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So hatten es sich die produzierenden Sender SFB und WDR wohl nicht vorgestellt. Bereits im Vorfeld hagelte es Kritik an Rainer Boldts Film Im Zeichen des Kreuzes. Die nach diffusen Wirren bereits von Januar auf April verschobene Ausstrahlung der 1,6 Millionen DM teuren Produktion in der gemeinschaftlich von den regionalen Sendeanstalten betriebenen ARD wurde abgesagt, da keine Einigung über die Wertigkeit des Films getroffen werden konnte. Die Funkuhr berichtete: Norddeutscher wie Bayerischer Rundfunk drohten, wenn der Film am 24. April gezeigt werde, werde man sich ausschalten. Der Streifen sei nicht sendefähig. Er sei eine unzulässige Angstmache der Bevölkerung. Der brutale Schluß habe einige erschreckt. Die Programmschefs haben eine lawinenartige emotionale Reaktion aufgewühlter Zuschauer auf sich zukommen gesehen – wie einst bei den Science-Fiction Filmen Smog und Millionenspiel.
Doch was ist so beklemmend an diesem kernkraftkritischen Katastrophen-Stoff von Hans-Rüdiger Minow, dessen Drehbuch die WDR-Redaktion bereits als Utopie entschärfend in das Jahr 1990 verlegen ließ? Was ist der Anlaß, daß die sich schließlich außer dem Bayerischen Rundfunk zusammengeschalteten dritten Programme nur mit einem Vorwort und einer anknüpfenden Diskussionsrunde doch noch zu einer Ausstrahlung am 16.05.1983 durchringen konnten? Und warum ist Im Zeichen des Kreuzes hierauf nie wieder gesendet worden?

Kernkraft-Lobbyisten und Politiker starteten in der abschließenden Diskussionsrunde Fiktion und Wirklichkeit nahezu identische Attacken, denen sich Rainer Boldt bereits seit Anbeginn der Arbeit an Im Zeichen des Kreuzes zu stellen hatte. Auch von den Sendeanstalten war man sich später nicht einig gewesen, ob es nun die Realitätsferne des Szenarios oder gar die blutrünstige Darstellung der Bundeswehr sei, die eine Übertragung unterbinden sollte. Ohne auf die metaphorischen Funktionen der Bilder einzugehen, wurde Boldts Umsetzung vehement auf die Wirklichkeitstreue reduziert und der Vorwurf formuliert, man hätte sich besser informieren müssen, zumal der Zuschauer zwischen Nachrichtenrealität und Fernsehspiel nicht zu unterscheiden wisse. Daß der Produktion jedoch Steine in den Weg gelegt wurden, findet keine Erwähnung.
Hannovers Innenminister Möcklinghoff wies laut FAZ die Bitte um authentische Ausstattung mit ABC-Monturen, Hubschraubern und anderen Einschlägigkeiten zurück, da der Staat nicht an der Verbreitung irrationaler Ängste teilhaben dürfe. Folgend habe sich bei Boldt die Deutsche Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe mbH gemeldet, um ihm davon Kenntnis zu geben, daß der dem Fernsehfilm zugrunde liegende Zusammenhang und die sich daraus ergebenden Konsequenzen nicht nur theoretisch ausgeschlossen werden könnten, sondern praktisch undenkbar seien. Plötzlich seien Drehgenehmigungen aufgehoben worden, Bücher in nicht authorisierte Hände geraten und selbst die Freiwillige Feuerwehr habe nicht mehr in ihren Uniformen posieren wollen.
Es baute sich also ein Druck auf, der ungerechtfertigt ignorierte, daß Im Zeichen des Kreuzes für seine Darstellung authentischer Gefühle, in diesem Sinne vielleicht einer erwachsenen Anti-Version von Neues aus Uhlenbusch, nicht an die Abbildung der Realität gebunden ist.
Als spekulativer Katastrophenfilm ist Im Zeichen des Kreuzes äußerst wirksam, trifft er doch genau in das Zentrum von Unsicherheiten einer bevormundeten Bevölkerung, die sich just in 6-stelliger Zahl in kriegsähnlichen Zuständen gegen Tausendschaften von Polizisten zu stellen hatten, als sie ihren Unmut über den Bau des Kernkraftwerks in Brokdorf kundtun wollten. Nur zu bewußt war den Menschen die Unsicherheit dieser unsichtbaren Gefahr, nur zu sehr erkannten sie, wie scheinbar unbeschwert Befürworter der Kernkraft die Sicherheit propagierten, im Hinterkopf wohl darauf hoffend, daß einfach nicht passieren wird, was nicht sein darf. Nur zu alltäglich waren den Anwohnern des Kreises die Bilder von heranbrausenden Wasserwerfern und Mannschaftswagen und der immerwährenden Präsenz von Demonstranten. Wie selbstverständlich waren diese Bilder Gegenstand der Medien.

