"Il giorno della civetta" (Der Tag der Eule) ist nicht nur der erste Mafiafilm Damiano Damianis und der Beginn seiner langjährigen Zusammenarbeit mit Franco Nero, sondern hat sich auch ganz allgemein den Ruf bewahrt, einer der ersten Filme zu sein, die sich kritisch mit der Mafia und den Auswirkungen auf Italien auseinander setzten. Dieser Eindruck ist keinesfalls falsch, obwohl Elio Petri mit "A ciascuno il suo" (Zwei Särge auf Bestellung) ein Jahr zuvor schon einen Roman Leonardo Sciascias verfilmte, und sich Francesco Rosi 1962 mit "Salvatore Giuliano" ebenfalls mit den Verhältnissen auf Sizilien beschäftigte. Doch die Romanvorlage Sciascias, derer sich Damiani in seinem Film annahm, stammt aus dem Jahr 1961 und verdeutlicht noch heute sehr schön, wie sich die Form der Kritik nicht nur an den mafiösen Verhältnissen, sondern an der gesellschaftlichen Situation in Italien insgesamt mit den Jahren veränderte.
Der Sizilianer Sciascia beschrieb in „Il giorno della civetta“ die Geschehnisse in einem kleinen sizilianischen Ort noch in seiner unmittelbarsten Form. Don Mariano Arena (L.J.Cobb) ist der angesehenste und mächtigste Bürger der Stadt, der für Arbeit sorgt und über beste Verbindungen zu den Abgeordneten der Christlichen Partei in Palermo verfügt. Um ihn herum hat sich ein dichtes Netzwerk gebildet - aus Vasallen, die sich um die Drecksarbeit kümmern, aus Bauunternehmern, die von Arena profitieren, der ihnen öffentliche Aufträge zuschanzt, und letztlich aus den einfachen Bürgern, die auf diese Weise Lohn und Brot erhalten. Darin könnte man noch ein soziales System erkennen, wenn Don Arena nicht an allen Geschäften beteiligt wäre. Um entsprechende Profite einzuheimsen, wird an der Qualität der Baustoffe gespart, wodurch es immer wieder zu Unfällen kommt – eine Thematik, der sich Francesco Rosi 1963 in „Le mani sulla città“ am Beispiel einer italienischen Großstadt widmete.
Der Blick in „Il giorno della civetta“ blieb aber auf die Kleinstadt beschränkt, da es Damiani und Sciascia um die Abhängigkeiten innerhalb dieser kleinbürgerlichen Struktur ging. Der Einzelne hat keine Möglichkeit aus diesem System auszuscheren, da er auf diese Art sofort zum Außenseiter und damit Geächteten wird. Prinzipiell gilt das für jede Gemeinschaft dieser Größenordnung, aber durch die kriminellen Ziele der Mächtigen und deren rigorosen Maßnahmen, entwickelt sich eine Atmosphäre der Angst, der sich keiner der Einwohner entziehen kann. Am Beispiel von Rosa Nicolosi (Claudia Cardinale) wird das deutlich, deren Mann nach dem Mord an einem ungehorsamen Bauunternehmer plötzlich verschwunden ist. Sein „Vergehen“ begründete sich auf der Tatsache, dass sein Haus in der Nähe des Tatorts lag, und er zufällig Zeuge des Geschehens wurde. Obwohl Rosa Nicolosi keinerlei Ambitionen hatte, das bestehende System in Frage zu stellen, wird sie zum Opfer, da Don Arena den Befehl gibt, ihren Ruf zu diskreditieren, um der Polizei so ein Tatmotiv zu liefern.
Das er überhaupt zu solchen Maßnahmen gezwungen wird, liegt an der einzigen katalytischen Figur, die Damiani hier auftreten lässt – den Polizei-Kapitän Bellodi, der neu an diesen Ort versetzt wurde und der nicht aus Sizilien stammt. Franco Nero spielt ihn entsprechend mit einer gewissen Arroganz, die auch nicht davor zurückschreckt, selbst unlautere Methoden anzuwenden, um das Netz der „Omerta“ - des Schweigens - zu durchbrechen. Dieser Polizeioffizier ist prinzipiell eine künstliche Figur, die auf Grund fehlender Abhängigkeiten (Bellodi hat zudem keine Familie) in der Lage ist, intellektuell mit den Verflechtungen an diesem Ort umzugehen. Strategisch geschickt vorgehend, gelingt es ihm langsam, Strukturen aufzubrechen, wodurch er auch Don Arena unter Druck zu setzen vermag. Indem sie der Mafia an diesem Ort einen echten Gegner gegenüber stellten, machten Damiani und Sciascia erst deutlich, dass selbst eine solche, nur wenig realistische Konstellation, letztlich nur wirkungslos an den bestehenden Verhältnissen verpufft. Don Arena kann sich sogar die Großzügigkeit leisten, einen geplanten, aber nicht mit ihm abgestimmten Anschlag auf Belloni wieder zurück zu pfeifen.
Vergleicht man „Il giorno della civetta“ mit späteren Filmen Damianis zu diesem Thema oder mit Sciascias folgenden, auch von Elio Petri und Francesco Rosi verfilmten Werken, dann fällt auf, dass sie nie wieder das Prinzip eines äußeren, unabhängigen Standpunktes anwendeten, für den Belloni hier steht. Natürlich veranschaulicht der Film sehr genau die inneren Strukturen, zeigt die Zwänge des Einzelnen auf, beschränkt sich aber in der Beschreibung der unter diesen Verhältnissen Leidenden nur auf wenige Individuen – den Bauunternehmer, der keinen Pfusch abliefern will, die Ehefrau, deren Mann Pech hatte, und der kleine Spitzel (Serge Reggiani), der nicht begriffen hat, wohin er gehört. Alle Anderen scheint es dagegen gut zu gehen in diesem System. Die Empörung des Betrachters angesichts dieser ungesetzlichen Situation, entsteht nur aus dem Blickwinkel seines Stellvertreters im Film, Franco Nero, nicht aber in der Identifikation mit der Bevölkerung des kleinen Ortes.
Dank seiner Direktheit und klaren, Spannung erzeugenden Erzählstruktur, hat sich „Il giorno della civetta“ eine gewisse Popularität und Zugänglichkeit bis heute bewahrt, die aber nicht übersehen lässt, dass dem Film die Subtiliät eines „A ciascuna il suo“, indem die Identifikationsfigur aus der Mitte der sizilianischen Gesellschaft kommt, oder Damianis folgendem Film „La moglie più bella“ von 1970 fehlt. Dort spielen Polizei und Mafiabosse nur noch eine Nebenrolle, denn Damianis Blick gilt den generellen Auswirkungen auf eine Sozialisation, unter der letztlich Alle leiden, selbst wenn Einzelne vordergründig davon profitieren. Zudem verließen sowohl Damiani, als auch Sciascia die Zelle der sizilianischen Kleinstadt und begriffen das Mafia-System als eine übergreifende, politisch relevante Kraft, die sich auf das gesamte Land auswirkte. Unabhängig davon, bleibt „Il giorno della civatta“ relevant in seiner detaillierten und kritischen Beschreibung eines Systems, und damit der gelungene Ausgangspunkt Damiano Damianis und seines Autors Leonardo Sciascia (7/10).