Der Horror-Film „An American Haunting“ (2006), mit dem sich Produzent, Regisseur und Drehbuchautor Courtney Solomon nach seinem 2000er Desaster „Dungeons & Dragons“ auf der Bildfläche zurückmeldet, basiert auf einer bekannten Überlieferung, die von einer rund zwei Jahre lang andauernden Ereignis-Serie im frühen 19.Jahrhundert des amerikanischen Bundesstaates Tennessee berichtet, welche angeblich auf paranormale Ursachen bzw Grundlagen zurückgeht. Nun, Geisterstorys existieren ja wahrlich wie Sand am Meer, aber hier ist der Clou: Für die besagten, ausführlich dokumentierten Umstände gibt es in diesem Fall über einhundert Zeugen, unter ihnen der spätere US-Präsident Andrew Jackson – sogar ein Bundesgericht ist offiziell in Folge diverser Untersuchungen zu dem Schluss gekommen, dass übernatürliche Einflüsse dort aktiv zu dem Tod eines Menschen beigetragen haben. Selbstverständlich zweifeln viele die Authentizität dieser Geschichte an – beide Lager stützen sich auf eigene Interpretationen der Quellen. Neben einigen Filmen, wie „Bell Witch Haunting“ (2005) oder „Bell Witch: the Movie“ (2005), erschienen zig geachtete Abhandlungen und Bücher zu diesem Thema, zurückreichend bis 1887 („Godspeed History of Tennessee“). Solomon selbst stützt sich hauptsächlich auf Brent Monahan´s 1997er Novelle „Bell Witch: An American Haunting“…
In dem beschaulichen Örtchen Red River des Jahres 1818 genießt die Familie Bell einen angesehenen Ruf innerhalb der religiös geprägten Gemeinschaft: John (Donald Sutherland) ist ein allseits geschätzter und respektierter Grundbesitzer, seine Frau Lucy (Sissy Spacek) eine hilfreiche, freundliche Seele, die Kinder John Jr. (Thom Fell) und Betsy (Rachel Hurd-Wood) ihr ganzer Stolz. Dieses Bild wird leicht getrübt, als der Kirchenrat John dafür anklagt und rügt, einer Nachbarin zu hohe Konditionen für die Nutzung eines Grundstücks auferlegt zu haben. Da das Urteil relativ milde ausfällt und man zuvor im Rahmen der Anhörung versucht hat, die betreffende Dame (Gaye Bown) öffentlich als Hexe zu diffamieren, was allerdings weder straf- noch nachweisbar ist, spricht sie im Anschluss eine an John gerichtete Drohung aus, die gleichzeitig ein bitteres Versprechen markiert:
„I swear a dreadful Darkness will fall upon you – and your precious Daughter!“
Wenig später nehmen merkwürdige Vorfälle ihren Lauf: Ein Wolf treibt sich draußen auf ihrem Grundstück herum, nachts kann man kratzende Laute vom Dachboden her hören, die nur schwerlich von den sonst üblichen Eichhörnchen stammen können, John beginnt körperlich abzubauen und wird zunehmend krank, während Betsy wiederholt von Albträumen sowie gespenstischen Visionen geplagt wird. Binnen Tagen steigt die Wucht der „äußeren Einflüsse“ dieser Macht stetig an, wobei sich jene primär auf die junge Tochter auszurichten scheint: Anfangs nur von Schattenbildern geplagt, folgen schon bald schmerzhafte Krämpfe – bis sie mehrfach aus ihrem Bett gerissen, von unsichtbarer Hand in die Luft gehoben und fast bis zur Besinnungslosigkeit geohrfeigt wird. Selbst Freunde der Familie, wie der Bibel-treue James Johnston (Matthew Marsh) oder Betsy´s Lehrer, der rational denkende Richard Powell (James D’Arcy), welcher ein ungewöhnlich enges Verhältnis zu seiner Schülerin pflegt und die sich entfaltenden Begebenheiten in seinem Journal für die Nachwelt festhält, werden zu Zeugen der an Intensität gewinnenden Übergriffe, können aber ebenso nichts gegen sie ausrichten. Sich seiner auslösenden Schuld bewusst, bricht John schließlich zum Haus der vermeintlichen Hexe auf, um sie sowohl finanziell zu entschädigen als auch sein Leben bzw Tod in ihre Hände zu legen – doch sie geht darauf nicht ein, sondern behauptet standhaft und letzten Endes gar überzeugend, sie stehe in keinerlei Verbindung mit den Geschehnissen, denn diese würden einen anderen Ursprung besitzen, welcher tief in der Familienvergangenheit verwurzelt wäre…
