Review

Am 5. November 1605 wollten der englische Offizier Guy Fawkes und seine Getreuen das Parlament mitsamt dem englischen Adel in die Luft sprengen. Der Versuch schlug fehl, Fawkes wurde gehängt, und noch bis heute wird zu den Worten „Remember, remember, the fifth of november“ an ebenjenem Tag in England symbolisch eine Fawkes-Puppe verbrannt.

Alan Moore und David Lloyd brüteten nun in den späten Achtzigern über einer Idee für einen neuen Comic, welcher sich um einen einsamen Streiter gegen ein totalitäres System drehen sollte. Nur bei der Ausgestaltung ihres Helden taten sich die beiden ein wenig schwer, bis ihnen schließlich der rettende Einfall kam: Der Protagonist sollte als eine Art europäischer Superheld über die Dächer Londons flitzen und gleichzeitig den Charakter und die Taten von Guy Fawkes abfeiern. Also quasi Batman mit Bomben. Gesagt, geschrieben, gezeichnet, Kunst darf alles, und so bekam das England der Thatcher-Ära eine schallende Ohrfeige mithilfe einiger bunter Bilder verabreicht.
Der maskierte Rächer „V“ gegen die allumfassende soziale Kälte.

Das fiktive Szenario, das „Vendetta“ entwarf, fußte freilich in unserer traurigen Welt: Überwachungsstaat, Selbstjustiz, ethnische Säuberungen: Der Comic ging wahrlich nicht zimperlich an sein Thema heran (und würde heute auch mit dem erwachseneren Begriff „Graphic Novel“ umwickelt werden, aber das nur am Rande) und wurde gerade deshalb zu einem Riesenerfolg und veritablem Kulthit. Diese Wörter bedingen eigentlich schon fast eine Verfilmung, aber da muss man sich vor Augen führen, dass Anfang der Neunziger Comicverfilmungen nicht gerade der Stoff waren, aus dem Produzententräume gestrickt sind. Erst recht keine politischen Comics.
Doch nun schreiben wir das Jahr 2006, Comic ist gleich Cash und alles Vierfarbige, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, wird gnadenlos auf Zelluloid gebrannt. Da wollen auch die Gebrüder Wachowski nicht hintenan stehen, und nachdem sie in ihrer „Matrix“-Trilogie schon der Comic-Ästhetik gehuldigt haben, widmen sie sich nun dem reinen Stoff. Flugs aus Moores wundervollen Zeilen ein Drehbuch destilliert, den eigenen Regieassistenten James McTeigue auf den Regiestuhl gepflanzt und filmisches Senfgas produziert.

Denn thematisch ist „Vendetta“ mit seinem Kosmos aus pervertierter Politik und Terrorismus ja eh aktuell wie nie, die Welt ist immer noch ein Drecksloch, also bitte.

Die zwei drängendsten Fragen will ich auch gleich zu Beginn beantworten:

Kann diese Verfilmung ihrer genialen Vorlage gerecht werden?
und
Ist dieser Film tatsächlich so brisant, wie erwartet?

Für beides gilt: Nein.

Zwar ummantelt sich der Film mit der gleichen revolutionären Attitüde wie das Werk von Moore und Lloyd, aber er schafft es einfach nicht, den selben Ton zu treffen.
Das fängt schon bei seiner Ausgestaltung an: Wer den Comic und seine düsteren Impressionen einer postnuklearen Gesellschaft noch vor Augen hat, dürfte von der schlichtweg zu „normalen“, sonnigen Welt des Films enttäuscht sein. Zu keinem Zeitpunkt vermittelt dieser seinem Publikum das beklemmende Gefühl eines fanatischen Überwachungsstaats. Würde man nicht immer wieder sinistren Oberkommandositzungen beiwohnen, man käme nie auf die Idee, in einer finsteren Zukunftsvision zu stecken.
Ob das nun gewollt ist, um dem Publikum damit Realitätsnähe unterzujubeln, sei mal dahingestellt. Denn der Geschichte hätte eine gewisse Abstraktion gut zu Gesicht gestanden, was erstens nicht nur besser zur Vorlage gepasst hätte sondern zweitens auch einen Schuss Comicästhetik hineingebracht hätte. Die Thematik ist realistisch genug, die Bilder müssen es nicht sein. So bleiben Fans, deren Fantasie von Lloyds grandiosen Panels befeuert wurde, nur ein paar schematisch ausgeleuchtete Sets, die alles andere als lebendig wirken. Die Welt des Films ist einfach nicht bedrohlich genug. Schade drum, Potential vergeudet.
So wirken auch Szenen wie die Präsentation Vs Sammlung kultureller Gegenstände erschreckend belanglos. Während im Comic sofort klar wurde, dass hier unermesslich wertvolle Schätze vor einer zerstörerischen Welt gerettet wurden, wirkt es im Film eher so, als habe V sich alles bei e-bay zusammengeboten.
Auch andere Aspekte des Zukunftsstaates werden sehr stiefmütterlich behandelt. Wer den Comic nicht gelesen hat, dürfte sich beispielsweise fragen, warum die Agenten ständig „Finger“ genannt werden. Dass diese zum zentralen Überwachungsorgan gehören, dass sich in die Untergruppen „Auge“, „Nase“, „Ohr“ etc. spaltet, spart der Film einfach mal aus.

