Paten hier eingeschleust, leitet damit eigentlich das Gefängnis und stellt den wirklichen Direktor nur als Präsentationsfigur aus.

Damiano Damiani schafft vielleicht keinen „Midnight Express“ aber ganz sicher einen der besten Knastthriller, den Italien jemals hervorgebracht.
Die in Vanzi wachsende Paranoia und Angst wird durch die kargen, hässlichen Zellen und die Unpersönlichkeit des gesamten Baus nur noch verstärkt. Zusammen mit Mördern (u.a. John Steiner in einer Nebenrolle als gefährlicher Killer in Diensten der Mafia) und Psychopathen in eine Zelle gesteckt, muss er um sein Leben fürchten, wollen die ihn doch entweder ausnutzen oder einfach umbringen. Man hält ihm Fotos seiner Familie unter die Nase und droht mit Folgen, falls er sich nicht beugt und als nützlich erweist.
Seine verzweifelten Versuche den draußen anerkannten gesellschaftlichen Regeln dort treu zu bleiben, enden schließlich mit der Erkenntnis, dass er auch im Gefängnis nicht alles mit Geld kaufen kann, wenn die Mafia es nicht erlaubt.

Überaus kritisch und vor allem bis zur letzten Szene mit einem negativen, bitteren Beigeschmack schildert Damiani die geduldete Korruption des Justizapparats und knüpfte damit an die damalige Aktualität bestochener Politiker, Justizbeamter und Richter in Italien an, die selbst lieber unzählige Prozesse führen und sich nicht um die Haftbedingungen scheren.
Die Mafia lässt dort nach Belieben Insassen zusammenprügeln oder möglicherweise gefährliche Zeugen vor Prozessen mundtot machen und demonstriert ihre Macht mit einem simplen Aufstand. Baff von den ungeheuerlichen Vorgängen arrangiert sich der eingeschüchterte Vanzi schließlich mit dem Insassen Salvatore Rosa (Claudio Nicastro). Dieser so höfliche und nach außen hin freundliche Mensch ist, eingesetzt von der Mafia, ist der wahre Leiter des Gefängnisses, der selbst die Wärter wegen Gefälligkeiten fest in seiner Hand hält und Vanzi Vergünstigungen zukommen lässt. In einer ruhigen, sauberen Zelle trifft er dort auf Pesenti (Riccardo Cucciolla, „Ein Polizist“, „Tote pflastern seinen Weg“) und der ist ein Kronzeuge, der die Bestechung abgelehnt hat...

Ob die schwere Misshandlung des alten Mannes, die dramatische Sterbeszene auf der Krankenstation oder vor allem der Schnitt in die Pulsadern, den man dann als Selbstmord darstellt, indem man Vanzi die letzte Chance gibt sich aus dem Gefängnis freizukaufen, einige Szenen brennen sich förmlich ins Langzeitgedächtnis aufgrund ihrer expliziten Inszenierung ein.

Wie nach und nach klar wird, ist Vanzi nur ein Mittel zum Zweck, eine ehrliche Figur von draußen, die nur dafür missbraucht wird, einem Mord einem glaubwürdigen Anstrich zu verpassen, damit er wie ein Selbstmord aussieht und keine weiteren Fragen gestellt werden.
Bis Vanzi zu dieser Erkenntnis kommt, dauert es aber. Obwohl Rosa einiges für ihn ermöglicht, will er sich nicht verkaufen, bekommt die Quittung dafür als er in die Dunkelzelle gesteckt wird und ihm alle Privilegien gestrichen werden. Erst als er von dort gebrochen zurückkehrt, gesteht er sich seine Machtlosigkeit gegenüber dieses brutalen Systems ein und fügt sich schließlich seinem Schicksal, indem er den Befehlen gehorcht und falsch aussagt, nur um das Gefängnis verlassen zu können und wieder in sein normales Leben zurückzukehren. Die Moral weicht schließlich der Unmoral, nur um seine eigene Haut zu retten.

Sehr böse schlägt Damiano Damiani letztlich noch mit seinem Schlussstrich nach, als Vanzi auf seiner Yacht großspurig erzählt ein Buch über seinen Aufenthalt im Knast schreibt, sich mit der Beschreibung seines Aufenthalts längst fernab der Realität bewegt und Pesentis Tochter verschämt eine Lüge über den Tod ihres Vaters auftischt...

Schonungslos und dem Einvernehmen nach auch sehr authentisch eckt Damiano Damiani ziemlich mutig überall an und sollte dies auch in den folgenden Jahren fortsetzen. Passiert ist ihm nie etwas, obwohl ich mir gut vorstellen kann, dass seine Filme in diversen Kreisen kaum auf Wohlwollen stießen, denn so ehrlich und direkt, wie er sich hier ausdrückt, haben das nur wenige Filmemacher Italiens zu dieser Zeit gewagt.


Fazit:
Damiano Damianis sehr überzeugender „Das Verfahren ist eingestellt: Vergessen Sie's!“ reiht sich zielsicher und kritisch tönend in seine Reihe respektabler Thriller ein. Der Regisseur lässt sich nicht verbiegen und inszeniert stur wie authentisch die tatsächlichen Zustände im italienischen Vollzug und die Allmacht der Mafia, die mögliche Prozesse schon dort abwürgen, indem sie wichtige Zeugen entweder bestechen oder töten lassen.
Mit einigen markeschütternden Momenten und einem fabelhaften Franco Nero versehen, werden Italo-Fans mit diesem schonungslosen, brutalen Film, dessen Intelligenz man dabei nie unterschätzen sollte, gewiss auf ihre Kosten kommen. Wenn auch bisweilen etwas plakativ im Umgang mit Gewalt, wurde der Film top besetzt. Damiano Damiani selbst spielt übrigens die Nebenrolle des Anwalts. Es gibt sicherlich noch intensivere Filme, aber gemessen an den Möglichkeiten, ist „Das Verfahren ist eingestellt: Vergessen Sie's!“ ein sehr überzeugender Thriller geworden.

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