„An American Haunting“ versucht sich an einem Spagat zwischen klassischen Grusel-Mären im Stile der alt-ehrwürdigen „Hammer“-Studioproduktionen und dem modernen, technisch protzenden, von asiatischen Genre-Beiträgen sowie deren Hollywood-Remakes geprägten Horror-Kino – angereichert mit mehr oder minder bekannter Folklore und einer in tragischer Weise universellen, im Kontext verankerten bzw in der Auflösung verborgenen Botschaft. Diese Ambition führt geradewegs zu einer Verbindung, die eher schizophren als homogen anmutet: Auf der einen Seite vollendete atmosphärische Umgebungen, wie kalte Landschaftspanoramen, dunkle Wälder oder durch Kerzen nur spärlich ausgeleuchtete Holzhäuser, andererseits derzeitig übliche Schockeffekte, welche die Soundanlage markerschütternd unterstreicht, rapide zwischengeschnittene Images und ausgefallene, beeindruckende Kameraspielchen – letztere kommen einem, und hier liegt eine gewisse Ironie, selbst zum Teil bewusstseinsgespalten vor, denn in fließende Bewegungen wurden öftermals Perspektivwechsel zwischen dem Geist (in Schwarzweiß) sowie den im selben Raum befindlichen Menschen (in Farbe) eingebaut. Besonders deutlich werden diese gegensätzlichen Orientierungen angesichts der Entscheidung, eine in der Gegenwart angesiedelte Rahmenhandlung hinzuzufügen: Unabhängig der Tatsache, dass diese jeweils die Basis bzw das Fundament der präsenten Voiceover-Erzählung und finalen Punchline bildet, erscheint sie deplaziert und unnötig. Die Struktur wird förmlich kompromittiert und zugleich banalisiert, so als hätte man nicht den Mut besessen, das Werk in seiner Gänze in jener Epoche spielen zu lassen, ohne einen überdeutlich vorgesetzten aktuellen Bezug.
Auf der Besetzungsliste lassen sich, entgegen des vertrauten Trends (vgl. „the Grudge“, „Pulse“, „the Fog“ etc), keine angesagten TV-Serien-Darsteller finden. Die namhaftesten Vertreter sind in diesem Fall die beiden Alt-Stars Donald Sutherland („MASH“/„Cold Mountain“) und Sissy Spacek („Carrie“/„North Country“), welche spürbare Souveränität in ihre insgesamt nicht sonderlich reichhaltigen Parts einbringen. Zwischenzeitig blitzt in Donald´s Augen dieser gewohnt betroffene, eindringliche Blick auf, und bis auf einen Moment, der an Over-Acting grenzt, trifft Sutherland genau die richtigen Töne. Spacek´s Rolle nimmt konstant einen Platz in der zweiten Reihe hinter irgendeiner anderen Figur ein, weshalb Sissy kaum mehr zu tun bekommt, als erschrocken, besorgt und/oder verzweifelt dreinzublicken, während ihr Mann und Kind immer intensiver von den übernatürlichen Wirksamkeiten malträtiert werden. Die 1990 geborene Engländerin Rachel Hurd-Wood („Peter Pan“/„Perfume: the Story of a Murderer“) empfiehlt sich mit ihrer Vorstellung für eine aussichtsreiche Karriere, denn sie bietet zweifelsfrei das auf, was man allgemein als „das gewisse Etwas“ bezeichnet – strahlende Schönheit, gepaart mit Ausstrahlung und Talent. Obwohl Betsy eher aufs Reagieren eingeengt wird, entflammt Rachel die Anteilnahme der Zuschauer, ohne je schwach zu wirken – sie ist tapfer und stark, allerdings kräftemäßig unterlegen. Ihre Schreie sind nicht die einer typischen oberflächlichen Screen-Queen – sie erwecken das Gefühl, apodiktisch aus ihrem tiefsten Inneren zu stammen. James D´Arcy („Master & Commander“/„Exorcist: the Beginning“) spielt Richard, ihren Lehrer und Wegbegleiter, der sich seinem Beschützerinstinkt sowie ihrem erquicklichen jugendlichen Charme nicht zu entziehen vermag. Die Chemie zwischen ihnen bildet sich nicht optimal aus, was schade ist. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass uns ein Blick auf ihren Alltag vor dieser belastenden Situation verwehrt wird – dieser Umstand schadet übrigens dem Aufbau einer nachhaltigeren Verbindung zu allen Beteiligten. Richard ist verunsichert, da seine erworbenen wissenschaftlichen Kenntnisse keine Lösung oder gescheite Theorien offerieren, was zu Selbstzweifeln führt, ebenso wie Lucy´s Bitte, er möge doch ihre Tochter ehelichen, um sie zu beschützen – was er ablehnt, da ihm die Gründe falsch vorkommen, obgleich er es am liebsten täte. Markigere Charakterzeichnungen wären wünschenswert gewesen – sie hätten die emotionale Verbundenheit gestärkt. Alle anderen, John Jr. eingeschlossen, sind schlichtweg bloß anwesend, weshalb man zwangsläufig sporadisch „Warum eigentlich?“ denkt.
