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Ein Freiheitskämpfer löst mit seinen Taten eine Lawine aus – symbolische Dominosteine fallen reihum, jeder Stein steht für eine Facette eines Films, dessen Wirkung eine Explosion im Inneren auslöst. Inhaltlich wie emotional steht am Ende der Kette ein großer Knall, der mitreißt und seine Wirkung entfaltet. Unheimliche Tiefenwirkung und Vielseitigkeit in einer Comicverfilmung.

Alle inhaltlichen Details zu erfassen fällt schwer, „V wie Vendetta“ ist unerwartet düstere Brainpower mit dem Charisma der Ambivalenz. Das England der Zukunft ist ein Ort, an dem Diktatur regiert. Bücherverbot, Ausgangssperren, die totale Überwachung, Medienkontrolle, Folter, Versuchsinstitutionen, die Konzentrationslagern ähneln – die totale Kontrolle, ausgeübt von wenigen Leuten, an der Spitze steht der Kanzler Adam Sutler (John Hurt). Vergangenheit in Neuauflage, diktatorische Mechanismen verstauben nie. Ideen sind zeitlos und wie aus dem Nichts taucht in den dunklen Gassen dieser unschönen Welt ein Maskierter in Anlehnung an Guy Fawkes, der 1605 versuchte das britische Parlament zu sprengen, auf. Remember, remember, the 5th of November! Seinerzeit im Jahre 1605 war es ein Versuch gegen König James I. vorzugehen, am selben Tag irgendwann in der Zukunft atmet ein Maskierter den Zeitgeist der Vergangenheit und bricht die Stille im diktatorischen Moloch. In einem Jahr wird das Parlament brennen, das Regime stürzen, augenblickliches Chaos wird einen Sog zur Freiheit erzeugen.

Ein Ziel, ein Weg, dahinter steht eine Person, die eine Idee verkörpert. Sein Motiv ist Rache – gegen ein Regime, gegen sein bisheriges Leben, das sukzessiv, subtil reflektiert wird. Ist V (Hugo Weaving) ein Freiheitskämpfer oder Terrorist? Wo liegt die Grenze? In der Tat verschwimmt hier Recht und Unrecht im philosophischen Unterbau einer optischen Tristesse. In den Gemäuern und Gassen Londons steckt Trostlosigkeit, die Auswirkungen der Unterdrückung. Angst als Machtmittel, die Leute sind gelähmt - nur einer versucht aufzustehen, den unterjochten Bürgern die Angst zu nehmen. V ist ein von Leben geprägter Kämpfer, sein größter Vorteil ist, dass er keine Angst mehr verspürt. Für Evey (Nathalie Portman), die er zu Beginn aus den Fängen der Staatsgewalt rettet, empfindet er so was wie Liebe, die sich allmählich manifestiert. Sein größtes Geschenk ist es, ihr mit Todesangst die Angst zu nehmen. V wendet die Mittel seiner Gegner an, an dieser Stelle steht wieder die philosophische Ambivalenz. Gewalt bedeutet mitunter auch Gerechtigkeit – führt nach V auch zu Freiheit. Integrität durch das pure Empfinden von Freiheit – der Zweck heiligt die Mittel. Das Resultat zählt, in dieser Hinsicht ist der edle, sich oftmals mit blumigen Zitaten und Worten artikulierende Freiheitskämpfer opportunistisch – wenn man so will, ähnlich wie seine Gegner.

Zwischen staatlicher und individueller Gewalt wird nicht unterschieden. Es geht hier um Interessenkonflikte. V drückt Liebe mit Angstentzug aus, er will den Leuten die Freiheit zurückgeben. Der Kanzler versucht seinen Apparat aufrechtzuerhalten und Lücken im System zu stopfen. Kontrolle vs. Anarchie, die zu Freiheit führt. Ein Kampf mit allen Mitteln. Selbstjustiz ist der falsche Begriff. Für die führenden Leute des Systems gibt es gar keine Gerichte.

Eine Aktion erfordert naturgemäß eine gleichermaßen starke Gegenreaktion. Die Energie verschwindet nicht. V sieht sich selbst als Monster, das von der Regierung geschaffen wurde. Er saugt die Macht, die mit Gewalt freigesetzt wurde, auf und nimmt persönliche Rache. Hinter der Sprengung des Parlaments steht eine symbolische Idee – solange aber nicht genügend Leute hinter einem Symbol stehen, ist es bedeutungslos. So realistisch ist V – deshalb ist er kein Einzelkämpfer, fängt Leute mit initiierten Hetzreden, die nicht weniger trivial sind, als die seines Gegenparts. Evey nimmt er die betäubende Angst, die Leute daran hindert sich aufzulehnen.

Ist die Zukunft eine Konsequenz der Vergangenheit oder erleben wir einen statischen Zyklus, der sich wiederholt, schließlich in einer Machtexplosion, der Stunde Null endet? Anarchie als Neuanfang für die Individualität im Moloch der Staatsgewalt. Wiederkehrende Diktatur, reduziert sich die Macht immer wieder auf wenige Menschen? Jede Großmacht zeichnet sich dadurch aus, dass sie am Ende zum Scheitern verurteilt war. Dem kapitalistischen Amerika folgte ein England, das die Rezepte der Diktatur anwendet. Beschleunigt V nur die Natur, indem er den dekadenten Menschen wieder die Möglichkeit gibt, bei Null anzufangen, damit der Kreislauf wieder von vorne beginnt?

„V wie Vendetta“ beleuchtet Gruppenverhalten, daraus resultierende Dynamik und philosophiert über Individualität. Man kann in diesem Werk vieles sehen. Kritische Zeitbezüge in Richtung politischer Geschehnisse in Amerika, die zeitlose Relevanz philosophischer Fragen – der Film gleicht einem guten Kunstwerk, das viele Facetten vereint und oberflächliche und tiefgründige Schönheit vermittelt. Assoziationen werden geweckt, Zweifel entstehen, Gedankengänge fließen. Die filmische Harmonie stimmt, Schauspieler verkörpern interessante Charaktere (Hugo Weaving aufgrund der Maskerade ausschließlich mit brillanter Körpersprache), das Drehbuch der Wachowski-Brüder hat intellektuelle Substanz und Regiedebütant James McTeigue bietet eine couragierte Umsetzung.
Am Ende lodert ein Feuer, alle legen ihre Masken ab, ein Symbol verliert Bedeutung, weil die Menschen dahinter zum Vorschein kommen. Wahre Action, tief im Inneren. Hier geben sich Teufel und Gott die Hand - pure Ambivalenz, mit all ihrer anrüchigen Attraktivität. Remember, remember, the 5th of November! Der letzte Stein fällt, man verbleibt in absoluter Zufriedenheit! (9,5/10)

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