Review

In vielen klassischen Horrorfilmen bekleiden Kinder eine bedeutende Rolle, haben sie doch zum Tod und zu nicht greifbaren Phänomenen eine unvorhereingenommenere Haltung als die Erwachsenen. So ist es auch in Jörg Buttgereits „Der Todesking" ein kleines Mädchen, das uns am Sonntag erklärt, worum es geht: „Der Todesking macht, dass die Menschen nicht mehr leben wollen". Das Mädchen nimmt am Ende von sieben Episoden mit dem Thema Selbstmord, bzw. Mord als solches, eine Moderatorenstellung ein, indem sie diese einfache Aussage formuliert und uns dann ihren Todesking aufmalt - Ein Skelett-Strichmännchen mit einer Krone auf.
Sehr stimmungsvoll zeigt uns Jörg Buttgereit selbst, in seinem kontrovers inszenierten Arrangement, am Ende des Films auf, wie er den Todesking sieht - eine bildliche Version des Todeskings, die später als Coveraufdruck nicht zuletzt der neuen European Edition diente.
Eine gespielte Rolle für den Todesking gibt es freilich nicht, ist doch der Todesking etwas Ungreifbares. Das Mädchen sagte es bereits: „Er macht, dass die Menschen nicht mehr leben wollen". Der Todesking ist also die Antwort auf die Frage, warum Menschen sich das leben nehmen. Jörg Buttgereit hat mit diesem Film also wieder mal eines der größten Tabus unserer Zeit gebrochen, indem er sich mit dem Phänomen Freitod auseinandersetzte.
Die Mittel, die Jörg Buttgereit dazu aufgewandt hat sind provozierend, kontrovers und kompromissloser als der Tod selbst.
Das uns das oben erwähnte Mädchen, wie oben beschrieben, ihre Version des Todeskings, am Sonntag erklärte, hat den einfachen Grund, dass „Der Todesking" ein episodenhaft erzählter Film ist, der am Montag anfängt und am Sonntag endet. Sieben Wochentage - sieben Episoden. „Sieben Tode hat die Woche", so der Leitspruch einer fehlgeleiteten Gruppe von Freidenkern, die sich „Die Bruderschaft des siebten Tages" nennt. „In sechs Tagen schuf Gott Himmel und Erde, am siebten brachte er sich um", so ungefähr lautet ihr Religionsverständnis. Diese Gruppe verfasste einen Kettenbrief, der sich mit der Absurdität des Lebens beschäftigt, um schlussendlich die Frage nach dem Sinn des Lebens zu stellen.
Der Inhalt dieses Briefes mag für verzweifelte, leicht zu beeinflussende Menschen tatsächlich den Ausschlag geben, den Freitod zu wählen. Der Empfänger wird aufgefordert, vor seinem Ableben, alle Menschen, die er kennt, eine Kopie dieses Briefes zu senden.
Der Zuschauer kann erstmals in der Freitagsepisode Einblick im besagten Kettenbrief nehmen - Der fünften Episode also. Bis dahin blieb für den Zuschauer eine Vielzahl von Fragen, die sich mit Hilfe des Briefes aufklärten. Es wird also rechtzeitig dafür gesorgt, dem Publikum einen Anhaltspunkt zu geben, um ihn nicht völlig im Regen stehen zu lassen. Empfängerin des Briefes ist in dieser Episode eine Frau im mittleren Alter. Offenbar völlig vereinsamt und in melancholischer Stimmung liest sie den Brief...
Jede Episode hier detailliert durchzunehmen würde zu weit führen und Nichts zur Aussage des Films als Solches beitragen. Dennoch sind es die Episoden wert, sie mal näher zu beleuchten.