Im Grunde spiegelt der Gesamteindruck von „An American Haunting“ den momentanen Stand des Horror-Genres (weltweit, also nicht ausschließlich auf die USA beschränkt) sehr treffend wider – technisch absolut hochwertig, inhaltlich fernab Individualität bzw Originalität. Aufgrund der dokumentierten Hintergründe kommt schnell der letztjährige Überraschungserfolg „the Exorcism of Emily Rose“ in den Sinn, doch das ist erst der Anfang: Unweigerlich fallen einem Fragmente verschiedenster Titel auf, etwa aus „Amityville Horror“, „the Ring“, „Poltergeist“, „the Entity“, der „Exorcist“-Reihe und vielen anderen – der Einstieg bedient sich evident an Raimi´s „the Evil Dead“, nämlich per Aufzeigen einer von einer unsichtbaren Macht durch den Wald gehetzten Person, wobei die Perspektive permanent zwischen der des Flüchtenden und jener des Verfolgers wechselt, ferner gibt es sogar ein Seil-springendes Mädchen wie aus „A Nightmare on Elm Street“. Die Modi Operandi solcher Streifen (Flashbacks, Traumsequenzen, Jump-Scares etc) sind inzwischen allseits bekannt, also gilt es, die einzelnen Elemente abzuwandeln: Das inhaltliche Grundgerüst, inklusive jeglicher Zutaten, wird so lange zurechtgebogen, bis es einigermaßen in das gewünschte („the Crucible“-artige) Setting passt, dann handwerklich versiert umgesetzt, in „Sleepy Hollow“-ähnliche Bilder getaucht und zu guter Letzt mit dem anregenden Vermerk „Based on true Events“ versehen. Passend dazu bedient man sich bewährten Stilmitteln und versucht, diesen eine eigene Note zu verleihen. Anfangs hält das Böse ruhigen Einzug in den Alltag der Bells (u.a. ungewöhnliche Geräusche im Haus, ein auf dem Grundstück umherlaufender Wolf), und ein junges, gespenstisches Mädchen sucht verstärkt Betsy´s Nähe – bis letztere mehrmalig aus dem Bett gezerrt, über den Fußboden geschliffen, in die Luft gehoben, brutal geschlagen und so zu einem direkten Übergriffsopfer wird. Ihre Freunde und Angehörige können ihr nicht helfen – sie werden unweigerlich zu entsetzten Zeugen, wie Scheiben platzen, flüsternde Stimmen ertönen, Fingernägel über Holzoberflächen kratzen, der Kamin förmlich explodiert und Kerzen in Sekunden vollständig abbrennen. Zugegeben, die Abfolgen wiederholen sich öfters, jeweils leicht variiert, was genauso für die begleitende Musikuntermalung gilt (anschwellende Lautstärke, Stille, leise Töne…tosend lärmendes Geräusch!) – trotzdem sind die Auswirkungen des Films streckenweise ziemlich effektiv. Die klassische Annäherungsweise wird von einer gelungenen, temporeichen Editing-Arbeit sowie wahrhaft atemberaubenden Kamerafahrten ergänzt. Nahe der 60-Minuten-Marke entfaltet sich der eindeutige Höhepunkt auf diesem Gebiet: Ein entfesselter „Flug“ des Geistes in der Ego-Perspektive auf den Spuren des Kindes – zuerst durch Zimmer, Flure, Türen und Wände, danach hinaus ins Freie, über Felder und Wälder hinweg, entlang eines Pfades zwischen den Bäumen bis zu einer fliehenden Kutsche, welche sich daraufhin spektakulär überschlägt und simultan die Frage beantwortet, warum man Betsy nicht einfach von jenem besessenen Ort fortschafft.
