Review

Weltenbummler in gelb 


Jim Jarmusch ist einer dieser Regisseure, die auf und mit einem wachsen. Bei U20ern sehe ich da kaum Berührungspunkte in allerlei Hinsicht. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel. Entwickelt sich allerdings dein Filmgeschmack und umso näher man der 30 kommt, desto mehr Verständnis und Sympathie entstehen. Jarmusch macht gefühlvolle Kinomagie voller Menschlichkeit und Melancholie. Dinge, die im ersten Drittel des Lebens eher nebenher laufen. Und mein Lieblingsfilm dieses einfühlsamen Künstlers ist "Night On Earth", eine Taxi-Anthologie von fünf Geschichten aus L.A., N.Y., Paris, Rom und Helsinki. Jede auf ihre Art ein Gedicht und zusammen einer der besten Anthologie-Filmen aller Zeiten. Weit mehr als nur eine Aneinanderreihung von Kurzfilmen, mehr als nur geballte Lebensweisheit, mehr als nur humanes Understatement. Wenige Filme sind näher an meinem Herz und verbinden die Welt so gekonnt. Da wird Taxifahrer fast zum neuen Wunschberuf ;). Alle Episoden laufen in den dort gesprochenen Sprachen - das wirkt nicht nur authentisch, sondern führt zu einem ganz speziellen Weltfilm-Feeling und sogar Zusammengehörigkeit. Denn manche Dinge funktionieren einfach weltweit. Ein Jim Jarmusch Geniestreich ist eines davon. 


Los Angeles (7,5/10)

Eine Gena Rowlands will der jungen Taxifahrerin Winona Ryder nach Hollywood helfen... nur um dann überrascht feststellen zu müssen, dass es dieser eigentlich ganz gut geht und die Traumfabrik nicht das Ziel aller ist... 

Die schwächste Episode, aber immer noch toll. Zwei faszinierende Damen, selbst wenn Ryder eher suboptimal und gekünzelt spielt. Der Twist am Ende und die Breitseite gegen Hollywood sind lässig. 


New York (9,5/10)

Armin Müller-Stahl als deutscher Immigrant und Taxifahrer, der sich von einem Fahrgast kutschieren lässt und der das beziehungstechnische Feuer des Big Apple kennenlernt...

Mit Rom die witzigste der Fahrten. Culture Clash mal anders. Herzlich. Witzig. Deutsch. Müller-Stahl ist der Hammer. Und die Stadt, die niemals schläft, weiß, wofür sie aufbleibt. 


Paris (9,5/10)

Eine blinde, bildhübsche Beatrice Dalle (das Monster aus "Inside"!!!) verwirrt ihren Taxifahrer und versüßt dessen Nacht... 

Die Dalle genau zwischen Betty Blue und der Dame in Schwarz, die alles für ein Baby tut. Was für eine Granate! Dazu Erkenntnisse über Hautfarbe, Solidarität und französische Tugenden. Große Klasse. 


Rom (10/10)

Roberto Benigni fährt einen Pfarrer und versucht ihm seine sexuellen Beichten aufzudrängen... 

Einfach wundervoll dieser Mann. Diese Monologe. Dieser dunkle Humor. Plus die ewige Stadt. L'Amore. Love Or Hate. Für mich das Highlight. 


Helsinki (9/10)

Drei betrunkene drei Freunde erfahren, was wirklich wichtig und wirklich traurig ist im Leben... 

Die emotionalste, rührendste und sozialrealistischste Episode. Über unauslöschliche Trauer, plötzliche Arbeitslosigkeit und den Sinn oder Unsinn des Lebens. Nicht ohne finnisch-schwarzen Humor aber viel wärmer als das Wetter dort. Mit viel Wodka vorher.


Fazit: fünf Taxis, fünf Städte, fünf aberwitzige Geschichten - Jarmuschs Weltbestseller und feinster Film. Weltkino mit Witz, Melancholie, Charme und Flair. Ein viel zu oft übersehener Klassiker der 90er! Tut im Herzen gut. 

Details
Ähnliche Filme