Fangen wir mit Montag an:
Ein offensichtlicher Fischfan tötet sich selbst durch eine Überdosis Tabletten - ich denke es waren Schlaftabletten. Der fischtechnisch Bewanderte (ich schließe das aus einem Sammelsurium an Fischbüchern und sonstigen Fischzubehör) kündigte zuvor noch ganz korrekt seinen Job. Anschließend versendet er noch Abschiedsbriefe an Freunde und Bekannte. Hier ein Wort zum Verständnis des Films: Es gab beim Publikum viele Fehldeutungen dieser Briefe. Die Briefe unseres Fischfreunds sind tatsächlich Abschiedsbriefe und haben nichts mit dem Todbringenden Kettenbrief zu tun. Die Abschiedsbriefe sind ja auch von Hand geschrieben, während der Kettenbrief mit Schreibmaschine verfasst wurde. Aber gerade, weil diese Szene die Montagsszene ist, sorgte das für viel Verwirrung. Vor seinem Tod lässt es der Ordnungsliebende noch mal so richtig krachen: Zur Henkersmahlzeit gibt es eine Dose Ölsardinen pur, die er hastig in sich hinein schlingt - man gönnt sich ja sonst nichts. Hier werden eindeutig Parallelen zu Nekromantik 2 deutlich: Wer den Film gesehen hat, erinnert sich eventuell an ein Paar, das alles über Vögel wusste und nackt auf einer Dachterrasse haufenweise von Eiern in sich hineinfraß, während sie über Vögel redeten. Das Gleiche geschieht hier: Ein fanatischer Fischfreund frisst auf einer eher unappetitlichen Art das auf, was eigentlich sein Lebensinhalt ist. Er frisst das auf, an das er glaubt und genau das haben die Vogelfreaks aus Nekromantik 2 auch getan: Sie fraßen das auf, an dass sie eigentlich mal geglaubt haben. Jeder kann sich hier seine eigenen Gedanken drüber machen, ich denke das ist Stoff zum nachdenken.Beim Todesking steht, ähnlich wie bei Nekromantik 1 und 2 eine Leiche im Mittelpunkt des Films. Wer niemals eine echte Leiche hat verwesen sehen, weiß nicht wie so etwas aussehen muss. Ich sag's mal: Jörg Buttgereits in Zeitraffer verwesende Leiche war einfach brillant. Das hat sich noch nie jemand getraut. Ein Experiment, dessen Ausgang niemand vorher kennen konnte: Um ein Plastikgerippe scharrte er ein Haufen Viehgedärm und die Haut war dann Himbeerpudding - lecker! Die Maden kamen von selbst und das war dann der Mittelpunkt der neuen Buttgereit- Show! Ich selbst hab mal im TV eine Dokumentation über Jörg Buttgereit gesehen, in der immer wieder diese Leiche vorkam und jahrelang dachte ich, die sei echt - vielleicht aus einen medizinischen Lehrfilm, oder so. Sei es drum, toll gemacht und die Leiche soll im Film auch unser treuer Begleiter bleiben. Sie fault dann natürlich recht schnell weg und wenn die Leiche am Montag zu grabe getragen wird, sind am Sonntag nur noch Knochen übrig. Sehenswert allemal, außer man hat es nicht so mit Leichenmaden und Fliegen. Wer das also nicht mag: „Wie wär's dann, einer kleine Penisamputation beizuwohnen - vielleicht mit einer Geflügelschere?
Das so gesehen in der Dienstagsepisode. Die kleine Film- in Filmszene war auf einem Gewaltvideo (ein ähnliches wie „Der Todesking"  ), das real nicht existiert, also muss auch niemand der wenigen Leser dieses Reviews versuchen, sich dieses Video zu beschaffen. Die Frau mit der Schere war eine Blondine mit einer Naziuniform und der Leidtragende war mal wieder der Regisseur. Nein - der Jesusähnlich ans Kreuz gehangene Jörg Buttgereit durfte seinen Schniedel behalten. Das was die Frau abschnitt, war eine Attrappe. Ausgeliehen wurde das Video von einem jungen Mann, der ziemlich fertig schien und der seine triste Anwesenheit auf dieser Erde mit Unmengen des guten Berliner Schultheiss Bieres (damals noch in der praktischen 0,33l Dose) zu ertränken versuchte. Als dann seine Freundin Heim kam und sofort rumnörgelte, tat er das, was ein Mann einfach tun muss: „Er erschoss sie". Kommen wir zum Mittwoch. Das ist eindeutig meine Lieblingsepisode. Ein Mann sitzt im strömenden Regen allein auf eine Parkbank ohne Schirm, ohne Regenmantel o.Ä.