Eingeleitet durch eine Roadmoviesequenz stellt Rainer Boldt nun eine unachtsame Welt vor. Kritiker stießen sich später an den einfachen Rollreifen-Fässern, in denen nur ungefährliches, schwach radioaktives Material transportiert würde. Doch würden die begleitenden Polizeibeamten in der Realität Zivilfahrzeuge nutzen? Sehen wir uns diesen Transport genauer an. Die LKW-Fahrer schlingern auf der Straße hin und her. Die Gefahr durch ein Insekt in der Fahrerkabine scheint ihnen gegenwärtiger zu sein als das Risiko ihrer Fracht. Während sie nach dem kleinen Tier schlagen, speist die Polizei Klappstullen oder schottet sich per Walkman von der Außenwelt ab, als wolle man die Distanz suchen, im übertragenen Sinne die Augen vor der vom Transport ausgehenden Gefahr verschließen. Später werden Polizisten dies noch verdeutlichen, in dem sie betont die eigene Meinung vor dem System zurückstellen, so wie auch die Beamten im Einsatz gegen Kernkraftgegner nicht nach ihrer Meinung zum Demonstrationsinhalt gefragt werden.
Der Zugang zur Handlung wird dem Zuschauer jedoch über ein Pärchen eröffnet, das den bockigen Sprößling über das Wochenende bei Bekannten auf dem Lande unterbringen möchte, um sich über die eigene Beziehung klar zu werden. Auch hier handelt es sich jedoch nur bedingt um Identifikationsfiguren, da auch hier eine deutliche Selbstbezogenheit in den Vordergrund gerückt wird. Bereits beim Überholen der Kolonne wird der Grundton des Films weiter definiert, indem ein Polizist unachtsam zum Vorgang auffordert, während der Fahrer des überholenden Volvos bei plötzlichem Gegenverkehr mit der Beherrschung seines Gefährts zu kämpfen hat. Die anfällige Kontrolle über die Technologie und das menschliche Versagen werden die Hauptrolle in Im Zeichen des Kreuzes spielen.

