Vampirismus und das Medium Film - eine sehr lange Geschichte. Seit fast einem Jahrhundert tummeln sich die Blutsauger in den verschiedensten Variationen durch die Filmgeschichte, und nochmal doppelt so lange ist der Mythos in literaler Form überliefert. Kein Horrorwesen hat es öfters auf die Leinwand geschafft, keines wurde so oft variiert und weiterentwickelt, angepasst und modernisiert. Über all die Jahre haben sich Regeln eingebürgert: Wozu sind Vampire fähig, wogegen sind sie resistent, was fügt ihnen Schaden zu? Oft, aber nicht immer durch christliche Hintergründe beeinflusst, setzten sich klassische Symbole durch: Kreuze, Knoblauch, Sonnenlicht. Manche Vampire können nicht in das Haus ihres Opfers eindringen, ohne eingeladen zu werden, manche vertragen kein geronnenes Blut, manche sind unsterblich, für wieder andere, neuere Varianten ist der Vampirismus ein Virus - Ablösung der religiösen Verwurzelung durch aktuelle Ängste vor Seuchen.
Nach Jahrzehnten wuchsen die Vampirregeln zu Klischees an, ganz gleich, wie oft man sie abänderte oder neu erfand. Mehr denn je kämpfen die Verfilmungen mit dem gigantischen Erbe, das die Vorväter im Subgenre hinterlassen haben. Innovative Vampirfilme gibt es heute strenggenommen nicht mehr; populäre Vertreter ihrer Zunft beziehen ihren Erfolg so gut wie nie aus einer Grundidee, sondern eigentlich immer durch “banalere” Dinge wie eine frische Inszenierung oder eine coole Optik. “Blade” lässt grüßen, während James Woods im Auftrag von John Carpenter schwer damit beschäftigt ist, mit Vampirklischees aufzuräumen, um aber an einem der Klischees noch festzuhalten... denn wenn die Mistviecher nicht einmal Angst vor Sonnenlicht haben, wozu dann überhaupt noch einen Film über sie drehen?
Ein zu Unrecht etwas untergegangener Film hat es aber schon in den Achtzigern geschafft, die ganze Klischee-Problematik geschickt zu umgehen, und vielleicht bedurfte es tatsächlich einer Frau auf dem Regiestuhl, um dem Subgenre so unvoreingenommen entgegenzugehen. Kathryn Bigelow, die schon immer etwas andere Regisseurin, inszenierte ein undankbar aufgenommenes kleines Juwel, indem sie einfach einen Vampirfilm drehte, der gar nicht weiß, dass er einer ist! “Near Dark” ist kein Film über Vampire, sondern es ist ein Film über Outlaws, die nachts das Blut Unschuldiger trinken müssen, um zu überleben, und die aus dem gleichen Grund das Sonnenlicht meiden, weil sie ansonsten in Flammen aufgehen. Das ist alles - keine Fangzähne, keine Szenen, in denen ein Vampir theatralisch wie einst Bela Lugosi vor einem Kreuz zurückweicht, keine jungen Studenten, die sich in Lehrbüchern über den Vampirismus informieren, um die Blutsauger in der Nacht zur Strecke zu bringen. Kein Vampirfilm.
Kompensatorisch tritt eine Romanze zwischen den beiden Hauptdarstellern Adrian Pasdar und Jenny Wright in den Vordergrund. Die wird weiterhin durch die Psychoanalyse einer mordenden Familie angereichert, wodurch die nächtlichen Streifzüge durch die Kleinstädte des amerikanischen Westens und die Ruhepausen am Tage so wirken, als habe sich Rob Zombie für “The Devil’s Rejects” nicht nur bei den Siebzigern Inspirationen geholt, sondern auch bei Kathryn Bigelow.
Man kann gar so weit gehen, das Morden nicht als körperliche Notwendigkeit zu interpretieren, sondern als geistigen Sachverhalt. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, der überhaupt erst durch Bigelows Umgang mit der Vampirthematik möglich ist, wird ihr Film zum Dokument einer Gemeinschaft von Massenmördern; ein Dokument, das deren Motivation zu töten aufzeichnet und nachvollziehbar machen will. Die erste Nacht Caleb Coltons (Pasdar) als Vampir ist hierfür ein herausragendes Beispiel: Bigelow zeigt glaubwürdig dessen Widerwillen zu töten, seine natürliche Abneigung dagegen, das Leben des freundlichen Lastwagenfahrers einfach so auszulöschen, nur um den eigenen Hunger zu stillen. Also werden Opfer gesucht, die unsympathischer erscheinen; die eigene Psychose wird gerechtfertigt, der Drang zu töten legitimiert. Sicherlich besteht nie ein Zweifel daran, dass die Gemeinschaft im Film wahrhaftig eine Gruppe von Vampiren darstellen soll - die körperlichen Anzeichen dafür, etwa das Verbrennen unter Einwirkung der Sonne, sind unmissverständlich. Dennoch kann befreit von der direkten Thematisierung des Vampirismus ein solcher unterschwelliger Ansatz existieren, der das Ganze auf die Psychologie reduziert... er hat Luft zum Atmen.
