Mit deutschen Filmen tue ich es mir immer ein wenig schwerer. Trotzdem vermochte ich dem Trailer zu „Die Wolke“, ohne das Buch zu kennen, etwas abzugewinnen, wollte ihn sehen, egal ob er nun aus Deutschland kommt oder nicht. Und wenn man den Film auf die lange Form des Trailers, sprich die Filmszenen, die in ihm angerissen werden, reduziert, dann ist das wohl mit das Beste, was wir in jüngster Vergangenheit gedreht haben, hier in diesem Fall geht es auf das Konto von Gregor Schnitzler („Soloalbum“). Doch der Trailer zeigte nicht Ausschnitte aus dem kompletten Film, sondern nur aus dem ersten Drittel. Er impliziert damit schnell falsche Assoziationen, wenn man an den Film denkt, bevor man ihn gesehen hat. Wer einen Film über den Ausnahmezustand direkt nach einem Atomunfall vermutet, wird sich anfangs spannend im Sessel zurücklehnen, genießt die hervorragende Atmosphäre und sinkt nach gut einer halben Stunde, ohne es in dem Moment schon zu wissen, mit dem Hauptcharakter Hannah auf den Boden, geht im Regen nieder und alle Hoffnung ist dahin. Denn nun lenkt das Drehbuch in eine andere Richtung, ohne dass der Trailer es uns in nur einer Sekunde zeigte, nicht mal andeutete. Es wird zum Liebesdrama in der unmittelbaren Umgebung eines solchen Unfalls mit einer durch diesen gezeichneten Hauptdarstellerin. Die Liebe ist selbst in diesen schweren Zeiten vorhanden, gerade in diesen schweren Zeiten, und der Unfall verkommt zur Randfigur, dient fast ausschließlich zum Heraufbeschwören der Situation, die in den letzten zwei Dritteln noch zelebriert werden soll. Die anfängliche Kritik am noch nicht vollzogenen Atomausstieg Deutschlands wird dann erst wieder deutlich, wenn der Film zu Ende ist. Knapp 120 Störfälle in den noch verbleibenden 17 Atomkraftwerken seien im Jahre 2004 meldepflichtig gewesen, zeigt die Texttafel zum Schluss. Und somit ist die von ihnen ausgehende Gefahr stets bedrohlich.
Was vom Buch zum Film verloren ging, vermag ich nicht zu sagen. Doch die Liebesgeschichte hat leider nichts Außergewöhnliches, nichts, dass ich nicht schon in ähnlichen Liebesdramen wie „A Time for Dancing“ oder „A Walk to Remember“ gesehen hätte, wenn nicht der Hintergrund ein anderer wäre.
Aber fangen wir bei den positiven Aspekten an:
Anfangs ist alles noch in Ordnung. Das Leben nimmt seinen üblichen Lauf, nichts scheint ungewöhnlich, alles läuft in geregelten Bahnen. Hannah (Paula Kalenberg) lernt für die Klausur am nächsten Tag, bemerkt, dass ihr Schulkamerad Elmar (Franz Dinda) auf sie steht, obwohl sie ihm bisher kaum Beachtung schenkte, sie streitet noch mit ihrer Mutter und regt sich darüber auf, dass sie auf ihren kleinen Bruder Uli aufpassen muss. Was sie noch nicht weiß: es wird der letzte Tag sein, an dem sie die beiden Letztgenannten sieht. Die Leichtigkeit, mit der sie in den Tag lebt, nichts Böses ahnend, wird mitten in der Klausur unterbrochen, umgekrempelt, eine Nachricht lässt nicht nur ihr, sondern allen Bewohnern der kleinen Stadt Schlitz, den Atem stocken: ABC-Alarm. Während der Klausur, und dem Techtelmechtel im Theaterraum mit Elmar, dröhnt er durch die ganze Stadt. Anfangs für einen Probealarm gehalten, weiß nur Elmar, was hier vor sich geht und will sich und Hannah aus der Schule bringen. Der Lehrer noch völlig verplant, hält sie an, die letzten zehn Minuten auch noch mitzuschreiben. Es sei nur Probealarm, dieser nicht so wichtig und ABC-Alarm müsse sich sowieso alle zwölf Sekunden wiederholen. Dann schwenkt die Kamera auf die Uhr; während der nächsten zwölf Sekunden schauen Klasse und Zuschauer gespannt auf die Uhr und realisieren, dass es kein Probealarm ist.
Die Katastrophe hat bereits stattgefunden…
Mit ihr beginnt nun der Ausnahmezustand…
Panik unter den Bewohner…
Und Freude – unter den Jugendlichen…
Denn diese erkennen noch keinen Ernst in der Lage. Schulfrei heißt das Motto und damit Party ohne Ende. Nur Hannah hat von Anfang an ein ungutes Gefühl. Die Nachrichten holen dann aber auch Hannahs Freunde auf den Boden der Tatsachen zurück. Von nun an schwenkt die heitere Stimmung um und dunkle Wolken ziehen im wahrsten Sinne des Wortes auf. Diese „Wolke“ eines Atomunfalls ist nämlich nur noch einige Kilometer von Schlitz entfernt und dank ungünstigen Windes steuert sie direkt auf die Kleinstadt zu. Ab jetzt erlebt der Zuschauer die spannendsten Minuten des Films. Der Überlebenskampf beginnt in der Kleinstadt, Menschen flüchten und innerhalb kürzester Zeit gleicht die Stadt einem recht farbenfrohen Friedhof, auf dem nur noch Hannah und Uli sind, da sie keine Mitfahrgelegenheit hatten und noch auf Elmar warten wollten. Als dieser nicht auftaucht, machen sie sich mit dem Fahrrad auf und auch hier ist noch eine gewisse, subtile Spannung präsent. „Die Wolke“ kommt näher und der kleine Uli will einfach nicht weiterfahren. Nur Hannah kennt die Bedrohung, versteht sie und Panik macht sich breit, als ihr kleiner Bruder ein ums andere Mal die Fahrt unterbricht. Das nächste Schicksal, hier noch fast im Minutentakt, ereilt sie noch auf dem Weg zum rettenden Bahnhof hinter einem Feldweg…
Auch die Massenzuflucht auf den letzten abfahrenden Zug dort, bevor der todbringende Regen kommt, ist spektakulär, doch ganz plötzlich ist kurze Zeit später die Spannung dahin.