Und wenn er mal nichts ausspart, sondern im Gegenzug noch etwas dazuerfindet (Stichwort „Zerstörtes Amerika“), dann wirkt das leider auch immer genau so: Rangepappt, überflüssig. Das ist halt die Gefahr, wenn man an einer in sich schlüssigen Vorlage herumdoktert.
Ganz schlimm wird es gegen Ende, wenn so ziemlich jede Begebenheit abgeändert wird. Eveys Entwicklung, Inspektor Finchs Handlungen, die Reaktion des Volkes: Alles neu, aber nicht besser. Im Gegenteil. Fans dürften sehr enttäuscht sein.

Alles Kritikpunkte vom Standpunkt des Comiclesers. Was für einen Eindruck macht der Film denn auf den unvorbelasteten Kinogänger?
Einen besseren, möchte ich meinen.
Denn die Geschichte an sich ist natürlich fesselnd. Ein Terrorist mit einer mysteriösen Vergangenheit als Held, ein unmenschliches System, ein Mädchen zwischen den Fronten; das macht was her. Wenn man sich von der Erwartung an ein Actionfeuerwerk lösen kann, erwartet einen hier feine Blockbusterunterhaltung mit den typischen Philosophie-Dialogen Marke Wachowski. Denn hier kommt ihr Faible für Lyrik zum Tragen, nicht das für Action. Wer solche erwartet, dürfte die längsten zwei Stunden seit langem durchleben.

Action gibt es nur kurz vor Schluss, dann aber auch richtig. Und das Finale ist für Hollywood-Verhältnisse durchaus als gewagt zu bezeichnen. Dazu noch die Klänge von „Street Fighting Man“… aber dem Film damit zu unterstellen, er könne aus jedem unbescholtenen Kinogänger den Bombenleger herauskitzeln, führt natürlich zu weit. Das so etwas im Vorfeld überhaupt vermutet wurde… Ich sag´s mal so: Dann ist „Star Wars“ mit seinem Angriff auf den Todesstern mindestens ebenbürtiges Revoluzzerkino.
Der Film greift all die unbequemen Themen seiner Vorlage auf (Menschenversuche, Massenmord), aber die von ihm angestrebte Sprengwirkung bleibt seltsamerweise aus. Ob das nun an McTeigues statisch-gediegener Inszenierung oder den für Filmverhältnisse immer wieder ausufernden Dialogen liegt, ist schwer zu sagen. Ein bisschen von allem wahrscheinlich. Die Stärken der Vorlage gereichen der Verfilmung zum Nachteil.

Kurz noch zu den Darstellern: Natalie Portman muss hier zwar viel erdulden, bekommt aber dennoch erstaunlich wenig Gelegenheit, darstellerisch zu glänzen. Lediglich ihre Szenen in Gefangenschaft stechen hervor, ansonsten scheint sie immer nur Stichwortgeberin für ihre Umgebung zu sein. Klingt komisch, ist aber so. Hugo Weaving ist, nun, halt da. Er spielt wie Edward Norton in „Kingdom of Heaven“ ausschließlich über Körpersprache, dennoch, sein „V“ bleibt im Gedächtnis (zumindest die Idee hinter der Maske, ha). Die beiden Stephens (Rea und Fry) haben eigentlich nur Standardjobs zu verrichten, eine Überraschung gibt es hier höchstens noch bei John Hurt, der nach all den Jahren die Medaille umdreht und den „Big Brother“ mimt. Man kann sich natürlich die Frage stellen, ob ein besserer Regisseur hier mehr herausgekitzelt hätte, und ein Projekt wie „Vendetta“ hätte auch einen solchen verdient, aber solche Überlegungen sind ja inzwischen müßig.

Eine Anmerkung noch zum Inhalt: Allerorten lese ich, der Film handele von einer Zukunft, in der Deutschland den Krieg gewonnen habe und somit ganz Europa unter seiner erbarmungslosen Fuchtel halte. Woher, bitteschön, stammt diese Information? Weder der Comic noch die Verfilmung greifen den Begriff „Deutschland“ überhaupt auf!
Es geht hier vielmehr um die Überlegung, dass in jeder Gesellschaft, die sich auf Angst und Hass gründet, der Faschismus obsiegen muss. Jedes Land kann zu dem werden, was Deutschland war, wenn Wahnsinn und Willkür regieren. Das ist die Aussage der Geschichte, nichts anderes. Aber die andere Version klingt natürlich bequemer…

Unterm Strich bleibt eine Comicverfilmung mit mehr Tiefgang als gewöhnlich, die Zuschauern mit einem Faible für ausgefeilte Dialoge einen vergnüglichen Filmabend bescheren kann, Actionfans aber gänzlich unbefriedigt zurücklässt.
Anhänger der Vorlage dürften frustriert sein. Das giftige Potential wird angerissen, aber nicht giftig genug umgesetzt. Himmel, wenn so heftige Themen schon ein paar Stunden nach dem Kinobesuch wieder versackt sind, dann haben die Beteiligten irgendetwas falsch gemacht.
Meine dringende Empfehlung an dieser Stelle: Den Comic lesen. Wirklich.

David Lloyd schrieb einmal, „Vendetta“ sei für Menschen, die bei den Nachrichten nicht wegschalten. Um mal dabei zu bleiben: Die Verfilmung ist für Menschen, die die Nachrichten eher nebenher laufen lassen.

Die Aussichten für morgen: Es bleibt sonnig.

Details
Ähnliche Filme