1995 „Judge Dredd" oder „Back to the dark Future" (Sly Nr. 23)
„Ich wusste, dass er das sagen würde!"
Keine Frage, Sly Stallone wollte auch endlich sein „I´ll be back!" haben, leider hat er es mal wieder nicht ganz so geschickt angestellt wie Kollege Arnold. Es reicht eben nicht, einen trockenen Oneliner möglichst oft anzubringen um zum Kult zu werden. Nicht dass der Spruch keine Potential gehabt hätte, aber er war einfach zur falschen Zeit im falschen Film. So wie Sly. Dabei hatte auf dem Papier alles so gut ausgesehen. Ein aufwändiger, dystopischer Science-Fiction-Kracher mit einem gesunden Härtegrad sollte es ein. Das schrie förmlich nach einem „Total Recall"-Klon für Stallone. Am Ende wurde es nur ein Vorgeschmack auf „The Sixth Day" und der steht ja bekanntlich für Arnolds unglücklichen Karriereherbst.
In dem wähnte sich Sly Mitte der 90er zwar noch nicht, aber den notwendigen Imagewandel hatte er längst erkannt. Action ja, aber entweder im erweiterten Genre-Rahmen („Demolition Man", 1993), oder aber mit einem menschlicheren Helden („Cliffhanger", 1993). Da letzteres mit „The Specialist" (1994) nur bedingt funktioniert hatte, kam mal wieder die erste Variante ins Spiel. Einigermaßen überraschend ist dabei allerdings, dass man offenbar aus den Fehlern bei „Demolition Man" nicht viel gelernt hatte. Wieder verpflichtete man einen mit solchen Mammutproduktionen völlig unerfahrenen Regisseur (1), der dann auch prompt die vielen Baustellen und während des Drehs aufpoppenden Probleme nie in den Griff bekam. Zur Erinnerung, bei „Total Recall" (1990) saß ein gewisser Paul Verhoeven auf dem Regiestuhl, der spätestens mit „RoboCop" (1987) alle Zweifel an seiner Tauglichkeit ausgeräumt haben dürfte.
Ironischerweise war es der überraschende Erfolg von „RoboCop" gewesen, der dem Judge Dredd-Projekt den entscheidenden Schub verpasste.(2) Schließlich gab es unübersehbare inhaltliche Parallelen: „Judge Dredd" spielt in den USA des 22. Jahrhunderts. Die Menschen leben zusammen gepfercht in Mega-Cities und das Gesetz kann nur mehr durch ultrahart durchgreifende Spezialcops aufrecht erhalten werden, den so genannten „Judges". Diese sind Cop, Richter und Henker in Personalunion und quasi allmächtig. „Dredd" ist der Star dieser Elitetruppe, hat aber auch mächtige Feinde in Regierungskreisen, zumal der gesetzestreue Vollstrecker deren Allmachtsplänen zunehmend im Weg steht ...
Wie in „RoboCop" geht es also um einen diktatorischen Polizeistaat, der seine Beamten lediglich als Handlanger der eigenen Repressionspolitik sieht. Eine zynische und finstere Zukunftsvision. Offenbar war das Massenpublikum aber inzwischen mehr als bereit für solch harte Science-Fiction-Kost jenseits der familienfreundlichen „Star Trek" und Star Wars"-Welten. Und sie wollten die deutlich finsteren Stoffe in edler Verpackung und mit spektakulärer Action. Ob es erst den Schwarzenegger-Doppelpack „Total Recall" (1990) und „Terminator 2" (1991) gebraucht hatte, um die Gelder in Hollywoods bürokratischen Chefetagen locker zu machen, ist spekulativ, jedenfalls sollte es noch ein paar Jahre dauern, bis endlich grünes Licht für Dredd gegeben wurde. Und das hatte in erster Linie mit Schwarzeneggers Interesse an der Titelrolle zu tun. Rechtliche Streitigkeiten sorgten aber erst mal für Stillstand, so dass der Österreicher sich neuen Projekten zuwandte. Stallone kam dann nicht nur aus besagten Karriereplänen ins Spiel, sondern auch wegen der Notwendigkeit eines weltweit zugkräftigen Action-Namens. Angesichts Schwarzeneggers Ausscheiden blieb eigentlich nur noch sein ewiger Rivale übrig.
