Na gut, ein klassischer Argento ist das sicher nicht. Fans des italienischen Gruselästheten können hier also durchaus auch herbe Enttäuschungen erleben, was man wohl u.A. daran sieht, daß díeser zu den wenigen gehört, die der sonst so fleißige und immer wohl informierte McKenzie hier nicht rezensiert hat. Dennoch ist hier etwas zu finden, was man sonst bei Argento vergeblich sucht: ein subtiler und hintergründiger Plot. Jenifer ist nichts anderes als eine äußerst eindrückliche ethische Parabel über den Umgang des Menschen mit seinen dunklen Trieben, genauer gesagt: über seine Unfähigkeit, deren Konsequenzen ins Gesicht zu sehen. Das Großartige daran ist, daß Argento dies nicht in platter schwarz-weiß-Malerei und keinen Hauch moralinsauer inszeniert: Der Protagonist, ein Polizist auf Observation, gerät ja aus bestem Willen in die Misere: er will einem betörenden nackten Mädchen helfen, das drauf und dran ist, im buchstäblichsten Sinne den Kopf zu verlieren. Zunächst ist es sein tiefes MItgefühl mit ihrem Schicksal, das ihn zwingt, die attraktive junge Dame nicht nur aus den Händen ihres scheinbaren Peinigers zu retten, sondern schließlich auch bei sich zu Hause aufzunehmen, als er merkt, daß die staatlichen Autoritäten ihr nicht die Hilfe geben können, die sie braucht. Doch genau hier nimmt das Verhängnis seinen Anfang: die Begierde erwacht, personifiziert in der herrlich nackten Jenifer, deren häßliche Fratze sich konsequent hinter ihrem wallenden blonden Haar versteckt. Genau diese Fratze ist es ja, die der Mensch nicht sehen kann, nicht sehen will - und genau dies stürzt auch unseren Protagonisten ins Unheil. Völlig im Banne des jungen Mädchens muß er zusehen, wie sie letztlich - vom Haustier angefangen über die Kinder bis zur Ehefrau - sein ganzes Leben verschlingt, ihn zwingt, seine komplette Existenz über Bord zu werfen und wie ein Tier im Wald hausend seinen Lebensunterhalt zu fristen, ja schließlich sogar selbst zu dem werden, was er sein ganzes vorheriges Leben bekämpfen wollte - fast ein moderner Pentheus oder Hippolyt.
Fazit: Nicht nur für Freunde effekthascherischen billig-Gores, sondern ein Lehrstück für alle, die Freude an der Reflexion auf die Daseinsbedingungen der menschlichen Natur haben. 8 von 10