Als 1981 Wolfang Petersens Kriegsfilm „Das Boot“ erschien, schaffte es der bis dato vielleicht beste deutsche Spielfilm auf die Leinwand und beeindruckte ein Millionenpublikum nachhaltig. Zeitlich im Zweiten Weltkrieg des Jahres 1941 angesiedelt, zeigt „Das Boot“ den U-Boot-Krieg gegen die Engländer aus Sicht der Besatzung des deutschen U-Boots U-96. Unter der Führung des namenlos bleibenden Kapitänleutnants „Der Alte“ (Jürgen Prochnow, „Die Mächte des Wahnsinns“) sticht die U-96 mit größtenteils junger Mannschaft in See, die sich fortan zunächst gegen gähnende Langeweile und klaustrophobischen Lagerkoller, später, bei eskalierendem Feindkontakt, aber gegen lebensbedrohliche Situationen und aufkeimende Panik und Hoffnungslosigkeit behaupten muss. Doch das muss das Boot aushalten…
Dabei ist es unter der Kameraführung von Jost Vacano („Supermarkt“) gelungen, die beengte Atmosphäre des U-Boots hochgradig authentisch einzufangen und auf Film zu bannen. Mit einer frühen Version der Steadycam wurden zudem schwindelerregend schnelle Szenen erreicht, die dem Zuschauer das Gefühl vermitteln, selbst überstürzt, aber straff organisiert bei Alarm durch die engen Gänge zu eilen. Die seltenen Überwasserszenen sind da eine willkommene Abwechslung und lassen trotz tosender Meere den Zuschauer aufatmen und diese kurzen Momente ebenso genießen wie die Besatzung. Generell fällt die Identifikation mit den unheimlich ausdrucksstarken Charakteren insofern leicht, als man sich selbst als Mitglied der Crew fühlt und all ihrer Marotten und ihres mörderischen Auftrags zum Trotz mitfiebert. Die unwirtliche Situation schweißt zusammen.
Die Akustik trägt ihr Übriges dazu bei; die im wahrsten Sinne des Wortes „dahinplätschernde“ Geräuschkulisse beschert ein unangenehm klammes Gefühl auf dem heimischen Sofa bzw. im Kinosessel und Klaus Doldingers („Tatort“) unerreichte Titelmelodie zählt nicht ohne Grund zu den ganz großen Klassikern der Filmmusik. Wie auch alle anderen Elemente, die zum Gelingen des Films beitragen, ebenso unverzichtbar wie eine Klasse für sich.
Was die Darstellerriege angeht, brennt „Das Boot“ ein wahres Feuerwerk damals junger Nachwuchstalente ab. So stehen dem desillusioniert wirkenden, aber stets souverän handelnden „KaLeun“ Prochnow zahlreiche Schauspieler wie Martin Semmelrogge, großartig als leicht soziopathisch anmutendem Jüngling, Herbert Grönemeyer überraschend gut als Kriegsberichterstatter Leutnant Werner, der die bittere Wahrheit über die ach so heldenhafte U-Boot-Kriegswelt erfährt, Erwin Leder als stets dem Wahnsinn nahem Johann „das Gespenst“, Klaus Wennemann als leitendem Ingenieur, Heinz Hoenig als Funker Hinrich und in weiteren Nebenrollen Namen wie Jan Fedder, Ralf Richter, Claude-Oliver Rudolph und Uwe Ochsenknecht zur Seite, die sich allesamt für weitere Produktionen empfohlen haben und „Das Boot“ erfolgreich als Karrieresprungbett nutzen konnten. Und eben diese Besetzung liefert sich wahnwitzige und zitierwürdige Dialoge, dass es die reinste Freude ist!
Petersens nach dem gleichnamigen Roman von Kriegsveteran Lothar-Günther Buchheim entstandener Film glorifiziert keinesfalls den Krieg und Nazi-Deutschland schon gar nicht. Es gibt hier keine strahlenden Helden, keine Saubermänner. Der „KaLeun“ ist ein Mann, der wirkt, als habe er sich notgedrungen mit seiner Situation arrangiert. Ihm ist bewusst, dass er die Verantwortung für die Menschen um ihn herum, die häufig den Großteil ihres Lebens noch vor sich haben, hat und versucht, sie heil durch den Wahnsinns des Krieges zu bringen. Er ist ein verschlossener Mann, dem man anmerkt, dass er sich seinen Teil zu alldem denkt. Kaum jemand der Besatzung erscheint wie ein überzeugter Nazi, denn für ideologische Fragen ist in den beengten Räumlichkeiten schlicht kein Platz. Es gilt, möglichst unbeschadet aus der Sache herauszukommen und nicht den Verstand zu verlieren. Genauso wenig gibt es hier aber plakative Desserteure oder Befehlsverweigerer. In seinem Realismus lädt die auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte dazu ein, sich Gedanken über Täter/Opfer-Rollen und persönliche Verantwortung zu machen, denn diesbzgl. aufkommende Fragen werden nicht beantwortet, Schwarzweißmalerei nicht betrieben. Stattdessen wird die Sinnlosigkeit des Krieges gezeigt, ohne in blutiges Gemetzel auszubrechen oder effekthascherisch auf einzelne emotionale Momente zu setzen. So erscheinen Durchhalteparolen und patriotisches Gewäsch wie leeres Geschwätz von Maulhelden, „Heil Hitler“-Bekundungen hochgradig grotesk und die Hitler’sche Illusion von sauberen, aufrechten Deutschen unendlich weit entfernt. Die Männer der U-96 wirken, als stünden sie über jeglicher Propaganda, als würden sie durch ihren Einsatz immunisiert gegen derartige Infiltrationen und in Richtung Zynismus steuern – was wenig verwundert, wenn man von weltfremden „Führern“ offensichtlich verheizt werden soll.
„Das Boot“ ist erfreulicherweise in keiner Weise intellektuelles Moralkino, sondern gerade auch ein atemberaubend spannender Film, dessen exorbitante Laufzeit – ich sah den restaurierten Director’s Cut – ohne jegliche Länge wie im Fluge vergeht. Petersen ist das Kunststück gelungen, den Zuschauer in eine längst vergangene Zeit und in eine Welt, die wohl die wenigsten Zuschauer am eigenen Leibe erfahren haben dürften, zu entführen und spürbar zu machen. Petersen bricht Distanzen auf und regt über ein sich mehr als drei Stunden lang entwickelndes Bauchgefühl den Geist an. Das ist Filmkunst par excellence.
Erscheint die anfänglich gezeigte ausschweifende Feier zunächst noch dekadent und abstoßend, erklärt sich die Motivation für derartiges Verhalten in nachfolgenden Handlungsablauf. Wer so voller Energie steckt und doch dem Tod so nah ist, der feiert nun mal so. Und gefeiert werden muss auch dieser Film, dessen pessimistisches Ende seine Ausrichtung unmissverständlich unterstreicht. Ein höchst intensives Filmerlebnis, das man nie mehr vergisst. Ganz großes deutsches Kino.