Bei „Long Distance“ handelt es sich um eine ambitionierte kleine Indie-Produktion, welche im April 2005, also deutlich vor dem artverwandten „When a Stranger calls“-Remake, ihre Weltpremiere auf dem New Yorker „Tribeca Film Festival“ feierte und letztendlich ein knappes Jahr später auf DVD veröffentlicht wurde. Für ein bescheidenes Budget von unterhalb der 1 Million Dollar Marke sowie in einem ungenutzten Psychiatriegebäude im Ärzteviertel Bostons umgesetzt, machten die Verantwortlichen einträglichen Gebrauch der beschränkten zur Verfügung stehenden Ressourcen und konzentrierten sich auf die essentiellen Aspekte der Geschichte, um aus ihnen Suspense zu generieren – schließlich ist nicht erst seit gestern bekannt, dass es (unter den richtigen Umständen) durchaus möglich ist, einen funktionierenden Thriller zu konzipieren, der seine Wirkung aus bedrohlichen Telefonaten schöpft…
Nicole Freeman (Monica Keena) hat es zur Zeit nicht gerade leicht im Leben: Inmitten des Stresses ihrer Dissertation hat sie ihren Freund vor die Tür gesetzt, nachdem dieser sie mit einer blonden, zierlichen „Exhibitionistin“ (O-Ton Nicole) betrog, welche zu allem Überfluss im selben Appartementhaus wohnt – einer ehemaligen Schule, welche unter anderem aufgrund ihrer stark Moos-bewachsenen Fassade einen nicht von der Hand zu weisenden Charme ausstrahlt. Echte Freunde sind rar in der Stadt, und so sucht sie nun, traurig-enttäuscht, verstärkte Ablenkung in ihren Büchern. Die einzige, die mal anruft, ist ihre Mutter, welche aber annimmt, dass die Schuld an der Trennung bei ihr zu finden wäre – schließlich sei Chris doch „ein guter Junge“ und ihre Beziehungen würden ohnehin immer so ausgehen. Nach einem aus Wein und Tiefkühl-Lasagne bestehenden Dinner, mündet ein weiteres solches Telefonat in Vorwürfen und Streitereien, worauf Nicole wütend auflegt, nur um (unzufrieden mit dem unschönen Ausgang der Unterredung) kurz darauf erneut zum Hörer zu greifen und es noch einmal zu probieren – allerdings vertippt sie sich bei einer Ziffer: Ein fremder Anrufbeantworter springt am anderen Ende der Leitung an, sie bricht die Verbindung ab. Wenige Minuten später klingelt ihr Telefon: Es ist die Nummer, die sie aus Versehen gewählt hat – ein Mann aus Nevada, der sich Joe nennt, die Caller ID abgelesen hat und sie nun in ein Gespräch zu verwickeln versucht…
Am nächsten Morgen schenkt sie der Geschichte kaum mehr einen Gedanken – anfangs eher belustigt, brach sie die Unterhaltung irgendwann ab, als er persönliche Dinge zu fragen begonnen hatte. Diese sorglose Sichtweise ändert sich jedoch schlagartig, als sie im Laufe des Tages Besuch von dem örtlichen Cop Frank Halsey (Ivan Martin) erhält, der sie davon in Kenntnis setzt, dass sie letzte Nacht wohl mit einem Killer gesprochen hat, der in jener Wohnung kurz zuvor eine Frau auf bestialische Weise ermordete. Der eingejagte Schrecken steigert sich zusätzlich, als Joe am folgenden Abend ein weiteres Mal anruft – wiederum von dem Anschluss eines Tatorts aus. Die Polizei nimmt die Angelegenheit augenblicklich ernst, installiert eine Fangschaltung und findet (u.a.) auf diesem Wege heraus, dass der Serienkiller jeden Tag aufs Neue zuschlägt, jeweils etliche hundert Meilen näher an Boston heran – und immerzu vor, nach oder gar während seiner grausamen Akte die Konversation mit der Studentin sucht! Wenn er seiner blutigen Linie treu bleibt, erreicht er bald die Ostküste, weshalb eine FBI-Profilerin, Special Agent Margaret Wright (Tamala Jones), den Befehl erhält, die Aktion vorort zu überwachen. Nicole stellt die alleinige Verbindung dar, bildet den einzigen konkreten Ansatz und Schlüssel ihn zu fassen, denn wie es scheint, hat er eine Obsession ihr gegenüber entwickelt, betrachtet sie als einen würdigen, interessanten Antagonisten. Es geht um Kontrolle und Dominanz – bloß weiß nicht nur die junge Dame, dass mit jeder fortschreitenden Stunde ihr Leben akuter in Gefahr gerät, da es so ausschaut, als habe Joe sie dazu auserkoren, sein finales Opfer zu werden…
