„Wenn das Leben seinen Wert verloren hat, hat der Tod – manchmal – seinen Preis. Dies ist der Grund für die Jagd nach dem Kopfgeld.“
Bei Sergio Leone galt stets Klasse statt Masse: Mit „Für eine Handvoll Dollar“ hatte er 1964 das Italo-Western-Genre begründet, das daraufhin zahlreiche Epigonen hervorbrachte. Leone hingegen nahm sich die Zeit und Sorgfalt, ein Jahr später mit höherem Budget das Genre auf ein neues Level zu hieven: „Für ein paar Dollar mehr“ ist der Mittelteil seiner losen „Dollar-Trilogie“ und basiert auf einem Drehbuch, das Leone zusammen mit Luciano Vincenzoni verfasste. Die bekannte Besetzung mit Clint Eastwood und Gian Maria Volonté in ähnlichen, aber neuen Rollen wurde mit Lee Van Cleef („12 Uhr mittags“) nicht nur um ein weiteres schauspielerisches Schwergewicht, sondern gleich um eine weitere Hauptrolle ergänzt.
„Wenn Sie sich für diesen Kerl interessieren: Da war vorhin schon einer da. Wie er heißt, weiß ich nicht. Er lässt einen Arm hängen…“
Der zigarillorauchende Ponchoträger Monco (Clint Eastwood) mit dem hängenden Arm kommt dem schwarzgewandeten Kopfgeldjäger Colonel Douglas Mortimer (Lee Van Cleef) in die Quere: Selbst in diesem Beruf tätig, schnappt er ihm den steckbrieflich gesuchten „Baby“ Red Cavanaugh (José Marco, „Zorro, der schwarze Rächer“) dank seiner überragenden Schießkünste vor der Nase weg. Als der ruchlose Bandit El Indio (Gian Maria Volonté) von seiner Bande aus dem Gefängnis befreit wird, entwickeln sowohl Monco als auch Mortimer Interesse an ihm bzw. den auf seinen Kopf ausgesetzten 10.000 Dollar. Nach einer eindrucksvollen gegenseitigen Präsentation ihres Talents an den Schusswaffen in Form eines nichttödlichen Duells entschließen sie sich zur Zusammenarbeit. El Indio und seine Männer haben sich in einer Kirchenruine verschanzt, wo sie den wahnwitzigen Plan schmieden, die Bank von El Paso – das als am sichersten und besten bewacht geltende Geldinstitut der Gegend – auszurauben. Monco erschleicht sich das Vertrauen der Bande, indem er ihr Mitglied Sancho (Panos Papadopulos, „Peter Pan“) aus dem Gefängnis befreit. El Indio jedoch ist skeptisch und lockt Monco für den Zeitpunkt des Banküberfalls nach Santa Cruz. Doch Monco durchschaut die Finte und Mortimer, der noch eine ganz eigene, mit einer Spieluhr in Verbindung stehende Rechnung mit El Indio offen hat, stellt sich der Bande im Anschluss an den Überfall als Spezialist zum Öffnen von Tresoren vor…
„Wie klein doch die Welt ist.“ – „Ja. Und schlecht ist die Welt auch!“
Der Prolog des erneut im spanischen Almería gedrehten Films gehört zunächst Sir Mortimer, der den steckbrieflich gesuchten Guy Callaway (José Terrón, „Django“) zur Strecke bringt. Bald jedoch tritt auch Monco auf den Plan. Die Phase des Kennenlernens beider Konkurrenten findet ihren Abschluss im faszinierenden, aber zugegebenermaßen wenig realistisch inszenierten Duell zwischen beiden, in dessen Rahmen sich das Publikum von ihren Revolverheld-Qualitäten überzeugen kann. Der Begriff „Held“ ist hier jedoch mit Vorsicht zu genießen, denn beide sind nicht von hehren Zielen, sondern allein vom Geld getrieben und arbeiten auf sich allein gestellt auf eigene Rechnung. Dabei gehen sie ebenso wenig skrupelbehaftet wie die Galgenvögel vor, die sie jagen. Der ältere Mortimer stellt sich als gewiefter Taktiker heraus, der stoisch und ohne Nerven zu zeigen seine Ziele verfolgt. Damit bietet er sich als idealer Partner für Monco an, zumal El Indio, der eine ganze Bande anführt, ein anderes Kaliber ist als die zuletzt zur Strecke gebrachten Einzelkämpfer.