!Ab jetzt mit Spoilern behaftet!
Sicherlich kann man schlecht 90 Minuten damit füllen (ich betrachte den Film mal als allein stehendes Werk, nicht als Buchverfilmung, da ich dieses eben nicht kenne), die Protagonisten vor einer „Wolke“ fliehen zu lassen, aber von nun an geht’s sehr konventionell und praktisch komplett unspannend weiter.
Als Hannah nach Verpassen des Zuges wieder aufwacht, realisiert sie ihr Schicksal und muss nun versuchen, mit ihrer Krankheit zu leben. Der erste Lichtblick schimmert dann bald auf, als Elmar sie besucht und zu ihr steht, es kommt Freude über das Akzeptiert werden und Hoffnung auf, auch wenn sie weiß, dass diese letztlich nichts mehr an ihrem Schicksal ändern kann. Sie können nur noch die letzte Zeit zusammen genießen.
Zusammen… Die Liebe ist stärker als alles andere, egal in welcher Situation man sich gerade befindet.
Und das war es dann auch fast schon, obwohl der Liebespart doppelt so viel Laufzeit füllt wie die Panik zu Beginn.
Nur noch durch das symbolische Begraben ihres toten Bruders wird der Atomunfall für sie abgeschlossen, und mit ihm der Film, sie akzeptiert es, versucht, zu vergessen und noch unbeschwert das Leben zu genießen. Hannah und Elmar fahren ins Ungewisse, hinter den nächsten Hügel, solange ihnen noch bleibt.
Nur noch am Rande wurde sie vorher mit Missachtung anderer Menschen konfrontiert, selbst ihre ehemalige beste Freundin will sich nicht mehr mit ihr abgeben.
Nur noch ab und zu hört man in den Nachrichten von dem Atomunfall und dessen Konsequenzen.
Paula Kalenberg erzeugt in ihrer Rolle so viele Emotionen wie nur möglich sind beim Zuschauer. Dieser leidet von Anfang an mit ihr mit, da sie die anscheinend einzige Schülerin ist, die die Situation schnell versteht, und sich zu wehren, zu helfen versucht. Ihr widerfahren so viele Schicksalsschläge hintereinander, die die Kritik an den AKWs verstärken. Allerdings wird dann mit zunehmender Laufzeit immer dicker aufgetragen und es artet leicht aus. Zudem ist die Liebesbeziehung mit Elmar zu gewöhnlich. Er ist das Kind reicher Eltern, das eigentlich keine Lust auf die ihm Geld hinterher werfenden Erziehungsberechtigten hat und rebellieren muss, sich Hannah nähert, nachdem er immer nur der schüchterne, nicht viel sagende Introvertierte war. Zum Schluss haben sie sich über die Meinung von Elmars Eltern und alle anderen Umstände hinweggesetzt, finden zusammen, doch etwas Neues hat der Zuschauer nun nicht mehr gesehen.
Dadurch reduziert sich der gute Teil auf die erste halbe Stunde, die langweiligeren anderen zwei halben Stunden wirken dagegen ermüdend, nicht viel hergebend. Auch die guten Schauspieler, allen voran Paula Kalenberg, retten diese Schlussdrittel nicht, obwohl es anfangs atmosphärisch nicht besser hätte getroffen werden können. Die Bedrohung ist spürbar, die Angst zum greifen nah und die Panik groß. Daneben haben wir den strahlend blauen Himmel, mit der sich langsam aber sicher ankündigenden großen Katastrophe, „der Wolke“, die den Himmel, wie im Trailer, immer dunkler werden lässt. Dass dann zu viele Schicksale auf einmal auf Hannah einströmen, wirkt dann stark übertrieben, verdeutlicht aber die Kritik an der Atomkraft und muss vom guten Gefühl, das Elmar Hannah gibt, gerettet werden. Die Liebe ist für die beiden gerade jetzt wichtig und lebensnotwendig. Wäre Elmar nicht da, wäre es nicht auszumalen, was aus Hannah geworden wäre. Dann hätte sie niemanden mehr gehabt – außer ihrer entfremdeten Tante. Die Mutter: tot, der Bruder: tot, die beste Freundin: will nichts mehr mit ihr zu tun haben, ihre ehemalige Heimat: unbewohnbar.
Es lebe die Liebe - aber bitte nicht so gewöhnlich dargestellt.
Der Film ist über spätere Strecken zu langatmig, als dass er da noch fesseln könnte. Hinsichtlich des sehr guten Anfangs verschenkt der Film schlussendlich einiges, da die Aussage auch mit strafferem zweitem Teil deutlich geworden wäre.
Schade, hier lag anfangs ein sehr guter Film in der Luft…