" Warum kämpft ihr für ein Stück Land bestehend aus trockener steiniger Erde? "
Vielleicht trägt Spielbergs eigener Hang zum plakativen Erzählen, daß er mit besonderer Meisterschaft auszuüben in der Lage ist, dazu bei, daß die wirklich wichtigen Aussagen hier so leicht übersehen werden.
Vielleicht wollte er genau das...
Als Kritiker des Films sollte man sich fragen, warum Spielbergs neuestes Werk auf soviel Widerstand in Israel stieß ?
- Weil er hier die sich ständig steigernde Spirale der Gewalt und Gegengewalt anklagt ?
- Weil er Hintergründe der Vorgehensweise des israelischen Geheimdienstes darstellt und dessen Skrupellosigkeit ,gepaart mit einer gewissen Unfähigkeit?
- Weil er den "Terroristen" ein menschliches Antlitz gibt und ihnen dazu noch die Gelegenheit, ihre Argumente zu äußern ?
Das hätte kaum diesen Widerstand hervorgerufen -.Jeder halbwegs aufgeklärte Mensch wird die Sinnlosigkeit der Gewalt beklagen, die Darstellung der Vorgehensweise des Mossad ist fiktiv (Spielberg stützt sich auf die Schilderungen eines ehemaligen Mitglieds des Geheimdienstes, die umstritten sind, wenn aus meiner Sicht auch glaubwürdig) , ebenso wie die wenigen persönlichen Momente der Palästinenser - da könnte man locker drüber stehen.
" Das Problem ist nicht die Hisbollah oder Syrien, sondern liegt im Jahr 1948" berichtigte vor wenigen Tagen ein amerikanischer Professor die Meinung von Amerikas Außenministerin Condoleeza Rice zum Libanon-Konflikt.
Und genau auf diesen wunden Punkt der Staatsgründung Israels geht Spielberg in seinem Film ein ,ohne ihn auch nur einmal direkt zu benennen.
Der Terrorakt von München ist für Spielberg nur der Aufhänger, der alles ins Rollen bringt. Dieser wird sehr dokumentarisch dargestellt ohne irgendeine Bewertung oder Haltung . Selbst im weiteren Verlauf des Films, in dem es immer wieder Rückblenden der Ereignisse aus dem Jahr 1972 gibt, wird nie darüber gesprochen.
Golda Meir, Israels damalige Staatspräsidentin (deren muttchenhaftes Auftreten absolut realistisch dargestellt ist), begreift diesen Terrorakt, dessen letztendliche Konsequenzen nicht ohne die Fehler der deutschen Polizei zustande gekommen wären, als einen Angriff auf das Selbstverständnis des jüdischen Staates.
Von Beginn an war der Staat Israel ein fragiles Gebilde, daß den ursprünglichen Bewohnern Palästinas mit Hilfe der englischen Besatzungsmacht und amerikanischer Unterstützung "aufgepfropft" wurde. Schon seit Beginn des letzten Jahrhundert hatte der Bund der Zionisten unter Ben Gurion sich bemüht das jüdische Volk dort wieder anzusiedeln, von wo es vor ca. 2000 Jahren vertrieben worden war.
Schon in den 50er und 60er Jahren gab es eine Vielzahl von Kriegen, die letztendlich immer von Israel "gewonnen" wurden. Der Terrorakt von München war nur ein weiterer Schritt innerhalb dieser Gewaltspirale und nur durch seine plakative Art und Weise ein herausragendes Ereignis.
Als Golda Meir den Mossad-Agenten Avner (Eric Bana) zu sich bittet, erwähnt sie mehrfach dessen heldenhaften Vater, so als müßte sie den jungen Mann, der schon in Israel geboren wurde, an diese Entstehungsgeschichte ihrer Heimat erinnern, um ihn zu motivieren.
Avner selbst wirkt überhaupt nicht aggressiv oder emotional erregt, er wird praktisch mit Berufung auf seine Familienehre dazu gezwungen, die schwierige Aufgabe zu übernehmen, die angeblichen Hintermänner des Attentats zur Strecke zu bringen. Gerade jung verheiratet und kurz davor Vater zu werden, hat er ganz andere Wünsche, aber er fügt sich in seine gestellte Aufgabe.
Auch seine vier Mitstreiter wirken eher wie gemütliche Familienväter oder leicht versponnene Bastler. So beginnen sie ihren Auftrag auch mit einem großen gemeinsamen Essen, daß Avner zubereitet hat, und verströmen dabei eher den Charakter eines Männervereins beim Kegelausflug. Kriegerische Rachegedanken werden dabei keine Sekunde geäußert.