Nach der langwierigen Entstehungsgeschichte und einer ebensolchen Vorproduktion (es musste erst ein passendes und vor allem verfügbares Studio für die aufwändigen Sets gefunden werden), war es im Sommer 1994 endlich soweit und Stallone stürzte sich mit gewohntem Feuereifer in die Schlacht. Soll heißen, er brachte eigene Vorstellungen mit ein, wie Film und Charakter aussehen sollten. Mit dem unerfahrenen Danny Cannon kam es daher natürlich schnell zu Reibereien, zumal der als erklärter Fan der Comicvorlage ebenfalls eine eigene Vision hatte und bereits mit dem Originalskript nicht allzu glücklich gewesen war. Diese Kompetenz- und Revierstreitigkeiten sind bi zu einem gewisse Grad natürlich teil vieler Großproduktionen, bei Dredd allerdings trugen sie nicht unerheblich zum unrunden Gesamtergebnis bei.
Denn eines muss man auch als wohlwollender Sly- und Dredd-Advokat zugeben, der Film findet keine einheitliche Tonlage, weder visuell, noch in seiner Erzählhaltung. Mal ist er ernst, mal komisch, mal sarkastisch, mal pathetisch. Die superben Sets und Tricksequenzen schaffen eine dystopische Welt im Blade Runner-Stil, die klobigen Uniformen der Judges mit ihren vielen glänzenden Gold-Applikationen erinnern dagegen mehr an ein knalliges Pulp-Comic. Dieser wüste Mix macht - hat man sich erst mal darauf eingelassen - auch jede Menge Spaß, aber intendiert war diese Wirkung wohl eher nicht. Weniger störend ist die Tatsache, dass man sich im Gesamtkontext und einigen Details (Dredd nimmt seinen Helm ab) teilweise erheblich von der Vorlage entfernt hat. Die Comics waren lange Zeit nur in England einigermaßen bekannt und auch später hauptsächlich Nerds ein fester Begriff. Aber wenn man die Figur menschlicher anlegen will, den Nihilismus und Pessimismus etwas herunter fahren will, dann muss man das auch konsequent durchziehen. Stallone hat wohl irgendwann gemerkt, wo das Ganze hinläuft und sich, respektive die Rolle nicht mehr ganz ernst genommen. Insgesamt kommt das dem Film sogar zugute, da es seinen Charakter als trashiges Hochglanzspektakel unterstreicht.
Leider hat das der restliche Cast nicht im selben Maße beherzigt. Jürgen Prochnow chargiert hier als geiferndes Ratsmitglied dermaßen over the top, dass man ihn in Sekundenbruchteilen als Baddie identifiziert. Max von Sydow fährt die gegenteilige Schiene, was nicht nur seine Rolle ebenso schnell entlarvt, sondern auch so gar nicht zum krachigen Gegenpart passt. Schließlich darf noch Diane Lane als Dredds Partnerin Judge Hershey den in solchen Filmen immer recht undankbaren Part des toughen Love Interest geben und Dredd die angeblich fehlenden Gefühle entlocken. Einzig Armande Assante gibt seinem Filmbruder Stallone ordentlich Zucker, was auch filmhistorisch ein launiger Gag ist, denn die beiden hatten schon bei Stallones frühem Regiedebüt „Paradise Alley" (1978) dieselbe Mutter und mit denselben filmischen Tonschwankungen zu kämpfen.
Bei aller Nörgelei gibt es zumindest eines nicht zu beklagen: Langeweile. Offenbar hatte man in der Post-Production das sich anbahnende Unheil erkannt und ordentlich aufs Gaspedal getreten. Soll heißen der Film ist nicht nur relativ kurz, sondern auch recht temporeich geraten. Ständig gibt es irgendwas zu bestaunen, die Sets wechseln gefühlt im 5-Minuten-Takt während quasi als Untermalung und Taktgeber ständig alle möglichen futuristischen Waffen abgefeuert werden. Die Sprüche und Dialoge dazwischen treffen weit weniger oft ins Schwarze, sind aber im Zuge einer nicht sonderlich tief schürfenden und vor allem munter zusammen geklauten Dystopie-Geschichte eh nur Mittel zum Zweck eines Grobrasters für allerlei Grobheiten. Die bescherten dem Film dann auch ein R-Rating und eine bundesdeutsche „Ab 18-Freigabe", was in den verantwortlichen Chefetagen für ordentlich Katerstimmung gesorgt haben dürfte. Das satte Budget von $90 Millionen wieder reinzuholen war wie üblich oberste Maxime und der ordentliche Härtegrad im Verbund mit der teilweise albernen Ausrichtung nicht gerade eine Traumkombination für die Umsetzung.
