"A scream at the right time may save your life", meint William Castle zu Beginn des Filmes, und wie sich bald herausstellt, trifft er damit den Nagel auf den Kopf. Denn einem lauten, panischen Schrei hat der Tingler nichts entgegen zu setzen.
Die Grundidee von The Tingler zählt zu den irrwitzigsten, die jemals das Licht der Leinwand erblickt haben. Bei der Autopsie eines auf dem elektrischen Stuhl hingerichteten Verbrechers entdeckt Dr. Warren Chapin (Vincent Price), daß dessen Wirbelsäule geborsten ist. Der geniale Arzt braucht nicht lange, um der Ursache dieses seltsamen Phänomens auf die Spur zu kommen. "Fear causes tremendous tensions in the body. If you can't relieve them, why can't they become strong enough to kill you?" Auf gut deutsch heißt das: wenn sich Todesangst in einem Körper staut und es kein Ventil gibt, um sie abzulassen, dann manifestiert sie sich in Form einer grausigen Kreatur an der Wirbelsäule und knackt diese schließlich, nur um sich im Anschluß wieder in Luft aufzulösen. Allerdings gelingt es Dr. Chapin, den Tingler (wie er das Biest tauft) aus einem kürzlich verstorbenen Opfer zu extrahieren, womit der Arzt jedoch mehr abbeißt als er schlucken kann.
Nach dem Erfolg von House on Haunted Hill (Das Haus auf dem Geisterhügel) ließ William Castle The Tingler auf die gespannten Zuschauer los, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Gegen Ende des Streifens entkommt das Untier aus seinem Gefängnis und treibt sein Wesen in einem Stummfilmkino, was der Gimmick-Meister zum Anlaß nahm, dem Publikum zu suggerieren, daß der Tingler nun auch im Kinosaal los wäre, und daß man sich nur mit lauten Schreien vor dem Ungetüm schützen könne. Und Percepto sollte dabei helfen, die Zuschauer zum Schreien zu animieren. Der einfallsreiche Schlawiner hatte nämlich einige Sitze des Kinos verkabelt und mit einem Gerät ausgestattet, welches in bestimmten Momenten die Sitze zum vibrieren brachte, was dem darauf Sitzenden Glauben machen sollte, der Tingler würde sich gerade daran zu schaffen machen! Außerdem wurden einige "Schauspieler" im Saal platziert, die Tingler-Attacken simulierten und um Hilfe schrieen. Eine herrliche Idee, die zu diesem abgefahrenen Creature Feature paßt wie Dr. Watson zu Sherlock Holmes.
Aber selbst ohne diesen genialen Gimmick funktioniert der Film glücklicherweise sehr gut und macht großen Spaß. Hauptverantwortlich dafür ist Horrorstar Vincent Price, der einmal mehr eine tolle Show abzieht, ohne ins lächerliche Overacting abzudriften. Besonders seine staubtrockenen Szenen mit seinem eiskalten Biest von Ehefrau Isabel (Patricia Cutts) und sein heftiger LSD-Trip (angeblich der erste, der auf Zelluloid gebannt wurde) erfreuen den Fan. In weiteren Rollen sind Darryl Hickman als Dr. Chapins Assistent David, Philip Coolidge als Kinobetreiber Ollie Higgins, sowie Judith Evelyn als dessen taubstumme Frau Martha zu sehen. Letztere steht im Mittelpunkt der wohl beeindruckendsten Szene des Filmes: als sie im Badezimmer halluziniert, strömt aus einem Wasserhahn Blut, und auch die Wanne - aus der eine Hand nach ihr greift - ist bis zum Rand damit gefüllt. Und da das Blut tatsächlich blutrot ist (die einzige Farbszene des Filmes), ist der Kontrast zu dem schwarzweißen Rest natürlich gewaltig!
Die twistreiche und recht originelle Geschichte wird ernst, flott und sehr gefällig erzählt und punktet sowohl mit altmodischen Gruselmomenten als auch mit handfesten Schockszenen. Womit wir auch schon beim Monster wären, dem Tingler. Die Sequenz, in der Dr. Chapin die Kreatur aus einer Leiche entfernt (zu sehen hinter einem weißen Vorhang als Silhouette) ist erstklassig umgesetzt und macht Lust auf mehr. Leider läßt die Animation des Gummiviehs einiges zu wünschen übrig; die etwas ungelenke Mischung aus Tausendfüßer, Wurm und Krebs wird meist an Fäden durch die Gegend gezogen, wobei das Ding nicht nur nicht gefährlich erscheint, sondern irgendwie sogar knuffig aussieht.
The Tingler ist ein kurzweiliger Monsterfilm, der aus seiner absurden Prämisse das beste macht und sein Publikum bis zur letzten Sekunde ausgesprochen gut unterhält. Merke: Vincent Price + geile Kreatur + interaktiver Touch = tolles B-Movie. Im Folgenden blieb William Castle (der eigentlich William Schloss hieß) der Schocker-Schiene treu und beglückte den Fan mit Filmen wie 13 Ghosts, Homicidal, und Strait-Jacket, bevor er 1968 Roman Polanskis Über-Klassiker Rosemary's Baby produzierte. Der geniale Showman starb am 31. Mai 1977 im Alter von 63 Jahren nach einem Herzinfarkt.