Spielberg begleitet sie bei ihren Aktionen, die zu Beginn merkwürdig "normal" wirken, die aber nach erfolgter Tötung immer mehr einen blutigeren Charakter erhalten. Die teilweise drastischen Darstellungen dieser Attentate halte ich für absolut notwendig, denn dadurch verliert diese an sich symphatisch wirkende Truppe jede Harmlosigkeit. Schnell wird klar, daß eine möglichst auffällige Art zu Töten erwünscht ist, denn auch wenn offiziell Israel saubere Hände behalten will, der Gegner soll wissen, wer ihn bedroht und das man sich nichts gefallen läßt.
Die Gruppe um Avner verliert dadurch jede Anonymität und wird so ihrerseits Zielscheibe von Gegenangriffen...
Der Kulminationspunkt des Films stellt für mich die Begegnung mit einer Gruppe von Palästinensern dar, die Avners Truppe zufällig in einer gemeinsamen konspirativen Unterkunft treffen. Spielberg erzählt diese Zusammenkunft eher nebenbei, innerhalb des Films wenig auffällig . Dabei kommt es zu einem Gespräch zwischen einem der Palästinenser und Avner, der sich als deutscher Terrorist ausgibt.
In diesem Gespräch fragt Avner ihn, warum sie so sehr um dieses "Stück trockener Erde" kämpfen. Doch der Palästinenser versteht die Frage nicht, denn es handelt sich doch um seine Heimat und "wir werden noch in hundert Jahren darum kämpfen".
Der Begriff der "Heimat" kommt immer wieder in "München" vor, z.B. auch als Avners Frau auf dessen Bitte in die USA zu ziehen sagt "dann sind wir auch nur aus der Heimat vertriebene Juden".
Spielberg macht durch seinen Film deutlich, daß hier zwei Völker um ihre Heimat kämpfen und er spricht den Palästinensern dieses Recht nicht ab. Damit begibt er sich in eine neutrale Position, die ihm als Juden entsprechend vorgeworfen wird.
Der gesamte Konflikt hat in seinem Film einen völlig unlösbaren Charakter und wer die aktuelle Situation sieht, in der es inzwischen einen kleinen "Palästinenserstaat" gibt, dessen Regierung Israel nicht anerkennt und der von Israel kontrolliert wird, und in der gerade wieder ein neuer Krieg begonnen wurde, der kann Spielberg nur beipflichten.
Dabei ist gerade das exzellent gespielte Team um Avner ein klarer Ausdruck dieses menschlichen Zwiespalts, in der die Gewalttätigkeiten geschehen. Nicht ohne Grund verlieren Avner und seine Partner nur einmal die Kontenance der emotionalen Zurückhaltung bei ihren Attentaten als einer der Ihren ein Opfer eines Profis wird.
Die Gewaltspirale ist nur ein Symptom, die Ursache liegt in der Sehnsucht zweier Völker mit unterschiedlichen religiösen Ausrichtungen nach einer Heimat. Spielberg bietet in seinem Film keinerlei Lösungen an, aber er zeigt deutlich, daß es mit dieser unversöhnlichen Haltung nie zu einem echten Frieden kommen kann.
Das er das Ganze mit einer teilweise sehr spannenden Geheimdienstgeschichte garniert und dabei auch diverse hollywoodtypische Showeffekte mit einbaut, halte ich für legitim. Das zu kritisieren bedeutet Spielberg nicht Spielberg sein lassen zu wollen, aber er verzichtet dabei gänzlich auf kitschige oder emotional überzogene Elemente sowie auf übertriebene Action, so daß der Film immere seine Ernsthaftigkeit behält.
Fazit : Ein Film, bei dem man jederzeit spürt, daß er Spielberg ein persönliches Anliegen war und bei dem er gewisse Kenntnisse voraussetzt, um die nie plakativen Anspielungen verstehen zu können.
Allerdings gerät "München" dadurch in die Gefahr als eher actionlastiger Agentenfilm angesehen zu werden, dem höchstens die Anklage gegen unsinnige Gewalt zugestanden wird. Spielberg behält immer einen leicht dokumentarischen Erzählstil bei ohne in zeittypische Bilderorgien zu verfallen, sein Stil bleibt immer klar.
Ein Film, der gerade durch die Mischung verschiedener Intentionen automatisch zur Kontoverse führen muß, der aber kaum jemanden unbeeindruckt hinterläßt und einen absolut singulären Charakter hat.
Kein vergnügliches Werk, daß man sich so nebenbei ansehen sollte, aber nahezu unvergeßlich (10/10).