„Ein Haus voll bösartiger Menschen!“
Nach seinen Fantasy- und Endzeitfilmen „Conquest“ und „Die Schlacht der Centurions“ besann sich der italienische Filemacher Lucio Fulci („Über dem Jenseits“), oftmals zu Unrecht auf seine Splatterfilme reduziert, im Jahre 1984 noch einmal auf das Giallo-Genre, das er in den ‘60ern und ‘70ern erfolgreich bedient hatte. Das Ergebnis ist der ferner von der Tanzfilmwelle à la „Flashdance“ und dem einen oder anderen Slasher, z.B. Fulcis eigenem „Der New York Ripper“, inspirierte „Murder Rock“.
„Wahrscheinlich, weil wir in deinen Augen doch alle nur Nutten sind!“ – „Na und? Ich hab’ doch Recht!“
In Dick Gibsons (Claudio Cassinelli, „Die weiße Göttin der Kannibalen“) New Yorker Tanzschule entbrennt ein Konkurrenzkampf unter den jugendlichen Tänzerinnen, da lediglich drei Teilnehmerinnen des Fortgeschrittenen-Kurses für eine große Show am Broadway gebucht werden sollen. Außerdem hat der nicht nur an den tänzerischen Darbietungen der Mädchen interessierte Gibson die Leitung des Kurses der knallharten Candice Norman (Olga Karlatos, „Woodoo – Die Schreckensinsel der Zombies“) übertragen, was sowohl die bisherige Trainerin Margie (Geretta Geretta, „Riffs III – Die Ratten von Manhattan“) als auch die Tänzerinnen ärgert. Prompt wird eine der talentierten Hupfdohlen, die attraktive Susan (Angela Lemerman), nach dem Training von einem Unbekannten mit Chloroform betäubt und durch einen Stich mit einer Hutnadel ins Herz ermordet – und ist damit nur das erste Opfer einer unheimlichen Mordserie, die eine Tänzerin nach der anderen das Leben kostet. Lieutenant Borges (Cosimo Cinieri, „Der New York Ripper“) versucht, den Täter im Umfeld der Tanzschule ausfindig zu machen, doch die von Alpträumen geplagte Candice entdeckt auf einer Reklametafel das Gesicht desjenigen, der in ihren Träumen hinter ihr her ist. Es gehört dem Schauspieler George Webb (Ray Lovelock, „Invasion der Zombies“), der verstärkt dem Alkohol zuspricht und die eine oder andere Leiche im Keller hat. Dennoch freunden sich beide miteinander an…
„Kriminalität ist oft die verzerrte Form menschlichen Strebens!“
Zu einem furchtbaren ‘80er-Pop-Titelsong gestattet Fulci einen Blick auf das nächtliche Panorama New Yorks, um im Anschluss in einer ziemlich leeren Disco einige Breakdance-Künste in den Mittelpunkt zu rücken. Diese gehen über in eine Massen-Aerobic-Szene in der Tanzschule und während sich der geneigte Zuschauer noch fragt, ob eigentlich noch mehr ‘80er-Overkill zu Beginn ginge, wird die Szene lang ausgewalzt. Kurz nachdem den Tänzerinnen eröffnet wurde, dass lediglich die drei besten von ihnen für die große Revue benötigt werden, stellt Fulci sein inszenatorisches Geschick unter Beweis, wenn er auf den langen Gängen der Umkleidekabinen Susan und ihren Freund Willy (Christian Borromeo, „Tenebrae“) zu flackerndem Licht heimlich knutschen lässt. Auch als Susan duschen geht, flackert das Licht unablässig und dramatisch, als ahne es ihren nun folgenden Tod voraus. Candice erhält im Anschluss Besuch von Dick; beide scheinen einmal so etwas wie eine eheähnliche Beziehung miteinander geführt zu haben, denn sie cremt ohne falsche Scham ihren nackten Körper vor ihm ein und hält ihm vor, auf ihre Schülerinnen zu stehen – jedoch nicht mehr auf Susan, wie er betont –, womit es bereits jetzt mehrere Verdächtige gibt.
Willy ist empört, dass das Training zu nach wie vor schrecklicher Musik weitergeht, als wäre nichts gewesen. In der Tat hält der erschütternde Vorfall die Tänzerin Janice (Carla Buzzanca) auch nicht davon ab, eine sehr selbstzweckhaft gefilmte erotische Tanznummer in einem Nachtclub aufzuführen. Er lauert ihr daraufhin in ihrer Wohnung auf, woraufhin sie erschrickt. Nach einer kurzen Unterredung qualmt die Kippe noch im Aschenbecher, doch Willy ist verschwunden, mit ihm das Bild von ihm und Susan. Das interessiert Janice jedoch nicht lange, denn als das Licht erneut zu flackern beginnt, wird auch sie ermordet. Der Zuschauer wird nun Zeuge einer surrealen Traumsequenz Candice‘, in der sie nur im Nachthemd bekleidet von einem blonden Killer verfolgt wird, welchen sie kurz darauf auf einem Werbeplakat wiedererkennt und sich aus diesem Grund Zutritt zu dessen Hotelzimmer verschafft. Der Mörder ruft unterdessen bei der Polizei an, um seinen nächsten Mord anzukündigen, welche daraufhin Tanzschüler Bert (Robert Gligorov, „Stage Fright“) als dringend Tatverdächtigen verhaftet. Doch natürlich ist er nur ein weiterer Verdächtiger, der sich anscheinend lediglich einen Scherz mit der Polizei erlaubt. Lieutenant Borges kann so gar nicht darauf und verleiht seinem Unmut Ausdruck, indem er den Bengel schlägt.
