Review

„War es wirklich Mord“ ist einmal mehr der klassische Fall, dass ein ansehnlicher Film durch einen reißerischen, dummerhaften deutschen Verleihtitel Skepsis beim geneigten Zuschauer hervorruft. Dieser Titel hat mit dem Inhalt dieser Perle aus den Hammer-Studios nichts zu tun. „The Nanny“ trifft da die Sache schon besser.

Es fällt schwer, diesen Film einem Genre zuzuordnen. Er ist zu gleichen Teilen ein Psychodrama, eine Sozialstudie und ein Thriller. Er ist kein Kriminalfilm und passt auch nicht richtig in das Horrorgenre, obwohl er sich wesentlicher Elemente beider Genres bedient.

Im Mittelpunkt des Filmes steht der Konflikt zwischen einem alten Kindermädchen (Bette Davis) und einem 10jährigen Rotzlöffel Joey (William Dix). Dieser Konflikt basiert auf dem gemeinsam verschuldeten Unfalltod von Joeys kleiner Schwester. Die gute Nanny hat ihre Teilschuld Joey in die Schuhe geschoben. Joey kann niemanden von der Wahrheit überzeugen und fürchtet, dass die Nanny ihn auch noch töten will, um ihren Fauxpas endgültig zu verschleiern. Und mit dieser Einschätzung liegt er richtig. Die Nanny räumt Joeys Mutter und Tante aus dem Weg, um zum aller letzen Mal mit Joey alleine zu sein. Aber sie ist zu verwirrt, um Joey zum Schweigen zu bringen.

Der Konflikt zwischen den beiden Protagonisten ist eine wahre Freude. Denn beide werden von hervorragenden Schauspielern gespielt, wobei die Leistung des minderjährigen William Dix in Anbetracht des Alters fast noch mehr zu gefallen weiß. Es macht auch Spaß zuzusehen, wie die Familie das passende Umfeld für diesen Kampf bietet, zwischen den Fronten aber zermahlen wird. Das glückselige Ende zwischen Mutter und Sohn dürfte nur ein frommer Wunsch sein.

Der Film ist in stimmungsvollem Schwarz-Weiß gedreht und handwerklich von Seth Holt sehr gut gemacht. Die Wohnung der Familie wirkt trotz deren Wohlstand dunkel und bedrohlich, ohne Gruselelemente zu bieten. Der Schrecken lauert hier auch am helllichten Tage. Die Wohnung wirkt wie ein Gefängnis, dass von der Nanny gehütet wird. Dass sie auch eine Festung der Nanny vor der realen Welt ist, wird erst in dem finalen Rückblick auf den Tod ihrer eigenen Tochter klar.

Dieser Rückblick auf die Ereignisse um den Tod on Joeys Schwester birgt auch eine Szene, in der Bette Davis ihre schauspielerische Einzigartigkeit belegt. Als bei ihr am Badewannenrand der Wahnsinn ausbricht, wird der Zuschauer Zeuge einer eindrucksvollen Darbietung, die es in der Filmgeschichte nur sehr selten gab und geben wird. Man kann Bette Davis nicht genug dafür danken, dass sie den Mut hatte, als ältere Frau dem Divenleben den Rücken zu kehren und sich Rollen alter, wahnsinniger Frauen anzunehmen.

Aber der Film wird nicht nur von Davis und Dix getragen. Auch die anderen Schauspieler gefallen mir sehr gut. Vor allem James Villiers als Joeys Vater ist erwähnenswert. Er spielt einen Menschen, der der Anker in der zerrütteten Famile sein sollte (und wohl auch zu sein glaubt), aber durch seine körperliche und soziale Abwesenheit und die Strafrichterrolle das Hauptprobelm darstellt.

Ich kann „The Nanny“ jedem empfehlen, der Spaß an guter Schauspielleistung, subtile Spannung und familiären Stress hat. Freunde reißerischer Unterhaltung werden hier wohl enttäuscht werden. Auch wenn „The Nanny“ nicht an „Hush,hush, sweet Charlotte“ herankommt (da wäre eine Story mit mehr Überraschungen nötig gewesen), ist dieser Film cineastische Unterhaltung auf sehr hohem Niveau. Ich gebe ihm 8 von 10 Punkten.

Details
Ähnliche Filme