Der kleine Kommissar
"Eine fatale Entscheidung", der deutsche Titel des Films ist eher unglücklich gewählt, da er genau die Überdramatisierung impliziert, die "Le petit Lieutenant", dessen Titel man treffender wörtlich als "Der kleine Kommissar" übersetzen hätte müssen, gezielt vermeidet. Der Film erzählt von einem Anfang in zweierlei Hinsicht: Zum einen ist da Antoine, ein frischer Absolvent der Polizeischule, der mit Übereifer sein provinzielles Leben in Le Havre gegen einen Job bei einer Pariser Mordkommission eintauscht, um gleich mal die richtig harten Fälle mitzuerleben. Zum anderen ist da Caroline, ein alter Hase, die nach frisch überstandener Alkoholsucht aufgrund des Todes ihres Kindes zu ihrer Arbeit in der Kripo zurückkehrt. Sie nimmt Antoine in ihrem Team auf, und sogleich kommt es zu einem Mord an einem polnischen Obdachlosen. In der Routine freundet sich Antoine mit dem Team an, insbesondere mit Caroline, die in ihm ihren verlorenen Sohn sieht. Dieser kleine Kommissar jedenfalls gibt ihr wieder die Motivation weiterzumachen, bis durch einen leichtsinnigen Fehler des Jungspunds aus der Routine tödlicher Ernst wird.
Polizeiarbeit
Der Film widmet sich zunächst vorwiegend der Entwicklung Antoines. Schnell muss er lernen, dass die Realität mit der Polizeischule nicht mehr so viel zu tun hat. Seine Kollegen helfen ihm, sich zurechtzufinden, machen ihm aber schnell klar, dass die Vorstellungen von der Polizeiarbeit, die man als Kadett lernt, oft falsch sind. Antoine erwähnt einmal, dass er anfangs zur Polizei wollte, weil er so sein wollte, wie es in den Filmen immer gezeigt wird. Nicht umsonst finden sich in den Büros der Station immer wieder Filmplakate (wie z.B. das von "Seven"), die den Kontrast augenzwinkernd verdeutlichen: Wenn Beauvois' Film eines nicht sein will, dann ist es ein typischer überdramatisierter, überstilisierter Copthriller. In der Wirklichkeit gibt es keine einsamen Helden, die sich für die Gerechtigkeit durch einen dunklen Großstadtmoloch ballern, wo ständig die grausamsten Verbrechen geschehen, und das sowieso eigentlich nur nachts. Im realen Paris ist Polizeiarbeit, auch bei der Mordkommission, zunächst einmal mühsame Routine. Antoine bekommt das genauso schnell mit wie der Zuschauer - spektakuläre Serienkillerfälle sind eh äußerst selten. Stattdessen gilt es, jeder kleinsten Spur nachzuschnüffeln, jeden Beteiligten zu befragen oder zu observieren. Und wenn man Glück hat, findet man tatsächlich einen Hinweis auf die Täter. Trotzdem ist eine gewisse Bedrohung vorhanden, eine gewisse Vorsicht geboten. Gerade weil sie kaum zu Tage tritt, nimmt sie Antoine auch auf die leichte Schulter und missachtet die zum eigenen Schutz erlernten Regeln.
Das Leben als Polizist
Im tragischen weiteren Verlauf der Geschichte widmet sich der Blickwinkel eher Caroline. Nathalie Baye spielt hervorragend die gebrochene Persönlichkeit, die sich erneut den psychischen und moralischen Bürden als Polizist ausgesetzt fühlt. Die gelassene Stimmung in der Kommission kippt, als die Gewalt dann doch hereinbricht. So lange und ausführlich sich der Film zuvor Zeit genommen hat, die Charaktere der Polizisten und ihre zum Teil ermüdend frustrierende Puzzle-Arbeit darzustellen, so schwer wirkt dann auch die Stelle im FIlm, als das eintritt, wofür die Polizisten ihre Waffen immer bei sich tragen. Zwar ist der Film erfreulich zurückhaltend in der Gewaltdarstellung, doch die daraus resultierenden psychischen Belastungen dokumentiert er nüchtern und genau. Waffenanwendung ist nicht das übliche polizeiliche Mittel, wie die meisten Copthriller suggerieren, sondern eigentlich nur die äußerste Notlösung, meist wenn vorher gravierende Fehler begangen worden sind. Polizist zu sein bedeutet zu allererst eine enorme Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit, den Betroffenen, sich selbst und seiner Familie. So verzichtet "Le petit Lieutenant" zwar bewusst auf den üblichen actionreichen dramaturgischen Aufbau, gewinnt seine Faszination und Spannung umgekehrt aber gerade dadurch, dass er seinen porträtierten Polizisten und ihren exzellenten Darstellen viel Raum zur Entfaltung gibt. Die Kamera ist nah an den Personen, an ihren auch privaten Problemen, dabei hält sich der Regisseur mit Moralisierung und Klischees weitgehend zurück. Wichtig hierbei ist, dass auch kein Protagonist zu sehr als der "Held" des Films in den Vordergrund gerückt wird, was den Film unvorhersehbarer und interessanter macht, als man vielleicht anfangs denkt. Die nüchtern kühlen Stadtbilder, die gelegentliche akzentuierte Situationskomik und die dezente Melancholie zwischen Stadtleben und Einsamkeit vertiefen die Atmosphäre, erhalten aber die große Stärke des Films: Seine sachliche Ehrlichkeit.
Fazit
"Le petit Lieutenant" ist ein ganz kleiner Polizeifilm, der es nicht nötig hat, sein Publikum mit Übertreibung und Effekthascherei zuzukleistern. Er dokumentiert die aus zahlreichen Thrillern durch Klischees verfremdete Arbeit der Polizei, wie sie wohl am ehesten in der Wirklichkeit stattfindet. Gleichzeitig stellt er Polizisten als Menschen mit all ihren Belastungen, Stärken und Schwächen in den Mittelpunkt. Die geradlinige Erzählung und das stimmungsvolle Schauspiel der Protagonisten tragen entscheidend zur bedachten Intensität des Gezeigten bei. So konsequent bodenständig und subtil, wie der Film seine Dynamik aufbaut, ist er eigentlich ein unterschätztes Highlight.