Vornehmlich im winterlichen Rumänien gedreht, bieten die gewählten Locations, Sets und Naturkulissen einen authentisch anmutenden Ersatz für den eigentlichen Schauplatz Tennessee. Optisch ist der Film ein Leckerbissen: Der an einem Herzinfarkt im Dezember 2005 verstorbene Cinematographer Adrian Biddle, dessen Vermächtnis Referenzen wie „Aliens“, „1492“, „the Mummy“ und „V for Vendetta“ aufweist, hat diese verhältnismäßig kleine Produktion in düster-stimmungsvolle Bilder getaucht sowie dank seiner hervorragenden Kameraarbeit veredelt. Unterstützt wird die ganze Sache von Caine Davidson´s hochwertigen Score und dem großartigen Sound-Design: Die eingesteuerten Geräusche (Wind, Stimmen, knirschendes Holz etc) umschließen den Betrachter und involvieren ihn buchstäblich – dieses Feeling potenzieren „Point-of-View“-Aufnahmen des die Bewohner umkreisenden Gespenstes zusätzlich. Toll außerdem, wie in den flüsternden Lauten Hinweise auf des Rätsels Lösung verborgen liegen. Nach dem hektischen Einstieg in der Gegenwart wird das Tempo erst einmal merklich gedrosselt, worauf psychologische Versatzstücke eine Weile dominieren, bevor die Geisterbahn Fahrt aufnimmt und bis lange in den letzten Akt hinein andauert, in welchem der Twist lauert. Genau dieser entpuppt sich als gewichtigster Knackpunkt: Ja, man kann ihn nachvollziehen – nein, er ist nicht hanebüchen aus irgendeinem Hut gezaubert worden. Sollte man im Vorfeld aufmerksam zwischen den Zeilen lesen bzw auf Andeutungen achten, lässt er sich zwar früher erahnen, ist aber dennoch ergreifend, interessant und per se schockierend. Das Problem liegt vielmehr in seiner Umsetzung, denn er kommt erstaunlich „Anti-Climatic“ daher, läuft geradezu ruhig aus und hinterlässt so einen suboptimalen Eindruck sowie einige berechtigte Logik-Ungewissheiten. Leider wird man an der Hand genommen und erhält schrittweise alle nötigen Informationen vorgesetzt – in gebündelter, überstürzt wirkender Manier. Anschließend kehrt der Verlauf in die Gegenwart zurück – so unnötig diese Momente erscheinen mögen, bringen sie doch eine dunkle, wenn auch grob geknüpfte Verbindung zum Vorschein, die aufgrund ihrer untypischen, nachhaltigen Art positiv zu werten ist und dem Titel „An American Haunting“ vollkommen neue Bedeutung verleiht. Solomon´s Versuch, eine traditionelle Spuk-Geschichte mit einer christlichen Allegorie (der Unausweichlichkeit der Bestrafung für seine Sünden), metaphorischen Ansätzen der Auswirkungen eines (weiblichen) sexuellen Erwachens auf das (männliche) Umfeld sowie der bis heute bestehenden Erkenntnis, dass die abgründigsten Ursprünge des Bösen aus dem menschlichen Inneren heraus resultieren, miteinander zu verknüpfen, gelingt nur bedingt, da für ihn der Zweck (seine Intention) hier die Mittel (sein vordergründiges Storykonstrukt) heiligt. Zumindest muss bzw sollte der Zuschauer das Gesehene im Nachhinein erneut gedanklich durchgehen – einige werden diesen Prozess betroffen und/oder zufrieden gestellt, andere enttäuscht und/oder verärgert abschließen.
Während Solomon´s Inszenierung kompetent ist, verhindert sein unoriginelles, vor Klischees strotzendes Skript, dass das vor allem auf audiovisueller Ebene überzeugende Produkt im Ganzen aus der artverwandten Masse herausragt. Eine detaillierte Aufarbeitung des Falles war sicher nicht zu erwarten, wohl allerdings eine stärkere Konzentration auf die Charaktere und deren seelenkundlichen Komponenten. Physische Manifestationen und inszenatorische Spielereien überlagern das potentiell subtile Drama, was auf Kosten der Spannung und Intensität geschieht, zumal man wirklich kreative Abweichungen vom gewohnten Ablaufschema vergebens sucht. „An American Haunting“ ist dementsprechend nicht mehr als alter Wein in anders aussehenden Kelchen – gängige, optisch gefällige Genre-Ware mit diversen Höhen und Tiefen, dieses Mal immerhin in einem relativ unverbrauchten Setting angesiedelt … „5 von 10“