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Auf Tsoti stößt man wahrscheinlich, weil der Film den Oscar 2006 für den besten ausländischen Film gewonnen hat.
Aber so richtig nachvollziehen kann man diese Ehrung nicht. Bei Tsotsi gibt es weder eine neue Story, es geht um einen jungen Kriminellen, der auf ein Baby trifft; noch ist die Machart – also Kamera und Schnitt – revolutionär oder besonders sehenswert.

Wirklich schlecht ist der Film allerdings auch nicht. Das liegt an seiner Atmosphäre und den sehr glaubwürdigen Darstellern. Denn in Tsotsi lernt man eine Welt kennen, die man nie persönlich erleben möchte. Hier hat Gewalt und Elend ein Ausmaß erreicht, dass Eminems „8 Miles“ oder 50 Cents „Get Rich“ wie Paradiese erscheinen lässt.Die Kamera nimmt den Zuschauer mit in ein gigantisches Slum vor den Toren von Johannesburg, die Einheimischen nennen es Township. Hier wohnt die Hauptfigur Tsotsi. 19 Jahre alt, sieht ganz nett aus, kann aber kaum rechnen, nicht lesen oder schreiben. Lachen kann man aber nicht über ihn, denn er hat überhaupt keine Moral.
Er ist Gangster. Raubt, bricht ein, schlägt Freunde zusammen und tötet. Einfach so.
Ein bisschen mag das an Alex erinnern, der Kultfigur aus Burgess Roman, verfilmt von Kubrick als Uhrwerk Orange. Aber vergleichen kann man die Filme oder Figuren nicht – zu unterschiedlich ist die Atmosphäre und auch die Motivation der Akteure. Während Alex einfach aus Spaß gewalttätig ist und eigentlich sorglos bei Mama und Papa wohnt, ist für Tsotsi das geraubte Geld die einzige Einnahmequelle – Sozialstaatlichkeit oder Wohlfahrt existiert in seiner Welt nicht.
Das ist auch der Punkt, der „Tsotsi“ von dem ganzen Ghetto-Gangster-Trash der Rapper trennt. Denn während die US-Rapper immer behaupten die Welt um sie herum hätte sie so hart und brutal gemacht – haben sie doch in erster Linie selber ihre Welt so schlecht gemacht. Schließlich muss in den USA, Frankreich oder Deutschland keiner befürchten zu verhungern – wenn es dem Einzelnen schlecht geht, springt der Staat ein und kann damit die Leute davor bewahren kriminell zu werden. Man kann dadurch eine Ausbildung oder was auch immer machen – aber niemand muss Drogen auf dem Schulhof verkaufen!

Anders in Südafrika. Hier bleiben die Kids auf sich allein gestellt. Der Staat kann oder will das nicht ändern. Die Folge ist eine extrem überbordende Gewalttätigkeit und eine Lebensbedrohung, die jeden treffen kann.
Genau diese Atmosphäre fängt „Tsotsi“ sehr gut ein. Tsotsi zeigt, was diese Armut aus Menschen machen kann. Den schlimmsten Albtraum, der in so einer Atmosphäre gedeihen kann, verkörpert Tsotsi selbst (sehr überzeugend von Presley Chweneyagae dargestellt).

Aber das ist auch schon das Beste am Film, also das Aufzeigen dieser Realität – die im Prinzip die schlimmst mögliche Werbung für Südafrika als Touristenland ist ... (erstaunlicherweise hat die südafrikanische Filmförderung den Film mitproduziert ... wenn das mal kein Eigentor gewesen ist ... schließlich findet die nächste Fußball WM 2010 in Südafrika statt ...).
Doch zurück zum Terrorkid Tsotsi. Dieser fleischgewordene Albtraum kommt also durch äußerst unschöne Umstände zu einem Baby. Und plötzlich bewegt sich etwas in ihm. Das ist gut dargestellt, vor allem, weil das Baby wirklich sehr süß ist und sehr natürlich rüberkommt. Es gibt auch einige sehr schöne Großaufnahmen.

Aber gleichzeitig ist das Baby auch der größte Schwach- und Kritikpunkt des Films. Denn es verhält sich hochgradig unnatürlich. Eine Mahlzeit pro Tag reicht dem etwa vier Monate alten Jungen und er muss praktisch nie gewindelt werden. Hinzu kommt, dass das Baby die ganze Nacht durchschläft, sodass sich Tsotsi in dieser Zeit ohne Probleme um seine Gangstergeschäfte kümmern kann. Als Gipfel der Unglaubwürdigkeit lässt sich das Baby den ganzen Tag über vollkommen geräuschlos in einer Papiertüte herumtragen.
Das ist dann nur noch albern und nimmt dem Film zu viel von seiner Glaubwürdigkeit.
Denn während bei den Getto- und Bahnhofszenen viel Wert auf Realismus und Authentizität gelegt wurde, versagt der Regisseur vollkommen bei der Darstellung des Babyalltags.

Man fragt sich dadurch als Zuschauer, ob nicht der gesamte Film irgendwie übertrieben ist. Denn es mag ja sein, dass die Townships für den Zuschauer unbekanntes Terrain sind, aber so ein Baby – dass wissen dann doch einige – ist in der Pflege nun mal ein bisschen anspruchsvoller.

Zu guter Letzt noch der Vergleich mit Fernando Meirelles „City of Gods“. Außer der Slumthematik haben die beiden Filme nicht viel miteinander zu tun. Meirelles hat ein temporeiches, ästhetisch beeindruckendes Kino geschaffen und eine wahre Geschichte erzählt. Das ist ein seltener Glücksfall.
Regisseur Gavin Hood hat dagegen in den meisten Szenen viel zu dunkel gefilmt (man hat den Eindruck er wollte Michael Mann kopieren – ohne dessen Equipment zu haben) und seine Inszenierung steckt voller Klischees, bietet viel zu wenig Überraschungen. Hinzu kommt die sehr unrealistisch dargestellte Geschichte.

Die einzige die Botschaft, die man bei Tsotsi mitnimmt ist: Benutze nie den öffentlichen Nahverkehr in Johannesburg.

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