Mit Was vom Tage übrigblieb arbeitete das Team um Produzent Ismail Merchant, Regisseur James Ivory und Drehbuchautorin Ruth Prawer Jhabvala nach ihren bekanntesten Werken Zimmer mit Aussicht (1986) und Wiedersehen in Howards End (1992) zum wiederholten Male zusammen. Wieder bildet ein Abschnitt in Englands Geschichte das Sujet des Films, verknüpft mit Figuren, die zwar in einer längst vergangenen Epoche leben und handeln, jedoch diese mit ihren Handlungen nicht zu prägen vermochten.
Vor dem Hintergrund des Englands der 30er und der 50er Jahre wird in Was vom Tage übrigblieb nun die Geschichte des Butlers James Stevens (Anthony Hopkins) erzählt, der seinem Herrn Lord Darlington (James Fox), einem ehrenwerten Gentleman aber zugleich verblendeter Nazi-Sympathisant, stets blind dient. Nichts geht für Stevens über seine Arbeit und die „Würde", das heißt dem Pflichtbewusstsein und der Gewissenhaftigkeit, mit dem er diese ausführt. Doch als er mit Mary Kenton (Emma Thompson) eine ebenso freche wie fähige neue Wirtschafterin einstellt, entwickelt er alsbald jenes Gefühl für sie, welches am wenigsten förderlich für die Ausübung seiner Arbeit ist: Liebe.
Es ist beeindruckend, wie die Romanvorlage von Kazuo Ishiguro, der im Alter von 6 Jahren von Japan nach England emigrierte, mittels der stets unterdrückten Gefühle von Stevens zu einer Frau desselben Ranges den Untergang der englischen Klassengesellschaft heraufbeschwört. Die gesellschaftlichen Klassen beginnen sich scheinbar nicht einzig aufgrund der sich verändernden Zeitumstände in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundertds um Krieg und dem Wandel außenpolitischer Beziehungen aufzulösen, sondern vor allem aufgrund der aussterbenden Art von englischen Tugenden um die Wahrung von Etikette, Würde und Pflichtbewusstsein personifiziert durch Chefbutler Stevens. Dieser Schlag Mensch darf sich nicht fortpflanzen, weil es sich nicht ziemt. Stevens sitzt in seinem Gefängnis fest, welches eindrucksvoll von der Prachtvilla Darlington Hall, einem riesigen Anwesen in welchem er als Oberhaupt vieler Angestellter dient, repräsentiert wird. Selten war am Ende eines Films eine fort fliegende Taube symbolträchtiger als hier: Sie hat den Weg aus dem Gefängnis, in welches sie geraten ist, gefunden; James Stevens bleibt die Freiheit aufgrund der eigens auferlegten Zwänge verwährt. Er lässt sich nichts anmerken, als sein ebenfalls Lord Darlington dienender Vater stirbt, weil er keinen emotionalen Bezug zu ihm aufbauen darf und die Arbeit ruft. Ebenso verhält es sich mit den aufkeimenden Gefühlen zu Mary Kenton, deren Gegenwart er unter dem Deckmantel einer „Arbeitsbesprechung" sucht, aber nie den entscheidenden Schritt über das Dienstliche hinaus geht. Wenn sie ihn bedrängt, gibt er vor, in der wenigen Zeit, die ihm am Tag nur für sich selbst zur Verfügung steht, lieber Bücher lesen zu wollen, um sich fortzubilden. Seine oberste Regel um die Vermeidung von Liebesbeziehungen zwischen dem oder beim Dienstpersonal schlechthin (wenn man den Imperativ „Keine Herrenbesuche!" als solche verallgemeinert) darf auch er nicht brechen.
