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Was wäre wenn?, so fragen die advocati daboli Robin Hardy und Anthony Shaffer im vorliegenden Film, der bisher leider nur auf den britischen Inseln zum wirklichen Kultklassiker avancierte. Was wäre wenn die fundamentalsten Grenzen auf denen unsere Gesellschaft, ja menschliche Zivilisation überhaupt basiert, niedergerissen würden und der Mensch die Rückkehr zu einer natürlichen Unmittelbarkeit zu versuchen wagte, von der dem modernen Menschen nur noch mythologische Texte über Schöpfung, Paradies und Urstand Auskunft geben? Was wäre, wenn die für die aufgeklärte Gesellschaft konstitutive Trennung von Staat und Religion genauso aufgehoben wäre wie die bereits auf einer wesentlich früheren Stufe der Kulturentwicklung errungene von Öffentlichkeit und Privatsphäre, ja schließlich die die conditio humana überhaupt begründende von Mensch und Natur selbst?Diese Fragen sind es, mit denen im vorliegenden Film ein schottischer Polizeiinspektor ebenso unausweichlich und radikal konfrontiert wird wie der einem ähnlichen Umfeld entstammende moderne Zuschauer. Strenggläubiger Christ einerseits und überzeugter Diener staatlicher Autorität andererseits verkörpert der Protagonist nämlich besagte zivilisatorische Unterscheidungen sozusagen in Reinkultur: Gleich zu Beginn des Films läßt er keinen Zweifel daran, daß er eine Vermengung seiner Amtspflichten mit seiner religiösen Überzeugung keinesfalls dulden kann, als er ein christliches Graffiti am Hafen mit dem Hinweis entfernen läßt, daß in einer geordneten Gesellschaft alles seinen Platz haben, also im Sinne der besagten Unterscheidungen schiedlich friedlich getrennt sein muß und den ihm zugewiesenen Bereich nicht überschreiten darf. Als es ihn jedoch durch die anonyme Nachricht von der Entführung eines Mädchens auf das seit Jahrzehnten vom Festland mehr oder weniger abgeschottete Summer Island verschlägt, wird er mit dem krassesten Gegenteil von all dem konfrontiert, worauf sein bisheriges Leben basierte: Auf Summer Island ist nämlich nicht nur die Trennung von Staat und Religion aufgehoben – es herrscht Theokratie mit Christopher Lee als Caesar und pontifex maximus – sondern die Bewohner revitalisieren den keltischen Natur- und Fruchtbarkeitskult in all seinen noch so absurden Konsequenzen: Privatsphäre und bürgerliche Individualität sind aufgegeben, es wird öffentlich auf den Straßen kopuliert und jeder menschlichen Naturüberlegenheit und Geistigkeit spottend das ganze Dasein dem Dienst an Sonne, Wind, Wasser und Erde gewidmet. Bedeutet dies für die Inselbewohner anscheinend nichts anderes als purste Glückseligkeit, wird unser Protagonist erwartungsgemäß in eine tiefe Existenzkrise gestürzt, die der nur dadurch überwinden zu können meint, daß er das vermißte Mädchen wiederfindet und davor rettet, in heidnischer Barbarei für die Fruchtbarkeit der Apfelplantagen geopfert zu werden. Viel zu spät merkt er allerdings, daß er nur Schachfigur innerhalb des großen Spiels war, das ihm selbst und den Zuschauern demonstrieren soll, wie wenig selbstverständlich besagte Trennungen in gewisser Hinsicht sind und daß auch die christliche Religion an ihrem Ursprung keineswegs schiedlich friedlich mit dem Staat koexistierte, sondern dem Christen oft nur Insubordination und damit Martyrium übrig blieb, wollte er seinen Glauben nicht verraten.Hardie und Shaffer bieten also ein gutes Stück Gesellschaftskritik, Zivilisations- und Christentumsschelte, allerdings ohne dabei einseitig zu werden: Sieht man sich die vermeinte Glückseligkeit der Inselbewohner nämlich einmal genauer an, entpuppt sie sich als zur fast kompletten Reflexionslosigkeit übersteigerte Naivität, welche für keinen freien, vernünftigen Menschen eine wirkliche Option sein kann. Die besagten Trennungen erweisen sich damit letztlich als notwenige Folgen reflektierter Freiheit, als objektiver Geist, dessen jeweils konkrete Gestalt zwar immer neuer Hinterfragung bedarf, vor deren Abschaffung man sich jedoch hüten sollte, will man keine Gesellschaft vernunftloser Versuchsratten züchten, die in ihrer natürlichen Umgebung zwar bedürfnislos glücklich erscheinen, genau darin aber von der Erfüllung des Menschsseins in der Reflexion so weit entfernt sind wie man eben nur sein kann. 8/10

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