Sehr lange haben Andy und Larry Wachowski sich ja nicht nach ihrer „The Matrix“ – Trilogie nicht bitten lassen, ihr lange Zeit gehegtes Wunschprojekt, die Adaption des Alan Moore-Comics „V for Vendetta“, umzusetzen, nur komisch, dass sie die Regie lieber ihrem Assistenten James McTeigue überließen, der sie nicht nur bei ihren Matrix-Filmen unterstützte, sondern unter anderem auch von „Star Wars“ – Vater George Lucas herangezogen wurde.
Nachdem in den letzten Jahren nun bereits schon Moores Ideen „From Hell“ und „The League of Extraordinary Gentlemen“ mit eher enttäuschendem Ergebnis zu Zelluloid gemacht wurden, sind aller guten Dinge einmal mehr leider nicht drei, denn auch „V for Vendetta“, dessen Marketingverantwortliche ohnehin ein völlig falsches Bild des Films sponnen, kann die hohen Erwartungen kaum erfüllen. Alan Moore hat also wieder einmal einen guten Grund sich bereits im Vorfeld energisch zu distanzieren.
Festzuhalten ist jedoch seine ewige Aktualität. Moore erfand seinen Helden in den Achtzigern, als die eiserne Lady, Margaret Thatcher, in Großbritannien unpopuläre Reformen auf den Weg brachte, die dem Land zwar langfristig weiterhalfen, aber gleichzeitig zunächst auch eine hohe Arbeitslosigkeit einbrachten, worauf viele Kritiker ihr soziale Kälte und politische Rücksichtslosigkeit vorwarfen.
Alan Moores V war eine kritische Stimme auf der Basis eines tragischen Comic-Helden, der eben diese radikale Linie auf seine Weise fiktiv bekämpfte und zum Umdenken zwang. In Moores Dystopie nimmt dies natürlich extreme Formen an, aber der Gedanke dahinter bleibt.
Die Wachowski-Brüdern gelang mit „V for Vendetta“ jetzt eine moderne Adaption des fiktiven britischen Staates, der totalitär faschistisch geführt wird und gerade deshalb nicht von ungefähr an das Deutschland unter der Knute des Nationalsozialismus erinnert. Aus Unzufriedenheit und Führungslosigkeit kann sich schnell ein Extrem entwickeln, dass sich beide Tatbestände zunutze macht, um sich selbst als Macht einzusetzen und wieder für die ersehnte Ordnung zu sorgen – und zwar in jedem Land. So lautet die Message von „V for Vendetta“.
Nun will ich die Intelligenz dem Film gar nicht einmal absprechen, denn die hat er offensichtlich und sie geht über die gefährliche, politische Entwicklung deutlich hinaus. Der Aufruf zu mehr Toleranz, Religionsfreiheit und das Gedenken der Vergangenheit sind genauso ein Thema wie das eigenständige Denken und Handeln.
Ursache dieser pessimistischen Utopie sind hier die amerikanischen, außenpolitischen Gebärden, die den Krieg schließlich nach Europa brachten und auch im eigenen Land zum großen Knall führten, um es ins Chaos zu stürzen, es völlig zu destabilisieren..
In Alan Moores düsterem Großbritannien ergibt sich die Bevölkerung seinem Schicksal und lässt sich jeden Abend vor dem TV die manipulative Doktrin einflößen. Sie konsumiert und akzeptiert anstatt zu agieren. Die nächtliche Ausgangssperre, die totale Bespitzelung eines jeden und vorbeugende Zufallsinhaftierungen nehmen sie als gängige Normalität des Lebens hin.
Die große Restauration, eine radikale Neuformatierung der ihnen bekannten Welt, hat ihnen die Freiheit genommen und die Angst, auf der sich die Macht des Regimes stützt, gegeben.
Dies will V, zunächst als einsamer Rebell, ändern, indem er auf Taten Worte folgen lässt. Die nötige Aufmerksamkeit verschafft ihm die Regierung allein durch ihr Tun von selbst...
Die Prämisse ist rein auf dem Papier betrachtet bissig, klug und, wie die Weltgeschichte so eindrucksvoll bewies, gar nicht einmal so weit hergeholt, umso enttäuschender dann aber die lasche Umsetzung von James McTeigue beziehungsweise das enttäuschend unbrisante Skript der Wachowski-Brüder, die im Ansatz glänzen und in der Ausführung weitestgehend versagen, denn auch „V for Vendetta“ ist ein Film der ungenutzten Möglichkeiten.
Ganz ohne den Mut kompromissloser Konsequenz bleibt dem Zuschauer die prekäre Situation nahezu in vollem Umfang vorenthalten. Es fehlt an Beispielen für den omnipräsenten Staatsterror, die Angst das Falsche zu tun und mit den Konsequenzen leben zu müssen. So bitter es klingt, es mangelt an Taten, um Kanzler Adam Sutler (ausgerechnet: John Hurt, „1984“, „Alien“) und seine um ihn gescharrten Exekutiven mit Inbrunst zu verurteilen. Als ob die Macher skandalöse wie brisante Elemente so weit wie irgend möglich ausklammern wollten, um ihr Produkt mainstreamkompatibler zugestalten, belassen sie es bei einer, zugegeben gut geschriebenen, Analyse dieser bedenklichen Entwicklung und beschränken sich nur auf die zwingend notwenigen Momentaufnahmen.
