„New York ist glücklich, die Vereinigten Staaten sind glücklich und die Welt hat endlich Frieden!“
Nach seinem Erfolg mit „Taxi Driver“ schlug sich US-Ausnahmeregisseur Martin Scorseses gewonnene künstlerische Freiheit in seinem 1977 veröffentlichten Film-noir-Musical „New York, New York“ nieder, für das eine Hommage ans klassische, heitere Musical-Kino der 1940er und -50er Jahre mit neo-noireskem New-Hollywood-Film eine Symbiose einging. Sie wurde Scorseses nach „Boxcar Bertha“ zweiter Film ohne seinen ursprünglichen Stammmimen Harvey Keitel, jedoch ein weiterer mit seinem neuen Lieblingsschauspieler Robert De Niro („Taxi Driver“) in der männlichen Hauptrolle. Die weibliche bekleidete niemand Geringeres als Liza Minnelli („Cabaret“), womit der Film perfekt besetzt wurde.
„Ich bin kein Gentleman!“
Trubel auf dem Times Square: Der Zweite Weltkrieg ist vorüber, ein euphorischer Reporter kommentiert das bunte Treiben auf den Straßen. Ein Auszug aus einem Radio-Interview ruft in Erinnerung, dass auch Musiker seinerzeit die US-Truppen unterstützt hatten. Scorsese zeigt daraufhin eine ausgelassene Siegesfeier der Soldaten mit einem Jazzorchester und führt Saxophonist Jimmy (Robert De Niro) in die Handlung ein. Er blitzt bei den Frauen ab und wird bei Francine (Liza Minnelli) von der Truppenbetreuung sehr aufdringlich, woraus schöne Screwball-Dialoge entstehen. Francine begleitet Jimmy zu einem Vorspiel, obwohl er ein rotzfrecher Hallodri und Aufschneider ist. Als er eigentlich schon abgelehnt wurde, beginnt Francine zu singen, worauf er mit seinem Saxophon einsteigt – und engagiert wird! Zum Feiern geht’s gemeinsam auf Kneipentour, in deren Anschluss heiße Küsse ausgetauscht werden. Jimmy checkt dreist im selben Hotel wie Francine ein, macht dann aber doch einen Rückzieher. Die beiden machen es sich ein bisschen kompliziert.
„So süß, wie sie singt, so ist sie auch.“
Francine tritt schließlich allein auf, Jimmy macht sie ausfindig. Gemeinsam geht man zusammen mit einem ganzen Orchester auf Tour. Er drängt sie zur Blitzhochzeit. Als Orchesterleiter Frankie (Georgie Auld) hinschmeißt, tritt Jimmy in dessen Fußstapfen. Eigentlich hätte der Film an diesem Punkt mit einem Happy End abschließen können und es wäre in Ordnung gewesen. Es machte Spaß, sich diese Entwicklung anzusehen, die Atmosphäre war anheimelnd und die Stimmung gut. Scorsese jedoch geht weiter, verlässt die heile Musical-Traumwelt und schafft Konflikte:
Seine Verpflichtung als Bandleiter kehrt Jimmys negative Eigenschaften hervor, er wird anstrengend und bestimmend, herrschsüchtig und autoritär. Francine hingegen wird von ihm schwanger. Ungeachtet dessen möchte er weitertouren, Francine jedoch zurück nach New York. Mit einer Ersatzsängerin läuft’s dann bei Weitem nicht so gut wie mit Francine hinterm Mikro. Jimmy steigt in eine sich ausschließlich aus schwarzen Musikerinnen und Musikern zusammensetzende Band ein, womit Francine aufgrund ihrer Schwangerschaft hadert. Dafür wird sie von der Plattenfirma Decca Records unter Vertrag genommen, wovon Jimmy wiederum wenig begeistert ist. Ein erbitterter Streit aufgrund von Zukunftsängsten und gekränkter Eitelkeit entbrennt. Schließlich gebiert sie das gemeinsame Kind und nennt es sogar Jimmy – doch der erwachsene (?) Jimmy verlässt sie, noch während sie im Krankenhaus liegt, ohne seinen Lendenspross auch nur eines Blickes zu würdigen. Er lässt sie tatsächlich mir nichts, dir nichts mit dem Nachwuchs sitzen.
„Happy ending in a Broadway show...“
Gleichwohl ist Francine ohne Jimmy gar nicht so schlecht dran: Sie macht Karriere als Sängerin, Scorsese lässt sie mehrere Stücke nacheinander in ausgedehnter Musicalform aufführen. Sie avanciert gar zum Superstar, über den die Kino-Wochenshow berichtet. Jimmys Komposition „New York, New York“ schießt aber ebenfalls auf Platz 1 der Charts.
Nun sind Musikfilme sicherlich nicht das Erste, das man für gewöhnlich mit Martin Scorsese in Verbindung bringt – obwohl er mehrere schuf. Dieser war der erste. Der überlange Film groovt sich auf ein angenehmes Erzähltempo ein und kehrt – neben aller ehrlichen Begeisterung für die Musik, die mit viel Jazzgequietsche einhergeht – in der zweiten Hälfte heraus, was er in der ersten bereits mit der Figureneinführung angedeutet hatte: welch verantwortungsloser, eitler und letztlich egoistischer Typ Mann Jimmy ist. Darüber hinaus ist „New York, New York“ ein antirassistisches Statement über die verbindende, hautfarbenübergreifende Kraft der Musik. In seinem letzten Drittel ist der Film fast ausschließlich ein Musical und endet nach seinen intimen Einblicken ins damalige Musikerinnen- und Musikerleben mit einer urban-melancholischen Schlusseinstellung. „New York, New York“ ist opulent ausgestattet, was bis zu an Kubrick erinnernde, artifizielle Bildsymmetrien reicht.
Es wirkt, als habe Scorsese bewusst zwei Menschen mit ganz irdischen Problemen in eine Kunstwelt hineingeworfen, um sie darin zu beobachten. Dazu passt, dass er Minnelli und De Niro viel improvisieren ließ. Letzterer lernte eigens für diesen Film das Saxophonspiel. Mit dem von Francine gesungenen, titelgebenden „New York, New York“, das weit über diesen Film hinaus (insbesondere in Frank Sinatras Interpretation) Popularität erlangte, erhielt die Stadt ihre Hymne – wofür Scorsese also mitverantwortlich zeichnet. In seiner gewagten Synthese aus fröhlichem Musical und New-Hollywood-Realismus wirkt der Film jedoch etwas überambitioniert, was vielleicht zum kommerziellen Misserfolg an der Kinokasse führte. In künstlerischer Hinsicht aber ist „New York, New York“ mehr als nur einen Blick wert – und sei es nur, um zu sehen, wie der in Little Italy aufgewachsene Scorsese einmal mehr eindrucksvoll illustriert, wie sehr ein ausgeprägter Machismo dem privaten Glück im Wege steht.