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In MUNICH – Steven Spielberg stellt das absolut beeindruckend an – geht es weniger um (autobiographische und historische) Fakten, sondern um die mit trefflicher Argumentation vermittelte Wahrheit seines Stoffes. Die Essenz, dass aus Rache immer neue Rache erwächst, mit doppelten, blutgeifernden Häuptern, und demzufolge Rache der unentschuldbarste, zerstörerischste Trieb ist, dem ein Mensch seine Seele überantworten kann, mag im Grunde schlicht sein, ist aber auch weitaus weniger debattierbar und universeller vermittelbar, als das, was da nun genau schief gelaufen ist, 1972, auf der Rollbahn des Flughafens in München.
Die faktischen Ereignisse sind eine Fußnote in einer nach wie vor in Richtung Abgrund prozessierenden Geschichte, getrieben von einem anhaltend brutalen Konflikt, dessen Opfer nicht aufrechenbar, aber dessen Argumente zwischen beiden Seiten austauschbar sind. Es kann nicht länger darum gehen, dem Gegner mehr Dreck in die Schuhe zu schieben, als man sich selbst und der Welt and den eigenen Füßen eingesteht, sondern aufzuhören, sich aus der Dynamik zu lösen, die jede Vernunft längst überholt hat. So klingt eines der wesentlichen Plädoyers aus dem Raum zwischen den Bildern dieses Meisterwerkes nach.

Der Mossad Agent Avner (Eric Bana, genau so fantastisch gecastet wie der Rest des Ensembles) wird nach dem Massaker von München eingeschworen, es den Terroristen mit gleicher Waffe heimzuzahlen. Eine Mission, die zunächst sehr erfolgreich zu verlaufen scheint und das Selbstbewusstsein sowie den Glauben an die gerechte Sache konsolidiert, sich aber schließlich – die „Rise and Fall“-Dramaturgie wie wir sie auch in vielen Mafia Epen finden – gegen die Protagonisten wendet. Sie werden von Jägern zu Gejagten, werden von Paranoia aufgefressen, fühlen sich zunehmend als das was sie tatsächlich sind: tölpelige Bauern in einem Spiel, dessen Dimensionen sie nicht überschauen können. Die Erkenntnis der Sinnlosigkeit der Mission, an die sie sich geopfert haben, schmerzt heftiger als die Wunden am Körper. Avner hört die Argumente, über die er seine eigenen Taten rechtfertigt, genau die gleichen Argumente, aus dem Munde eines jungen Arabers, den er wenige Stunden später erschießen wird. Der Konflikt lässt ihm keine andere Wahl. Und er findet keinen Trost, nur Misstrauen, bei seinem Vorgesetzten, der mit sorgsam gewählten Worten die Heimat beschwört, aber weder willig noch in der Lage ist, tatsächlich Heimat und Gemeinschaft evozierende Riten – und sei es so etwas Banales wie ein gemeinsames Abendessen – an der Seite von Avner zu exerzieren. Avner, seelisch völlig zerrüttet, wählt die Diaspora.
Natürlich argumentiert Steven Spielberg nicht gegen ein Israel um jeden Preis, natürlich nicht. Vielmehr plädiert er dafür auszuharren, sich nicht in einem blinden Aktionismus provozieren zu lassen, sondern auszuharren, die zivilisatorischen Werte einer Jahrtausende alten Kultur nicht dem Chaos zu opfern, sondern sie in die Grundfeste der Nation zu mauern. Sie sind das solideste Bollwerk. Die Argumente, derer sich die Gegner Israels für ihren bewaffneten Kampf bedienen, das vermittelt Spielberg in dieser erstaunlich ausgewogenen Sicht auf den Konflikt, sind genau so stark (oder schwach) wie die eigenen. MUNICH ist nicht lediglich ein langer, es ist ein großer Film ...

... der beste Spielberg seit mindestens einer Dekade.

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