Das ist ein Riesenproblem mit dem sich „V for Vendetta“ überlang herumschlägt, denn ohne eine furchterregende, düstere auf Angst und Terror erbaute Weltordnung, die das Publikum förmlich in die Sitze drückt und einen Klos im Hals verursacht, fehlt ihm das Fundament. Gute Gegenbeispiele, wie man es richtig macht, gibt es dabei in der Science Fiction doch genug, wo man sich Anregungen hätte abholen können. Gelegentliche Besuche der gefürchteten Staatspolizei, das kurzzeitige Zeigen von gewissenlosen Menschenversuchen, üble Aufnahmen eines Massengrabs oder der brütende Oberstenrat reichen einfach nicht aus, um ein lebendiges Szenario zu entwerfen, das gleichermaßen fasziniert wie ängstigt. Ich kenne den Comic nicht, aber ich bin mir bei dessen Ruf sicher, dass „V for Vendetta“ nur eine Light-Version dessen darstellt, was Alan Moore sich einst ausdachte.
Eine Ursache des Versagens in Punkto Zuschauerfesselung findet sich im Look des Films wieder. Es ist der Falsche und James McTeigue dazu wohl auch der falsche Mann ihn umzusetzen. „V for Vendetta“ sieht zu gegenwärtig und allgemein aus. Das erleichtert die Identifikation zwar, vernichtet jedoch die atmosphärischen Ansätze. Gerade weil die Welt, wie wir sehen kennen, dieser hier so ähnelt, verpufft beispielsweise die faszinierend heimlichen Kollektionen vergangener Gegenstände einer für immer verlorenen Welt. Vs Versteck besteht beispielsweise komplett aus Relikten der Vergangenheit und gleicht damit einem Museum, vermag jedoch nie die Gewöhnlichkeit des Ganzen zu sprengen. Als unschätzbare, verlorene Überlebende einer ausgelöschten Geschichte drängen sie sich dem Zuschauer jedenfalls nie auf.
Wobei McTeigues ambitionslose Regie, die ab und an „The Matrix“ – Reminiszenzen frönt, ohnehin keinen eigenen Stil durchblicken lässt. Die kühle, monochrome Optik, wie wir sie von Neos Einsätzen kennen, findet hier weniger ästhetisch und akzentuiert eben erneut Anwendung. Selbst die rar gesäte Action, mal abgesehen vom finalen Dagger-Time-Effekt, ein interessante Abwandlung der Bullet-Time, bei aller technischen Makellosigkeit, vollzieht trotz suppender Blutmengen nur Dienst nach Vorschrift. Auch der musikalische Einklang mit der ambitionslosen Bebilderung kann darüber nicht hinwegtäuschen.
Was funktioniert, ist V selbst, denn seine intelligenten, verkausalisierten, literarischen Kommentare sind klasse und bei weitem nicht mehr so plakativ und verkopft wie noch in den „Matrix“ – Filmen. Der belesene Terrorist, der den Terror bekämpft, und Guy Hawkes Andenken in Ehren hält, indem er sich mit seinem Gesicht maskiert, wurde ursprünglich einmal selbst vom Staat geformt, womit das klassische Motiv der selbsterzeugten Nemesis auch hier wieder Anwendung findet. Bestimmt, unorthodox in Stil und Wahl seiner Mittel heizt er seinen Schöpfern zielstrebig und schier ungreifbar nach dem Motto seiner gültigen, selbst aufgestellten Axiome ein:
- People should not be afraid of their governments, governments should be afraid of their people.
- There is an idea and ideas are bulletproof.
Die Taten des kultivierten Mörders sind jedoch nur bedingt den Idealen der Freiheit verschrieben. Der eigene die Schmerz, die Pein der Vergangenheit ist ein zumindest ebenso großer Ansporn. Für ihn nur praktisch, denn er schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe, weil sich seine Rache ausgerechnet auf die zentralen Schlüsselpositionen (u.a. ein pädophiler Erzbischof !) bezieht. Aber wo fängt die Revolution an und wo hört sie zugunsten der Rache auf?
Matrix-Agent Hugo Weaving, dessen Möglichkeiten sich aufgrund der Maske auf Körpersprache und Worte beschränken, meistert seinen Part jedenfalls ohne Beanstandungen.
Sein ausgesprochenes Ultimatum am 5. November die Revolution einzuleiten, ruft natürlich auch die sich umgehend mit ihm und seinen Morden beschäftigende Staatspolizei auf den Plan und verwickelt mit seinem Inspektor einige Ermittlungsarbeiten in die Geschichte, die primär nur nachträgliche Erklärungen sind, was oder wer V eigentlich ist, wobei sein Mysterium doch ohnehin bitte als solches behalten werden sollte, anstatt rational erklärt zu werden. Immerhin braucht er die Maske nicht abzusetzen.