Wortlos setzt sich eine Frau mit Regenschirm dazu und sofort wird sie von dem Kerl zugetextet über Intimitäten aus seinem Eheleben. Die Frau tut das, was eine Frau in so einer Situation nun mal tun muss: Sie schießt auf ihn ohne ein Wort dabei zu verlieren. Nun ja, die Kanone hatte Ladehemmung. Typisch Frau! Selbst ist der Mann und so entwendet der Eingeregnete ihr die Pistole und bläst sich selbst das Hirn weg - recht so!Der Donnerstag: Man filmt die so genannte Selbstmörderbrücke. Die gibt's tatsächlich irgendwo in Süddeutschland. Es handelt sich um ein monströses Bauwerk, welches allein durch seine Höhe bestens für Selbstmörder geeignet ist. Es gab auch TV-Dokumentationen drüber. Buttgereit hat es ausgereicht die Brücke in all ihrer Monstrosität aus allen Winkeln zu Filmen und dann irgendwelche Namen ins Bild zu blenden, die dort mal runter gesprungen sein sollen. Gelegenheit für den Zuschauer über den Tod nachzudenken - Gelegenheit für Jörg Buttgereit einen Film mit 75 Minuten zu füllen, obwohl ich sagen muss, dass die Kamerafahrten beeindrucken können und das Filmteam viel Aufwand trieb, die Bilder auf Film zu bringen.
Den Freitag hatten wir - kommen wir zu Samstag. Am Samstag unternimmt man was. Beispielsweise besucht man ein Rockkonzert. So auch die junge Lebensmüde aus dieser Episode. Bestens ausgestattet mit einer Filmkamera auf der Schulter montiert, läuft die schwer Bewaffnete Amok und tötet währen eines Rockkonzerts Band und Zuschauer - Alles bestens auf Film für die Nachwelt dokumentiert.Schauspielerisch eindrucksvoll die letzte Episode - Sonntag:
Ein vom Weltschmerz geplagter junger Mann erwacht in seinem spartanisch eingerichteten Zimmer. Laut heulend, seine eigene Existenz kaum ertragend, schlägt er immer und immer wieder seinen Kopf gegen die Wand, gerade so, als ob der äußere Schmerz den er sich damit hinzufügt, seinen inneren, seelischen Schmerz übertünchen soll. Die Szene wurde wirklich erdrückend realistisch gespielt und geht vom Darstellerischen weit über dem hinaus, was man in so einem Amateurfilm erwarten darf, gerade auch weil Jörg Buttgereit Spielszenen oft bewusst aufs Amateurhafte reduziert, um gar nicht erst den meist zum scheitern verurteilten Versuch zu unternehmen, sich mit kommerziellen Produktionen messen zu müssen. „Der Todesking" ist ein recht anspruchsvoller Film, den ich nicht gleich auf den Altar der hohen Kunst heben möchte, der jedoch das kann, was man vom kommerziellen Massenkino heute einfach nicht mehr erwarten kann: Einen wirklich kontroversen Stoff zu bieten, der sicher nicht schön ist, der aber Irgendetwas in einem auslöst. In einer Zeit, in der cineastische Grabbeltischware meist nur noch ohne nachzudenken wie Fastfood konsumiert wird, sind unkommerzielle Filme, wie „Der Todessking" wichtiger den je. Die deutsche Amateurfilmszene ist nicht tot, es bleibt nur zu hoffen, dass sich mal einer der jungen Filmemacher aufschwingt, wieder etwas Eindrucksvolles zu Produzieren - Etwas wie den Todesking.

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