Es ist eine Art Ritual für die fünf befreundeten Ärzte: Ihr alljährlicher, gemeinsamer Urlaubsausflug. Dieses Jahr fliegen Harry (Hal Holbrook, The Fog), Mitzi (Lawrence Dane, Scanners), Martin (Robin Gammell, Lipstick), Abel (Ken James, Youngblood) und D.J. (Gary Reineke, Murder by Phone) zu einem idyllischen See in der fast noch unberührten Wildnis Kanadas. Für eine knappe Woche steht nun Fischen, Schwimmen, Wandern, die Seele baumeln lassen und die Natur genießen auf dem Plan, dann werden die fünf von ihrem Piloten (Murray Westgate) mit seinem Wasserflugzeug - die einzige Möglichkeit der An- und Abreise, sofern man sich nicht auf einen langen, beschwerlichen Fußmarsch einlassen will - wieder abgeholt. Kaum haben sie ihr Lager aufgeschlagen, verschwinden über Nacht auf mysteriöse Weise ihre Stiefel. Ohne festes Schuhwerk (lediglich D.J. hat ein Paar als Ersatz eingepackt) fallen viele der geplanten Aktivitäten natürlich ins Wasser, und so macht sich der verärgerte D.J. auf den Weg Richtung eines nicht allzu weit entfernten Staudammes, um dort Hilfe anzufordern. Die ist auch dringend nötig, denn Irgendjemand treibt ein perfides Katz- und Maus-Spiel mit dem verbliebenen Quartett. So finden die Ärzte morgens einen aufgespießten Hirschkopf neben ihren Zelten, und wenig später wird ihnen gar ein Bienenkorb vor die Füße geworfen. Ein erstes Todesopfer ist zu beklagen.
Daß Stadtmenschen in der rauhen Natur ihr blaues Wunder erleben können, hat einige Jahre zuvor bereits John Boorman mit Deliverance (Beim Sterben ist jeder der Erste, 1972) auf beeindruckende Art und Weise vorexerziert. Der von Ian Sutherland geschriebene und von Peter Carter inszenierte Rituals schlägt mit Wucht in eine ähnliche Kerbe, und er ist auch ähnlich gut gelungen. In Rituals müssen sich unsere Helden nicht nur mit der gewaltigen, ungezähmten Natur herumschlagen, sie bekommen es darüber hinaus mit einem in der Wildnis lebenden Kriegsveteranen zu tun, der ihnen außerordentlich feindlich gesonnen ist. Neben den fiesen Attacken des Unbekannten, die manchmal wie aus heiterem Himmel über sie hereinbrechen, ist es vor allem die Ungewißheit, die unaufhörlich an ihnen nagt und die so lange an ihren Nerven zerrt, bis diese blank liegen. Wieso hat es jemand auf sie abgesehen? Wer zum Teufel ist dieser jemand überhaupt? Und wann schlägt er wieder zu? Daß es der Unbekannte ernst meint, ist relativ schnell offensichtlich. Spätestens als sich die Ärzte inmitten eines wütenden Bienenschwarms wiederfinden, sollte selbst dem größten Optimisten klar sein, daß dies kein Spiel mehr ist und daß es von nun an ums nackte Überleben geht. Doch der Gegner bietet keine Angriffsfläche, er bleibt geschickt im Schatten. Seine Angriffe sind gut durchdacht und zielen dahin, wo es weh tut.
In einer klassischen Suspense-Sequenz, die Alfred Hitchcock kaum besser hinbekommen hätte, durchqueren die Ärzte an einem gespannten Seil einen breiten Fluß. Entschlossen kämpfen sie sich Schritt für Schritt voran, stemmen sich gegen die starke Strömung. Sie ahnen nicht, daß entlang des Weges, irgendwo vor ihnen, am Grund des Flusses eine aufgespannte Bärenfalle platziert wurde. Im Gegensatz zu den Protagonisten wissen die Zuschauer Bescheid, was dazu führt, daß man bei jedem Schritt der Männer, Schlimmes befürchtend, unwillkürlich zusammenzuckt. Eine wahrhaft teuflische und atemberaubende Szene. Verstärkend kommt hinzu, daß es Peter Carter gelingt, nach dem recht lockeren Auftakt eine dichte, grimmige, unangenehme Stimmung der allgegenwärtigen Bedrohung und des ausweglosen Grauens zu etablieren, welcher die Ärzte ausgeliefert sind. Die immensen Strapazen, welche die Männer durchmachen müssen, das sich konsequent steigernde Gefühl der Hilflosigkeit, einhergehend mit dem fast völligen Kontrollverlust, das alles wird nahezu ungefiltert auf das Publikum übertragen, sodaß man es fast körperlich zu spüren meint. In dieser Hinsicht übertrifft Rituals sogar ähnlich gelagerte doch ebenso großartige Filme wie Just Before Dawn oder Southern Comfort (beide 1981). Und auch wenn in Rituals nur wenig Blut fließt... der Schrecken prasselt wuchtig, kompromißlos und erstaunlich grausam auf die Urlauber hernieder.
Dieser leider wenig bekannte Mix aus Slasher-Horror und Survival-Thriller entstand von Juni bis August 1976 in Ontario, Kanada, wobei Carter und sein DoP René Verzier (Rabid) fast den kompletten Streifen kontinuierlich abdrehten. Doch nicht nur diese eher selten angewandte Arbeitsweise erhöht den Realismus beträchtlich; es sind auch die zahlreichen authentischen Details (das mühevolle Waten durch den Sumpf, der abgetrennte Hirschkopf, die aufgeschreckten Bienen, etc.) die dafür sorgen, daß sich Rituals schmerzhaft echt anfühlt. Das tolle Ensemble (allesamt recht kernige Typen) trägt ihr Scherflein zum Gelingen ebenso bei. Hal Holbrook und Lawrence Dane sind schlichtweg famos und absolut glaubwürdig in ihren jeweiligen Rollen und liefern sich so manchen ungestümen Schlagabtausch, wenn die Maske der Zivilisation langsam zu bröckeln beginnt. Denn je länger das Martyrium dauert, desto egoistischer, sturer und rücksichtsloser agieren die Männer. Ihre animalischen Instinkte übernehmen, während moralische Aspekte zunehmend in den Hintergrund rücken. Und die imposante Naturkulisse scheint die seelische Verfassung der Protagonisten widerzuspiegeln. Das idyllische Plätzchen zu Beginn weicht schon bald dichten, düsteren Wäldern, danach dem reißenden Fluß, und schließlich einer kargen, steinigen Hügellandschaft, wo kaum mehr Leben möglich scheint. Zu guter Letzt gipfelt Rituals in ein beinhartes, intensives, alptraumhaftes Finale, welches all dem vorangegangenen Schrecken noch die Krone aufsetzt. Und aus dem niemand unbeschadet hervorgehen wird.