„Long Distance“ vereint verschiedene bekannte Motive der Genre-Geschichte, etwa aus „Black Christmas“ (1974), „When a Stranger calls“ (1979), „Lisa“ (1989) oder „Abandon“ (2002), zu einer verhältnismäßig unoriginellen Mixtur – und trotzdem ist das Skript, eine Gemeinschaftsarbeit dreier Newcomer (Glenn Cooper, Michael Rasmussen, Shawn Rasmussen), konzeptionell ziemlich clever ausgefallen. Das Problem ist nur, dass es sich zu sehr auf einen zentralen Twist verlässt, der zwar erstaunlich hochwertig daherkommt und dem gesamten vorigen Verlauf (rückblickend) sowohl umfassend aufklärt als auch einen Sinn verleiht, allerdings die bis dato geglaubten Logikpatzer, Verwirrungen sowie gar Ärgernisse keineswegs im Kopf des Betrachters auszuradieren vermag. Wer aufmerksam bei der Sache ist, sich auf dem cineastischen Sektor und/oder in bestimmten Studiengängen genügend auskennt, wird des Rätsels Lösung gewiss vorzeitig erkennen. Dessen ungeachtet befriedigt die Auflösung, denn im Nachhinein fügen sich die Puzzlestücke optimal zusammen, ergeben ein geradezu logisches Gesamtbild – leider, und hier liegt die Ironie der Angelegenheit, kann man es im Prinzip nur dann völlig zu schätzen wissen, wenn man sich den Film noch einmal anschaut und gezielt auf diese Einzelheiten achtet, wozu einem aber im Grunde die Lust fehlen dürfte, da sich die Energie der klärenden Offenbarung nicht im Rahmen eines zweiten Durchgangs duplizieren lässt. Hinweise gibt es im Vorfeld (eigentlich) genügend – sie liegen (mehr oder minder offensichtlich) in Dialogen sowie speziellen Details verborgen. Das Gimmick an sich funktioniert: Es ist effektiv und befriedigt, bloß hat einem das bis dato ziemlich uneben anmutende Mittelstück viel Spaß und Motivation geraubt. Bis zu jener informativen bzw (ggf.) die Vorahnungen bestätigenden Darlegung der Fakten stören etliche „angebliche“ Logikpatzer, unnötig erscheinende Sequenzen und verquer klingende Unterredungen – diese verspürten Empfindungen lassen sich, egal wie sehr man sich bemüht, nicht auf Kommando ungeschehen machen, was sich die Autoren hingegen augenscheinlich erhofften.
B-Movie-Mäuschen Monica Keena („Freddy vs Jason“/„Crime and Punishment in Suburbia“ /„Left in Darkness“) muss das meiste Gewicht allein auf ihren Schultern tragen, da sie in beinahe ausnahmslos jeder Szene mitwirkt. Ihren vielschichtigen Part, der eine breite Palette an Emotionen umfasst, meistert sie gut: Nicole´s Besorgnis, Verwirrung, Angst und Einsamkeit nimmt man Monica nicht perfekt, aber problemlos ab. Ihr zur Seite steht Ivan Martin („People I know“/„the Lucky Ones“) als Polizist Frank – er ist mindestens genauso blass wie seine Rolle. Die Chemie zwischen den beiden Figuren bleibt non-existent, im Ansatz vorhandene Gefühle, welche zum Glück nie aktiv hervortreten, erzeugen keinerlei Wärme. Tamala Jones („Blue Streak“/„Head of State“) ging mir von der Minute an, in welcher sie das erste Mal die Bühne betritt, auf die Nerven: Mir ist dabei vollkommen bewusst, dass Profilerin Wright beabsichtigt „bitchy“ rüberkommen soll, da sie nunmal eine nüchterne Karrierefrau verkörpert, die sich Gemütsregungen in ihrem Job weder erlauben kann noch will, doch missfiel mir Tamala´s Herangehensweise dennoch – vielleicht auch, weil das Potential eines reizvollen Kräftemessens der psychologisch geschulten Frauen, die sich übrigens ebenfalls nicht ausstehen können, leider nicht voll ausgeschöpft wird. Die Dialoge in jener Phase, die von Freud und verwandten Theorien bzw Inhalten handeln, bewegen sich immerhin auf einem anständigen Niveau, während jene zwischen der Hauptprotagonistin und dem sie beschützenden Cop einen restlos belanglosen Eindruck hinterlassen. Die Charakterzeichnungen sind allesamt nicht sonderlich reichhaltig ausgefallen – was allerdings einen bestimmten Hintergrund besitzt, auf den ich an dieser Stelle bewusst nicht eingehen werde.