„Ich kann warten, ein Monat vergeht schnell. In Geldsachen bin ich immer sehr genau. Ich habe viel Zeit, aber am Ende kriege ich, was ich haben will.“
El Indio wird zum einen als komplett amoralischer Abschaum charakterisiert, der auch Wehrlose und sogar Kinder tötet, zum anderen als größenwahnsinniger Irrer, der in den Kulissen der Kirchenruine zu einer Art Anti-Jesus avanciert, der seine Gefolgsleute wie Jünger um sich schart und sich zu Höherem berufen zu fühlen scheint – eine kreuzgefährliche Mischung. Vielleicht muss man Italiener sein, um diese religiöse Konnotation auf diese phänomenale, allgegenwärtige, aber nie aufdringliche Weise erdenken und umsetzen zu können. In Volonté fand man einen Schauspieler, der für eine Figur wie diese prädestiniert ist und auf fast schon unheimliche Weise in ihr aufgeht. Eng mit ihr verknüpft ist das rätselhafte Spieluhrenmotiv, das mit einem Trauma El Indios zusammenhängt, welches in Rückblenden angerissen wird, sich aber erst spät in ihrer ganzen Dimension offenbart. Die Uhrenmelodie integriert El Indio in seine Straftaten, eine über seinen Geisteszustand Auskunft gebende Marotte. Zugleich steht diese sinnbildlich für den letzten Funken Menschlichkeit, die El Indio noch innewohnt. Dieser Dualismus spiegelt sich ferner darin wider, dass Mortimer das Gegenstück dieser Spieluhr besitzt. Sie ist der Schlüssel zur besonderen Verbindung Mortimers zu El Indio, was das Narrativ um eine weitere Ebene über die reine Kopfgeldjagd hinaus erweitert und für zusätzliche Spannung sorgt, da sich Leone mit ihrer Entschlüsselung viel Zeit lässt. Im Vergleich zu „Für eine Handvoll Dollar“ ist es außerdem ein Novum, dass damit zwei der Hauptfiguren eine Vergangenheit erhalten, die die Motivation hinter zumindest Teilen ihrer Aktivitäten erklärt.
„Vielleicht ist die Frage indiskret.“ – „Nein. Fragen, die sind nie indiskret. Die Antworten sind es. Manchmal.“
Dieses Mehr an Inhalten schlägt sich auch in der Spielzeit nieder: „Für ein paar Dollar mehr“ ist über zwei Stunden lang. Zwei Stunden, in denen Kameramann Dallamano das Techniscope-Breitbildverfahren nun auch für epische Weitwinkelmotive und Panoramen einsetzen kann, die der Bedeutung der Ereignisse mehr Tiefe und Gewicht verleihen. Diese steuern von Schießereien und Brutalität gespickt verlustreich erneut auf ein unheimlich packendes finales Duell zu, ein von langer Hand vorbereiteter Showdown, der eine kongeniale Symbiose mit dem Spieluhrenmotiv und ihrer Melodie eingeht. Diese ist die Kirsche auf der Sahnehaube der unglaublichen Kompositionen Ennio Morricones, die neue Maßstäbe für die musikalische Untermalung von Western setzten. Nur die gefühllosesten Klötze lässt der Ausgang dieses Films kalt.
Die unheilige Ménage à trois aus Monco, Mortimer und El Indio ist nicht nur dank der schauspielerischen Leistungen ein wichtiger dramaturgischer Faktor des Films, allen voran aufgrund Lee Van Cleefs: Nachdem er während seiner US-Karriere hauptsächlich Antagonisten gespielt hatte, konnte man sich der wahren Motivation seiner geheimnisvollen, schweigsamen Figur, die zwischen Monco und Mortimer verortet scheint, nicht sicher sein. Über weite Strecken bleibt offen, ob er letztlich nicht doch gegen Monco arbeiten wird. Dieses Rezept ging auf und der Erfolg des Films machte auch diesen US-Amerikaner nach Clint Eastwood zur neuen Genre-Ikone. Auch für Klaus Kinski, der eine Nebenrolle als – wie passend! – aufbrausendes, soziopathisches Mitglied der Verbrecherbande bekleidet, empfahl sich für weitere Produktionen, auch ihm eröffneten sich nach „Für ein paar Dollar mehr“ weitere Betätigungsfelder innerhalb des Italo-Westerns bis hin zu Hauptrollen.
Dieser in Hinblick auf seine italienischen, spanischen, deutschen und französischen Produktionsgelder wahrhaftige Eurowestern stellt das Bindeglied zwischen dem Genre-Urknall und dem das Dreiecksprinzip perfektionierenden Genre-Höhepunkt „The Good, the Bad and the Ugly“ dar. Ironischerweise hätte jeder Titel der auf „Für ein paar Dollar mehr“ folgenden Western Leones auch perfekt zu diesem Mittelstück der „Dollar-Trilogie“ gepasst, angefangen beim eben genannten „The Good, the Bad and the Ugly“ über „Spiel mir das Lied vom Tod“ bis hin zu „Todesmelodie“ – was nicht bedeutet, dass Leone sich jemals wiederholt hätte. „Für ein paar Dollar mehr“ ist jedem Genre-Aficionado in die DNA übergegangen, prägte das Genre und entwickelte es weiter, bevor Leone es ein Jahr später erneut übertrumpfen sollte.