Dass dieser Ansatz gelingt, liegt überhaupt erst an den teilweise unwiderstehlichen Schauspielerleistungen. Vor allem Lance Henriksen spielt so ziemlich alles an die Wand, was ihm zu nahe kommt. Immer nahe dran am Overacting, aber als ob er es spüren könnte, schafft er in jeder Szene den Gang auf dem schmalen Grat und legt statt dessen eine Wahnsinnsperformance im ursprünglichsten Sinne hin. Das kann man leider nicht von Bill Paxton behaupten, der mit vollem Grimasseneinsatz den Rüpel markiert, genau von der Sorte, denen der Terminator nach der Ankunft in der Gegenwart die Klamotten weggenommen hat - nicht umsonst hat er auch eine dieser Rollen gespielt. Der Rest ist durchweg solide, wobei noch Joshua Miller als Homer, Mann im Körper eines Kindes, außer der Reihe zu erwähnen ist.
Vorbildlich ist zuletzt die Chemie zwischen Adrian Pasdar und Jenny Wright, die eine jederzeit glaubwürdige Romanze zum Leben erwecken, welche auch mit der zwiespältigen Situation kämpft, in der sich beide befinden. Denn zusätzlich hängt Pasdars Figur noch an seiner Familie, an seinem Vater und seiner Schwester, von denen er sich durch den Eintritt in die Gemeinschaft der Outlaws immer weiter entfremdet - schließlich können nicht beide Familien koexistieren. In dem Moment, wo Pasdars Figur gebissen wird, ist sie körperlich abhängig von ihrer “neuen Familie” - sie spürt aber immer noch eine Beziehung zu ihrer “alten Familie”, und dieser Zwiespalt übertragt sich auf nachvollziehbare Weise auf die Beziehung zwischen Caleb (Pasdar) und Mae (Wright).
Bigelows markante Regie entzieht sich im Grunde jeglicher Kritik. Die Optik ist zu Tage staubig wie in einem Western, der sich auch als Subgenre in den Film einschmiegt (wie auch das Roadmovie, der Vampirfilm, die Romanze und bisweilen sogar der Actionfilm), in der Nacht beherrscht ein dunkelblauer Himmel und schwarze Silhouetten der Hausfassaden den Ton. Bigelow führt so durch dieses Szenario, dass nach dem Filmkonsum etliche Schlüsselbilder im Kopf zurückbleiben: Die Konturen der Vampire auf einem Hügel bei Nacht, der abgedunkelte Van, der durch die grelle Wüste streift, ein Vampir, wie er mit einer brennenden Decke über dem Kopf durch die Sonne rennt, ein abgedunkeltes Haus, das von Polizeikugeln durchlöchert wird und gefährliche Sonnenstrahlen einlässt, Jenny Wright, wie sie in der famos inszenierten Barsequenz mit dem letzten Überlebenden eines Massakers tanzt und dann an Caleb weitergibt. Der Wechsel von Tag und Nacht erscheint ebenso poetisch wie gefährlich, erlaubt der Regisseurin einige geschickte Kniffe beim Spiel mit der Umgebung und der körperlichen Schwäche ihrer Protagonisten gegen Sonnenlicht.
Dass nach diesem (streckenweise auch recht graphisch-brutalen) Trip, den man in der dritten Person erlebt, ein derart simples Ende erfolgt, ist einerseits bedauerlich, weil die Einfachheit der Auflösung logisch betrachtet kaum zu rechtfertigen ist. Unter dem Mantel der Romantik kann dieses Ende aber sogar genau das richtige sein, wenngleich ich persönlich mir doch einen dramatischeren, komplexeren Ausgang gewünscht hätte.
Joel Schumachers gleichjähriger “Lost Boys” hatte an den Kinokassen den größeren Erfolg, der ihm auch bis heute einen deutlich größeren Bekanntheitsgrad verschafft hat - für Kathryn Bigelow ein Undank, der ihr inzwischen (nach Filmen wie “K-19") nichts neues mehr sein dürfte. Denn Schumachers Film konnte vermutlich auch von der 80er-Jahre-typischen Effekteversiertheit profitieren, die in seinem durchaus gelungenen Teenhorrorstreifen verankert ist, während “Near Dark” für die Masse vielleicht zu subtil und indirekt war. Der legere Umgang mit der Vampirthematik jedenfalls ist eine hochwertige Erfahrung, die man in diesem Genre erst wieder bei “From Dusk Till Dawn” beobachten konnte (der die Klischees zwar nicht ausließ, sie aber ironisch brach wie kein zweiter Vampirfilm). Auch sonst erweist sich Bigelows Werk als höchst sehenswert für all jene, die bittersüße Romanzen im Gewand düsterer Horrorelemente mögen und denen Kreuze, Knoblauch und andere Klischees des Vampirfilms zum Halse raushängen.