Candice treibt’s mittlerweile mit ihrem „Traummann“ George Webb, den ein chinesischer Stäbchenzieher wenig sensibel als Mörder bezeichnet und ihn damit prompt wieder zum Hauptverdächtigen Nr. 1 macht. Ein Telefonanruf setzt diesbzgl. gar noch einen drauf, wenngleich die gute Candice just auch psychologisch auffälliges Verhalten an den Tag legte. Diese scheint nun die nächste auf der Liste zu sein, doch bekommt sie es „nur“ mit ihrer Vorgängerin Margie zu tun, die sich als Trittbrettfahrerin der Mordserie dafür rächen wollte, dass sie den Tanzkurs nicht mehr leiten darf, jedoch doch kurz vor Vollendung der Tat einen Rückzieher macht. Fulci-typisch haben nun bereits eine Menge Personen Dreck am Stecken und würde man ihnen alles zutrauen. Eine geschickt geschnittene Mordszene an Jill macht wiederum Dick verdächtig, und schon wieder flackert das Licht und schon wieder muss eine weitere Tänzerin dran glauben... Und schon wieder flackert das Licht, aber, nein, wir befinden uns in keiner Endlosschleife. Candice wird in einen Raum voller Fernseher gesperrt, die Tanzszenen der Toten zeigen. Die nun folgende Wendung werde ich nicht verraten, nur, dass ich sie dann doch nicht unbedingt erahnt hatte. Bei der finalen Auflösung darf das Licht abermals flackern und zum Abspann wird noch einmal kräftig das eine oder andere Tanzbein geschwungen.
Wer möchte, kann „Murder Rock“ („Murder Pop“ wäre passender gewesen) sicherlich als moralischen Abgesang auf die damals um sich greifende und von diversen Mainstream-Filmchen weiter vorangetriebene Popper-Tanz-Klientel, die sich insbesondere durch Oberflächlichkeit, Egozentrik und Karrierismus auszeichnete, verstehen – oder aber schlicht als damals aktuelle Trends aufgreifenden Spät-Giallo, der qualitativ nicht an Fulcis „Der New York Ripper“ heranreicht, jedoch eine ähnlich negative Sicht auf die Bewohner des Big Apple verfolgt. Fast jeder benimmt sich, als würde er sich absichtlich verdächtig machen wollen und einer tut es dann ja sogar wirklich. Jedoch hat „Murder Rock“ auch in Bezug auf visuelle Härte nicht viel mit dem „Ripper“ gemein, gehen die Morde doch quasi klinisch sauber und blutarm vonstatten, womit sie wiederum perfekt mit dem ungemütlich unterkühlten Look des Films korrespondieren. Die akustische Härte indes ist der Soundtrack von niemand Geringerem als Keith Emerson, die sich anhört, als wolle Emerson, der seinerzeit solch kongeniale Arbeit für Argentos „Inferno“ ablieferte, Fulci vorsätzlich mit scheußlicher Musik einen Streich spielen. Zugegeben, ungefähr nach zwei Dritteln wird es erträglicher, jedoch nur, um anschließend erneut abzuflachen. Weitaus weniger flach sind die Schauspielerinnen, zumindest körperlich, so ist der angesichts der Thematik nicht ganz von Ungefähr kommende Sleazegehalt in einem durchaus angenehmen Ausmaß vorhanden – ohne dass man es übertreiben würde. Aber auch schauspielerisch ist vieles im grünen Bereich, sorgen verdiente Italo-Mimen für passables Genre-Niveau. Einen Hingucker wert sind auch die Szenenausleuchtungen auf der Höhe des Neon-Jahrzehnts, die sich mit Fulcis Kamera-Dynamik und Gesichts-Zooms interessant kombinieren. Für einen Giallo eher untypisch ist das Fehlen einer klar als solche definierten Hauptrolle, dafür bekommt man eine extra hohe Anzahl an Finten geboten und dank der zwar genretypisch kuriosen und über-, jedoch nicht hoffnungslos an den Haaren herbeigezogenen Auflösung macht das Miträtseln sogar Spaß. Dass das Drehbuch dafür jedoch bisweilen arg konstruiert scheint und im Umgang mit seinen Charakteren wenig behände an der Nase herumführt, steht jedoch auf einem anderen Blatt; von der Leichtfüßigkeit wirklich guter Gialli ist „Murder Rock“ trotz gekonnter Tanz-Choreographien ebenso weit entfernt wie von einer anmutigen Gesamtästhetik.