Kaum gibt uns Boldt Gelegenheit, uns in das ländliche Idyll einzufühlen. Es kracht gewaltig, als der Atomtransport mit einem Flüssiggaslaster zusammenprallt. Ein gigantischer Feuerball steigt empor und zu bedrohlich wabernden Synthesizern werden die Ausmaße der Katastrophe langsam deutlich. Noch ist die Freiwillige Feuerwehr des Dorfes unachtsam beim Blick auf die gelben Fässer mit dem Flügelradsymbol, dem Zeichen des Kreuzes, von dem dieser Film seinen Titel bezieht. In öliger Lache liegen diese Behälter, arrangiert, als sei es eine Aktion der Anti-Atom-Bewegung. Über den Inhalt wird nur spekuliert und genauso wie der aufsteigende Rauch eher als Versinnbildlichung der sonst unsichtbaren, austretenden Strahlung verstanden werden sollte, so ist es für den Film unerheblich, wie weit man sich hier nun von der Realität entfernt.
Sachlich gesehen handelt diese Szene vor allem globalisierend von der Sorglosigkeit im Umgang mit Radioaktivität. Das Auftreten einer Figur mit automatischer Waffe steigert für sich die Absurdität des Szenarios und kehrt so den metaphorischen Charakter in den Vordergrund. Katastrophenschutzpläne sahen eine planbare Katastrophe als Ausgangspunkt vor. Alle festgelegten Maßnahmen orientierten sich an einer rechtzeitigen Meldung eines Vorfalls, auf den hin dann eine rechtzeitige Versorgung und Evakuierung stattfinden kann. Im Zeichen des Kreuzes jedoch spielt auf den plötzlichen Unfall hin an, bei dem Menschen völlig unvorbereitet in den Kontakt mit radioaktiver Strahlung geraten.
Die Opfer dieses Vorfalls sind durchaus ein politisches Thema. Formrichtig wird das kleine Dorf von der Außenwelt abgeschirmt. In der albtraumhaften Bildhaftigkeit vermischen sich nun Eindrücke der Anti-Kernkraft-Demonstrationen mit den unbeholfenen Versuchen der Situation Herr zu werden. Die kritisierte Behandlung der Kontaminierten als eine Art Aussätzige scheint dabei ungemein menschlich, ist eine radioaktive Verseuchung den handelnden Beamten doch fremd. Desweiteren ist strittig, in wie weit ein Katastrophenschutzplan einen erzwungenen Aufenthalt der Kontaminierten im Gefahrengebiet vorsehen kann und nicht vielmehr ein Eindringen in das verstrahlte Gebiet unterbunden werden muß.
In der anschließenden Diskussion geht Rainer Boldt von der Annahme aus, daß den Betroffenen auch strahlende Partikel anhaften könnten, vor denen die Außenwelt bis zur infrastrukturell zu bewerkstelligenden Dekontamination zu schützen ist. Auf eine schleppende Errichtung von Hilfsmaßnahmen deutet die zähe Versorgung mit Tabletten durchaus hin. Er spricht jedoch nicht an, daß außerdem ein Mantel des Schweigens eine Öffentlichkeit der Verseuchung verhindern sollen könnte, genauso wenig wie er die Referenzen an in manchen Köpfen noch präsente Schreckensbilder aus dem Dritten Reich kommentiert.
Im Zeichen des Kreuzes steuert zielsicher auf einen ausgesprochen pessimistischen Ausgang hin, der im Ausdruck schon fast den Filmen Romeros nahezustellen ist. Bezeichnend hierbei ist, daß sich Boldt ebenso den Vorwurf der Menschenfeindlichkeit gefallen lassen musste. Sicher provoziert dies seine abschließende und lautstark kritisierte Darstellung der Bundeswehr zusätzlich, jedoch spricht dies auch umso mehr für die allgemeine Hilflosigkeit in Bezug auf das Gefahrenpotenzial der Radioaktivität. Bei dieser Eskalation spielt es nun keine Rolle mehr, ob es rechtliche Einschränkungen für diese Reaktion der Bundeswehr in der zivilen Hilfsfunktion geben würde. Im Gegenteil wird ja der menschliche Zweifel auch auf Seiten der Militärs eindrucksvoll durch zögerliche Gesichter zum Ausdruck gebracht.
Dies groteske Handeln fernab unseres humanistischen Grundverständnisses sollte abschließend Anregung für Industrie und Staatsorgane sein, sich selbst anhand der Vorwürfe kritisch zu prüfen, anstatt sich darüber zu echauffieren, denn aus dem Volke bekam der Film durchaus seine Bestätigung, da er bestehende Ängste auf seine nahezu surreal abstrakte Art anschaulich illustrierte.

Vielleicht hätte Im Zeichen des Kreuzes von vorn herein auf die Leinwände gehört und nicht in das Programm von Sendeanstalten, die es in ihrer Natur allen recht machen wollen und sollen und deshalb auch bei jeder Reaktion in die Kritik geraten sind. Auch wenn die abschließende Diskussion durchaus gesteuert und zwanghaft zu einer Meinungstendenz geführt worden zu sein scheint, so war es in Anbetracht der Umstände durchaus eine Leistung der gestalterischen Freiheit, daß der Film überhaupt ausgestrahlt worden ist. Folgend gab es laute Beschwerden von hoher Stelle, wie von Verteidigungsminister Manfred Wörner, der in einem offenen Brief Stellung gegen die Übertragung des Films bezog, mit dem die Sendeanstalten die Grenzen der grundrechtlich zugesicherten Pressefreiheit überschritten hätten. Spätestens die kurzfristige Einholung durch die Realität mit dem Reaktorunfall in Tschernobyl sorgte dafür, daß eine erneute Sendung denkbar unangemessen erschien.
Im Zeichen des Kreuzes ist insbesondere in Erinnerung an diese Bilder, immer wieder auftretenden Störungen und Unfällen in Kernkraftwerken aber natürlich auch der aktuellen Katastrophe von Japan auch heute noch ein äußerst beklemmendes Werk. Wenngleich die zeitgenössische Gestaltung heute etwas fremd wirkt und dadurch die surreale Stimmung nur noch potenziert, so ist der Film doch auch ein sehr authentisches Abbild der Gefühlswelt seiner Zeit und allein schon deshalb ein erhaltenswerter Spagat zwischen dialektischem Drama und spekulativem Katastrophen-Horror-Thriller. Ein durch und durch außergewöhnlicher Moment des deutschen Fernsehspiels, welches sich in seiner Intensität nicht hinter dem kurz darauf für das US-Fernsehen entstandenen The Day After verstecken braucht.

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