Trotzdem eine nicht überzeugende Addition wie so vieles in „V for Vendetta“. Mehr dieser schon am Thema nagenden Dialoge zwischen Finch (Stephen Rea, „The Musketeer“, FeardotCom“) und seinem Kollegen und die Sache hätte schon wieder anders aussehen können. Schon wären die Argumente für ihre Anwesenheit vorhanden. Aber so...
Von ganz anderem Kaliber ist da schon Natalie Portman als Evey, die nach George Lucas dreimaligen Budenzauber ohne schauspielerische Werte nun endlich wieder zu den Qualitäten zurückgefunden hat, die sie in „Léon“ unvergesslich machten und den Grundstein für ihre Karriere, die trotz des folgenden Auftritts in Michael Manns „Heat“ erst nicht in Schwung kommen wollte, legte. Ängstlich, verschreckt und ebenso den Status Quo akzeptierend, ist es V, der sie schließlich rettet und den rebellischen Instinkt in ihr wiedererweckt, den Vater und Mutter ihr vererbten. Das noch mitten in der Selbstfindungsphase steckende Mädchen fordert ihr nicht viel ab, doch sobald die Glatze, die Folter und die Erkenntnis ihre Spuren hinterlassen und aus Evey nach der Wiedergeburt einen freien Menschen machen, wird aus Natalie Portman eine überzeugende Darstellerin mit ungeahnten Möglichkeiten, deren eintretende Erkenntnis sich wie dunkle Schatten in ihre Mimik fräsen. Als Vorreiterin nimmt sie die Entwicklung der Bevölkerung bereits vorweg und folgt ihrer Bestimmung als ausführendes Organ. Sie löst die Revolution symbolisch letztlich aus.
Alles in allem ist die Intelligenz von „V for Vendetta“ vordergründig nicht zu beanstanden. Dasselbe gilt auch für die guten Darsteller. Nachgebohrt lassen sich hier jedoch auch die gängigen Defizite eines nahezu jede gefilmten, utopischen Umsturzes wiederfinden. Das Volk, als solches an seiner Situation ja nicht unschuldig, weil es seine prekäre Situation duldet anstatt sich zu erheben, ja tatenlos dabei zugesehen hat, wie das Terrorregime geboren wurde (Diktatoren kommen, wie uns die Vergangenheit so eindrucksvoll lehrt, nicht aus dem Nichts) und erst mobil macht, als entscheidende Signale gesetzt werden und die unproblematische Bequemlichkeit gegen anstachelndes Freiheitsbewusstsein getauscht wird, bleibt wieder einmal unbescholten und unbehelligt als simples Opfer anstatt als Mittäter in der sich nun neu ordnenden Welt zurück. Ob Alan Moore das so wollte? Ich kann es mir nicht vorstellen.
Fazit:
Rein von der Idee her sicherlich eine der intelligenteren Comic-Verfilmungen, wobei man jedoch nicht den Fehler begehen sollte, jeden Mainstream-Film, der über mehr Intelligenz als ein Stück Toast verfügt gleich trendgemäß als gar anspruchsvollen tiefsinnigen Film der Superlative zu kennzeichnen. Ein ähnliches Phänomen ließ sich kürzlich schon bei der bissigen Satire „Lord of War“ entdecken.
Nein, Alan Moore hatte schon seine Gründe warum er die Nennung seines Namens in Verbindung mit „V for Vendetta“ verbat. Die „Matrix“ – Clique vollführt hier überdurchschnittlich intelligentes aber auch dramaturgisch unausgereiftes Kino, das näher betrachtet etwas naiv ist, aber mit einer Riege guter Darsteller viel kaschiert. Die vielversprechenden Ansätze sind leider nur noch Fragmente Moores. Die mutlose Umsetzung fügt der Adaption mit seiner zwanghaften Verwurzelung in der nahen Zukunft und dem nur unzulänglich als unbarmherziges Terrorregime vorgestellten Staatsapparat irreparablen Schaden zu. Über das Prädikat „gut gemeint“ kommt „V for Vendetta“ damit niemals hinaus. Verschenkt und überladen, weil seine vielen Themen in der kurzen Zeit von gut zwei Stunden nur anreißend und wie von den Wachowskis inzwischen leider gewohnt zu plakativ kritisch – festgehalten in philosophischen Monologen, die von den Gebrüdern so geliebt werden, und hier nicht ganz so sehr wie bei ihren Vorgängerwerken über das Ziel hinausschießen. Dennoch, bei den Worten „Manchmal reicht es, ein Gebäude zu zerstören, um die Geschichte zu ändern!“ hat auch der letzte Zuschauer verstanden, dass Andy und Larry ihre Abnehmer mal wieder für so dumm halten, dass sie ihnen alles vorkauen müssen. Nun, das kennen wir ja...