Der blöde deutsche Titel Krass verleitet nicht unbedingt zum Reinschauen. Was schade ist, denn es entgeht einem sonst einiges. Wenn auch höchst Seltsames und Skurriles.
Die 70er: Der junge Augusten Burroughs (Joseph Cross) wächst nicht gerade in geordneten Verhältnissen auf: Seine Mutter Deirdre (Annette Bening), eine unveröffentlichte Poetin, liebt ihn zwar, ist aber völlig weltfremd und lebt nur für ihre Kunst. Zur Schule schickt sie ihn nur hin und wieder mit der Begründung, sie würde sonst verhaftet werden. Sein Vater Norman (Alec Baldwin) ist Alkoholiker, fetzt sich mit seiner Mutter oftmals vor ihrem Sohn und nimmt bei der nächstbesten Gelegenheit Reißaus.
Jahre später hat der höchst obskure Psychiater Dr. Finch (Brian Cox) Deirdre in die Tablettenabhängigkeit getrieben und macht auch sonst keinen besonders kompetenten Eindruck mehr auf die Zuschauer. Aber ausgerechnet Dr. Finch ist es, der schließlich anordnet, dass Augusten, inzwischen 14 Jahre alt, sich von seiner Mutter trennen und stattdessen zu ihm ziehen soll, um seine Mutter und sich selbst vor dem Vater zu schützen. Von da an wird für Augusten aber alles nur noch schlimmer—denn Dr. Finchs Familie kann, was Exzentrik und Skurrilität betrifft, seine eigene Familie bei Weitem schlagen. Die neurotische Mrs. Finch (Jill Clayburgh) sieht apathisch alte Horrorfilme und isst Hundefutter, anstatt den alten Weihnachtsbaum zu entsorgen. Für Tochter Hope (Gwyneth Paltrow) gibt es nichts anderes als die Bibel und die Seele ihrer verstorbenen Katze, die im Schlaf zu ihr spricht. Die düstere Rebellin Natalie (Evan Rachel Wood) spielt mit Elektroschockgeräten und der geistig ebenso gestörte Adoptivsohn Neil Bookman (Joseph Fiennes) ist schwul und hört obendrein Stimmen. Dr. Finch selbst thront wie ein König über diesem Reich der Seltsamkeiten in einem höchst vollgestopften exzentrischen Haus und verschreibt allen seinen Patienten Tabletten oder regt sie zum Selbstmord an.
Hier muss Augusten also nun leben. Seine Mutter, die ihm zunehmend fremder wird, sieht er immer seltener. Und dennoch schafft er es, in diesen grotesken Verhältnissen zu leben und überleben, erste Liebe zu erfahren und sogar sich selbst treu zu bleiben und standhaft den eigenen Weg zu gehen.
Die Liebe zum Detail, die in die Hintergründe, vor allem aber in das exzentrische Finch-Haus, sowie in Mode und Frisuren der 70er gesteckt wurde, dominiert den Film auf positive Weise. Auch die hochkarätigen Schauspieler geben alle eine perfekte Leistung ab. Und obwohl eine ganze Reihe namhafter Leute am Film beteiligt war, ist Krass sicher nicht Kino für die breite Masse—zu speziell ist die Handlung und die dunkle Atmosphäre des Films, zu unklar die Linien zwischen Gut und Schlecht, zu übertrieben die ganze Szenerie.
Die innere Zerrissenheit der einzelnen Figuren spiegelt sich gut im Zuschauer von Krass wider. Sieht man die Protagonisten mal als charmante freundliche Wesen, so verkehren sie sich schon in der nächsten Szene wieder ins krasse Gegenteil, stoßen teilweise fast schon ab mit ihren widerwärtigen Eigenheiten, nur um dann doch wieder kurzes Mitleid des Zuschauers zu erhaschen. Das lässt leider auch den Film ein wenig zerrissen erscheinen, denn wirkt er manchmal so, als wisse er selbst nicht so genau, was er dem Zuschauer denn nun eigentlich vermitteln möchte—schrullige Typen, eine grotesk überspitzte Lebensgeschichte, die vorangegangenen Verlust sozialer Strukturen kritisieren möchte oder einfach nur eine schwarze, überdrehte Komödie, in der man besser nicht tiefer graben sollte? Die entfremdeten musikalischen Einlagen, die den Film oft begleiten, verstärken dieses Grübeln noch.
Was bei dieser überaus schwarzen Komödie und groteskem Drama jedoch am schockierendsten ist, ist wohl die Tatsache, dass der Film auf wahren Begebenheiten beruht und praktisch eine Verfilmung von Augusten Burroughs' tatsächlicher Kindheit darstellt. Somit sollte sich also die Frage erübrigen, ob uns Krass irgend einen tieferen Sinn mitgeben möchte. Es ist schlicht die Verfilmung einer Autobiographie, die ein skurriles Leben zeichnet, das den meisten von uns zum Glück erspart geblieben ist. Was man aus dieser Geschichte für sich selbst mitnehmen kann, muss daher jeder ganz allein entscheiden.