Die Strafe folgte dann auch prompt mit einem schmerzhaft schwachen US-Einspiel von $35 Millionen. Die international noch eingefahrenen $79 Millionen linderten die Pein nur bedingt und machten Verantwortlichen wie Star erneut klar, dass die Marke Stallone gehörig an Zugkraft verloren hatte. Die traditionell nicht sehr Stallone-freundliche Filmkritik wetzte natürlich die Messer und gab Mann wie Film zum Abschuss frei. Im heutigen Sequel-Retro-Comic-Zeitalter hätte man „Judge Dredd" wahrscheinlich etwas freundlicher aufgenommen, aber zum Meisterwerk wird er auch mit verklärtem Abstand nicht. Dennoch - und dieses Schicksal, oder Attribut teilt er mit einigen Stallone-Werken der 90er - ist auch „Judge Dredd" besser als sein schlechter Ruf und taugt absolut für die fröhliche Actionparty im gut besuchten Heimkino.
Anno 1995 war man als Sly-Fan aber noch weniger euphorisch gestimmt. Zu häufig verrannte sich der Star inzwischen in unausgegorene Projekte, die entweder nicht zu ihm passten, die die Verantwortlichen nicht in den Griff bekamen, oder aber auf vorhandene Trends zu spät bzw. nur halbherzig reagierten. Vor diesem düsteren Hintergrund waren die unmittelbar anschließenden Dreharbeiten zu „Assassins" ein heller Hoffnungsstreif. Kein geringerer als Actionprofi und Lethal Weapon-Regisseur Richard Donner sollte Sly als Auftragskiller in einem bodenständigen Action-Thriller-Szenario inszenieren. Stallone setzte also berechtigterweise große Erwartungen in den x-ten Imagewandel-Versuch, oder wie Judge Dredd geurteilt hätte:
„Ich wusste, dass er das denken würde!"
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Bad Ass Rating: 6/10 (Vor allem zu Beginn gibt es eine Reihe fetziger Einschüsse zu bestaunen, insgesamt herrscht ein rauer Ton, aber Originelles oder Erinnernswertes wird später nicht mehr serviert)
Muscle Posing Rating: 5/10 (die paar wenigen Muscle-Shirt-Einlagen nach Dienstschluss sind für Sly-Verhältnisse nicht der Rede wert, dafür betont der enge Cop-Suit prominent sein breites Kreuz)
Originaltitel: "Judge Dredd" (da gab es ausnahmsweise mal keine Ambitionen sich mit einer deutschen Alternative zu spielen, wäre auch zu dämlich gewesen)
Ähnlichster Schwarzenegger Film: „Total Recall" (Dystopische Zukunft, in der die Massen unterdrückt werden. Dazu aufwändige Sets und betont unzimperliche Action. Hauptunterschied: Arnolds Film ist in praktisch jeder Hinsicht besser.)
Sly mit Rocky-Punch: Check / Sly mit Selbstzweifel-Dackelblick: Check / Sly oben ohne: Halb-Check (diesmal gibt es nur ein paar Muscle-Shirt-Einstellungen in der Cop-Umkleide)
Beste Oneliner: „Ich wusste, dass er das sagen würde." (Dredds Standartspruch zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit) / „Dieses Zimmer ist befriedetes Gebiet." (Dredd, nachdem er 5 Gangster großkalibrig abgeurteilt hatte.) / „Die Sitzung ist geschlossen." (Dredd nach einem seiner finalen Urteile) / Dredd: „Sie haben sich nichts vorzuwerfen. Es war sein Fehler, nicht Ihrer." (Dredds Ermunterung an seine Partnerin Hershey, als sie einen Gangster erschießt.) - Hershey: „Wäre es nicht erfrischend, gelegentlich mal Gefühle zu haben?" - Dredd: „Gefühle ... Dagegen müsste es ein Gesetz geben." / Dredd: "Was machen sie da hinter dem Auto ?" - Officer: "Ich warte auf Verstärkung." - Dredd: "Sie ist da!" (und meint natürlich sich).
Filmposter-Slogan: „In der Zukunft ist ein Mann das Gesetz." (mal eine quasi wörtliche Übersetzung des Originals: „In the future, one man is the law.").
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(1) Cinergi-Boss und Ex-Carolco-Teilhaber Andrew Vajna wollte unbedingt Cannon, da er dessen Indie-Thriller „Young Americans" (1992) sehr mochte. Cannon war praktischerweise auch noch ein erklärter Fan der zugrundeliegenden Comics, was schließlich auch die übrigen Produzenten überzeugte.
(2) Die Umsetzung der Dredd-Comics („2000 AD") für die große Leinwand geisterten bereits seit Ende der 1970er Jahre durch diverse Produzentenköpfe.