In den 30er Jahren wird Darlington Hall zum Schauplatz von Konferenzen und politisch motivierten Zusammenkünften, die den Kurs der englischen Außenpolitik mitbestimmen sollen. Der amerikanische Senator Jack Lewis (Christopher Reeve) erhebt sich gegen das Gentlemantum der britischen Adligen, die glauben, mit fairen Mitteln Politik betreiben und Deutschland, dem daniederliegenden Gegner und Kriegsverlierer, eine zweite Chance geben zu können. Dass Lewis mit seiner zunächst arrogant anmutenden Attitüde, mit der er einen Großteil der Anwesenden als „Amateure" bezeichnet, jedoch Recht behält und schließlich in den 50er Jahren das Anwesen übernimmt, bestätigt nicht nur ihn, sondern auch das amerikanische Selbstverständnis, das schon seit jeher weit mehr von der Philosophie der Gleichheit als von jener der (Klassen-) Unterschiede geprägt war. Die aristokratische Gesellschaft verabschiedet sich zusehends zusammen mit der aussterbenden, ihr dienenden Kaste und wird ersetzt durch den lässigen Amerikaner, der seinen Bediensteten mehr Zeit für sich zugesteht.
An diesem Punkt der Geschichte, die alternierend zwischen den zwei Zeitebenen der 30er und der 50er Jahre hin und her springt offenbart sich die ganze Tragik im Leben des James Stevens, der in den 50er Jahre in seinem Urlaub die Chance wahrnehmen will, „einen Fehler zu korrigieren", den er gemacht habe. Er besucht Mary, die mittlerweile verheiratet und Mutter ist, um sie wieder zurück zu holen nach Darlington Hall. Doch diese sagt aus privaten Gründen ab. Was bleibt, ist ihre Gegenwart und sei es auch nur für einen kurzen Zeitraum. Wortgefechte und Thematisierungen von Eigenheiten bleiben die rudimentären Ausdrücke einer Liebe, die sich nie zu einer solchen in Vollkommenheit entwickeln konnte. Das durchbrennende Bedienstetenpaar (u.a. Ben Chaplin) verkörpert das, was die Beziehung zwischen Stevens und Mary Kenton hätte sein können: Zu einer gleichsam verbalen wie unausgesprochen-assoziativen Ebene fehlt die Überwindung der Professionalität beim Nachgehen der selbstauferlegten Pflichten, um eine wirkliche körperlich-seelische Verbundenheit erreichen zu können.
Was vom Tage übrigblieb ist eine Chronik des Untergangs, ein Zeugnis des verwirkten Lebens, dessen einziger Gegenstand (das „Dienen eines Herren" in seiner bestmöglichen Form) am Ende in seiner Sinnhaftigkeit vom Akteur selbst infrage gestellt wird. Die Figur James Stevens mischt sich nicht in Politik ein, übt sich in - buchstäblich - vornehmer und bescheidener englischer Zurückhaltung, als er von einem Gast seines Dienstherren gefragt wird, wie in bestimmten politischen Belangen zu verfahren sei. Gleichsam jedoch gibt er später an, mit berühmten englischen Politikern verkehrt zu haben. Wahrlich ohne zu verraten, in welcher Hinsicht. Dies zeigt, wie unbedeutend seine geleisteten Dienste, wie stark seine Prinzipien und seine Loyalität seines als Nazi-Sympathisant verschrienen Herren gegenüber, von dem er sich später durch die Bemerkung „kannte ich nicht" distanziert, waren. Diese unemotionale, beinahe schützend anmutende Fassade, die Hopkins seiner Figur aufsetzt, transportiert der Film auch nach außen, was zuweilen einen zu sterilen Eindruck hinterlässt und der Identifikation mit den Figuren eher wenig förderlich ist. Man muss sich in den Film hineindenken, um mitfühlen zu können.
Das Ensemble dieses großartigen Films ist brillant: Neben den jeweils oscarnominierten Anthony Hopkins - der seine emotional verunsicherte, in dieser Hinsicht beinahe kindliche Figur sehr differenziert, mit viel Würde und nie bloßstellend spielt - und der schnippisch-besserwisserischen Emma Thompson agieren Superman Christopher Reeve, Ben Chaplin (Der Schmale Grat) und Hugh Grant (Notting Hill) in den Nebenrollen. James Ivory beweist einmal mehr, dass er ein Meister des historisch exakten Dramas ist und auf hohem, aber nie überforderndem Niveau zu unterhalten vermag. Vom Tage hat man durch Genuss dieses vorzüglich ausgestatteten, bebilderten und geschriebenen Films wahrlich mehr. (9/10)