1994 traten Quentin Tarantinos Gangstergroteske „Pulp Fiction“ und Robert Zemeckis’ „Forrest Gump“ bei den Oscars gegeneinander an – den Hype bekam Tarantino, Zemeckis die Goldjungen.
Während sich Tarantinos Film vor allem durch das Spiel mit Narration auszeichnete, da ist Zemeckis’ Mix aus Tragikomödie und fiktivem Biopic weniger innovativ, aber dafür bewegender. Titelfigur Forrest Gump (Tom Hanks) sitzt auf einer Parkbank, wartet auf den Bus und erzählt den anderen seine Lebensgeschichte – die durch die unterschiedlichsten Abschnitte amerikanischer Geschichte führt…
Im Gegensatz zu vielen anderen Geschichten vom American Dream ist Forrest allerdings geistig etwas zurückgeblieben und versteht nicht immer, was um ihn herum passiert – dabei ist er an sich eine Persönlichkeit: Tapferkeitsmedaille in Vietnam, Millionär, er hat bereits mehrere Präsidenten getroffen usw. Denn „Forrest Gump“ erzählt die Geschichte vom American Dream, der nicht nur aus harter Arbeit, sondern auch aus Glück entsteht: Oft ist der liebenswerte Simpel einfach nur vom Schicksal begünstigt – weshalb ihn einige der Leute auch nur für einen Schwätzer halten.
Doch zum Glück verkommt „Forrest Gump“ trotz dieser Glücksfälle nicht zum Kitsch, sondern lässt seine Hauptfigur durch eine harte Schule gehen: Forrest verliert geliebte Menschen, muss sich Spott wegen seiner mangelnden geistigen Fähigkeiten gefallen lassen und verliebt sich unsterblich in seine Jugendfreundin Jenny (Robin Wright), die sich jedoch Drogen und anderen Männern hingibt anstatt seine Gefühle zu erwidern – und doch hört Forrest nicht auf sie zu lieben. Denn seine besondere Bittersüße erhält „Forrest Gump“ dadurch, dass Forrest jedes Ereignis, mag es noch so schockierend, noch so tragisch oder auch noch so banal sein, mit der naiven Art eines Kindes vorträgt. Vor allem das Ende, das wirklich geschickt dem Kitsch entgeht, ist wirklich bewegend, mischt Trauriges mit Hoffnung und zeigt am besten die eigenwillige Magie, die „Forrest Gump“ so besonders macht.
Doch nicht traurig, sondern auch lustig geht es in „Forrest Gump“ zu: Wenn der naive Forrest zu John F. Kennedy anstelle eines eingeübten Standardsatzes sagt, er müsse dringend pinkeln, versehentlich zur Aufklärung der Watergate-Affäre beiträgt oder mit Hilfe eines Magazins unabsichtlich beweist, dass er Multimillionär ist, dann animiert „Forrest Gump“ zum Lachen, ohne dass er zur Komödie wird. Stattdessen wirkt der Mix aus bewegenden und amüsanten Momenten lebensnah, wenngleich Forrests Leben so viele Besonderheiten enthält, dass es nur im Kino vorkommen kann.
Dabei umfasst Forrests Leben Episoden vom Vietnamkrieg über die Hippiebewegung bis hin zur späteren Karriere als Werbeträger, Leute wie Elvis oder John Lennon kreuzen Forrests Weg usw. Dabei liefert „Forrest Gump“ stets ein lebendiges Bild der jeweiligen Epoche ab, wobei lediglich Forrest, seine Hang zum Laufen und seine Liebe zu Jenny Konstanten bleiben, die jedoch jedes Mal wieder aufgenommen werden. Dabei hat „Forrest Gump“ trotz der großen Lauflänge so gut wie keine Hänger; lediglich in der Phase kurz bevor er Shrimpkutter-Kapitän wird, hätte man sich etwas kürzer fassen können.
Das besondere Gelingen von „Forrest Gump“ liegt jedoch zum Großteil an Tom Hanks, der nie um falsche Sympathie heischt, wie es einige andere Behindertendramen tun, sondern Forrest einfach als liebenswerten Simpel darstellt, der die Welt halt etwas anders als der Normalbürger sieht. Ebenso klasse sind Gary Sinise als Forrests Sergeant in Vietnam, den später noch ein gemeinsames Schicksal mit Forrest verbindet, und Robin Wright als Forrests große Liebe im Wandel der Zeit (mal als Hippie, mal als seriöse Krankenschwester). In einer Nebenrolle als Forrests Mutter darf Sally Field noch Großartiges leisten und auch die restlichen Darsteller sind sehr überzeugend.
Letzten Endes ist „Forrest Gump“ schlicht und einfach ganz großes, brillant gemachtes Gefühlskino, das durch seinen toll getimten Mix aus Witz und Emotion voll ins Schwarze trifft. Ohne Kitsch oder falsche Sentimentalität, fast längenfrei und überdies noch großartig gespielt.