Regiedebütant Marcus Stern beherrscht offensichtlich sein Handwerk – ohne nun jedes Bestandteil pingeligst auf die Waagschale zu legen, kann man insgesamt sagen, dass er inszenatorisch solide Kost abgeliefert hat. Mir gefielen die kräftigen Farben, Bildkompositionen, gewählten Kamera-Einstellungen sowie die künstlerisch hochwertigen, ansprechenden und Zweck-erfüllenden Fotos, welche in Nicole´s Wohnung hängen – nur die surrealen Albträume, unter denen sie nachts aufgrund der belastenden Umstände leidet, hätten meiner Meinung nach nicht unbedingt sein müssen, obgleich sie geradezu optimal in den Kontext hineinpassen. Der erste Akt entfaltet sich sehr effizient: Die Einführung vollzieht sich bündig, unmittelbar daran setzt das Hauptmerkmal der Story, die Furcht-einflößenden Anrufe, ein, Spannung wird aufgebaut, eine unheilschwangere Atmosphäre entsteht. Zu keiner Zeit sieht man die Taten – anhand von Tatort-Aufnahmen, Erzählungen und gehörten Bruchstücken übers Telefon setzen sich die dazugehörigen Bilder unweigerlich im Kopf des Zuschauers zusammen, was Nicole´s Situation entspricht. Die Einbindung der „Caller ID“-Funktion (inklusive Rückruf-Option) gefiel mir sehr: Da beispielsweise nur eine Ziffer der Rufnummer vertauscht wurde, kann der Mörder Rückschlüsse darauf ziehen, wen sie ursprünglich erreichen wollte. Einmal ruft sie nach einem Auflegen seinerseits die Nummer zurück, von der aus er sie kontaktierte, und eine sich aktuell um ein Kind kümmernde Frau nimmt ab – für eine Sekunde ist Nicole erleichtert, bis es ihr schlagartig bewusst wird: Joe befindet sich schon in ihrem Haus! Verzweifelt versucht sie, die junge Mutter zu warnen, doch es ist bereits zu spät – wenig später hört sie die letzten Atemzüge der Sterbenden über die Verbindung. All das passiert, wie zuvor ja angemerkt, off-Screen. Erst zum Showdown hin werden einige Leichen gezeigt, die in ihrer unmittelbaren Nähe auftauchen, nachdem sich der Killer Zugang zum Appartementkomplex verschafft hat…
Über den Twist allein könnte ich mich noch umfangreich äußern, nur unterlasse ich das besser, um die Spoiler-Gefahr zu verringern – aber als Begründung, warum meine abschließende Wertung nicht höher ausgefallen ist, möchte ich noch folgende Punkte anführen: Es wäre schön gewesen, wenn der Score abwechslungsreicher ausgefallen wäre, denn vorliegend setzt ein spezielles Stück immerzu genau dann ein, wenn das Telefon klingelt, was auf Dauer zu aufgesetzt erscheint. Ein Intensivieren der „Beziehung“ der zwei Gesprächspartner auf einer mehr persönlichen Ebene hätte nicht nur einen dienlichen Zweck erfüllt, sondern den Ablauf simultan auch stärker vom geläufigen 08/15-Thriller-Schema abgelenkt. Ferner bieten sich geübten Betrachtern schlichtweg zu viele Hinweise auf die (zumindest grobe) Richtung des Ausgangs. Bei aller Freude darüber, dass die Story zum Schluss faktisch einen Sinn ergibt, entschädigt diese Tatsache unglücklicherweise nicht für seltsam anmutende Momente zuvor, in denen einzelne Menschen irgendwie merkwürdig agieren oder der erzählerische Fokus verwunderlich anmutet. Den Film kategorisch als „schwach“ zu bezeichnen, wäre ein zu hartes Urteil – die empfundenen Unstimmigkeiten bzw Verärgerungen zu ignorieren, nur weil die Wendung sie in eine logische Perspektive rückt, und daher das Prädikat „gut“ auszusprechen, halte ich für ebenso falsch. Dementsprechend wähle ich den Mittelweg – minus einem kleinen Abzug, welcher dem Gefühl zugrunde liegt, dass mich das Werk zwar annähernd passabel zu unterhalten vermochte, nur die emotionale Verbindung zu dem Gesehenen hinter den Möglichkeiten zurückblieb, mich die Geschehnisse demnach im Großen und Ganzen kalt gelassen haben … „4 von 10“