Nicht nur für Wolf C. Hartwig und seine Rapid Film wirkt es zeitgemäß, einen Film mit dem Titel Der Satan lockt mit Liebe auf den Markt zu werfen. 1960 war eine Zeit inmitten eines Umbruchs für das Kino. Natürlich waren die filmschaffenden Künstler jeher bereit gewesen, die Grenzen des guten Geschmacks auszuloten. Gar keine Frage. Was ihnen ins Handwerk fuhr, das waren Politiker und Moralwächter, die in den USA seit in Kraft treten des Hays Codes darauf achteten, daß beispielsweise Kriminelle nicht glorifiziert werden. Gerade zwielichtige Film Noir Welten waren außerdem ein Hort für die kunstvolle Verschlüsselung sexueller Anziehungskräfte, die auch nur bedingt einen Platz auf den Leinwänden finden durften. Während deutsche Filme zeitgleich zunächst durch braune Propaganda bestimmt waren, war dort der Nachkriegsfilm mit der Verarbeitung und Verdrängung des Trümmerhaufens beschäftigt. Die us-amerikanische Traumfabrik hingegen hatte, geprägt von Kommunismus-Paranoia, sogar Anschwärzungen unliebsamer Kollegen an der Tagesordnung.
Das Zeitgenössische hat auf seine Art immer einen Einfluß auf die Kunst. Im Fall Der Satan lockt mit Liebe ist es dabei entgegen der äußeren Wirkung verwunderlich, statt milder Exploitation ein kleines, rückblickendes Essay über ein totgeglaubtes Sujet vorzufinden.
Generell gibt die Freiheit erst die Möglichkeit, sich mit seinen Wünschen, Gedanken oder Gefühlen geradeaus zu artikulieren. Was im deutschen Nachkriegskino mit kleinen Skandälchen oftmals groschenheftartiger Reißer und dem heute entgegen dem Heimat- und Klamaukfilm noch sträflich mißachteten Problemfilm begann, war eine Emanzipation, die sich in einer Zweiteilung der Strömungen fortsetzte. Da war zum einen der bildungsbürgerlichere Neue Deutsche Film, der oftmals als Autorenfilm erschien und seine Erfolge bevorzugt auf Festivals, im Feuilleton und im Ausland feierte. Obwohl diese Produktionen mitnichten schlecht sein müssen, waren doch zumeist andere Filme die Kassenschlager. Jene nämlich, die auf der freizügigen Revolution aufsaßen und diese auszunutzen wußten. Jene, die mit Nackedeis oder Gewalt, auch Wolf C. Hartwig war mit seinen Schulmädchen-Filmen vorn mit dabei, Opas Kino für den Markt der Gegenwart umformten, aber nicht verwarfen.
Der Satan lockt mit Liebe ist in vielerlei Hinsicht diesbezüglich kurios. Es handelt sich um einen Film, der sich schon in den ersten Minuten unschwer als Film Noir entlarven läßt, den man zu seiner Zeit als obsolet erachten müsste. Was im Trailer vollmundig als Film über einen Zuchthäusler, eine Chansonette, einen Kapitän und einen kleinen Bankbeamten, die in einer Hafenstadt aufeinandertreffen, wo sich in einer unheilvollen Nacht ihr Schicksal erfüllt angekündigt wird, in dem der Weltstar Belinda Lee in einer neuen großen Frauenrolle faszinieren soll, wirkt jedoch gar nicht als eine fixe Idee, die sich in der Zeit geirrt hat.
Bereits 1952 hat Helmut Käutners Schüler Rudolf Jugert mit dem noch nicht der Masse wieder zugänglich gemachten Meisterwerk Nachts auf den Straßen den Film Noir nach einer von Käutner als Drehbuch adaptierten Geschichte von Fritz Rotter auf die deutsche Realität umgemünzt. Man darf sicher nicht die Augen davor verschließen, daß nicht nur in Frankreich der Film Noir als Mitbringsel amerikanischer GIs leicht zeitverzögerte Erfolge feierte, der sich schließlich bis in die frühen Werke der Nouvelle Vague fortsetzte. Auch in Deutschland war erst mit dem Kriegsende und einer sich etablierenden Synchronisationsarbeit der Weg für viele amerikanische Klassiker frei geworden, die sich unter das reguläre Kinoprogramm mischten, welches im Gegensatz zu Heute ohnehin auch von Wiederaufführungen durchsetzt war. Denn abgesehen von der noch geringen Verbreitung des Fernsehens liefen diese Filme längst nicht alle in dessen schmaler Programmvielfalt.
Rudolf Jugerts Der Satan lockt mit Liebe beginnt ebenso wie Nachts auf den Straßen mit einem Fortbewegungsmittel. Hier ist es nun der Zug, der dem Ausbrecher Carlos (Ivan Desny) zur Flucht verhelfen soll. Die Symbollastigkeit ist ähnlich stark gegeben, denn das Schicksal, welches Hans Albers über das Umleitungsschild von seinem Weg abbrachte, findet sich hier in der linearen Zuglinie wieder, auf die der Verbrecher aufspringt.
Im Zug trifft Carlos auf den jungen Bänker Robert (Joachim Hansen). Man muß es wohl naiv nennen, wie dessen prall gefüllte Brieftasche aus dem Jackett ragt. Auch in seinen Äußerungen legt Robert immer wieder eine Gutgläubigkeit an den Tag, daß die Balken krachen. In diesem Kontrast aus Gut und Böse aber ist auffällig, daß Carlos ganz instinktiv die leichte Beute dem erwachenden Opfer zurückgibt. Dies scheint nicht in dem zu vermeidenden Aufsehen begründet zu sein, da Carlos bestimmt genug auftritt, um ihm diesen kleinen Coup auch auf seiner Flucht zuzutrauen.
Später wird nicht nur deutlich, mit welcher Begründung man sich gegen den Arbeitstitel Liebe um Mitternacht für Der Satan lockt mit Liebe entschieden hat. Carlos bereut vor allen Dingen auch, das Geld an dieser Stelle verschmäht zu haben. Mit der Hafenstadt als gemeinsamem Ziel der beiden Figuren wirkt Rudolf Jugerts Film einerseits inspiriert von der Poesie des französischen Kinos, die sich in Marcel Carnés Hafen im Nebel niederschlägt. Andererseits ruft die Südroute auch Erinnerungen an eine Spielart des amerikanischen Film Noir wach, die Charles Vidor in seinem Gilda auf die Spitze getrieben hat.
Alle Hauptfiguren bleiben hierbei durch ein mystisches Band verknüpft. Es ist Carlos, der dem auf sein nach Südamerika auslaufendes Schiff wartenden Robert die Bar empfiehlt, in der seine Geliebte Evelyn (Belinda Lee) als Sängerin auftritt. Es ist der strömende Regen, der Evelyn in das Taxi treibt, mit dem Robert wiederum seine kleine Wegstrecke zurücklegen möchte. Dabei kommt es durch einen klischeehaften Reifenplatzer zu einem ersten Aufeinanderprallen des romantisierten Helden, als der sich Robert gern sehen möchte, und der abgeklärten Lebedame, die dem schwärmenden Jüngling, von der nur in der Mitte ihrer Zwanziger befindlichen Belinda Lee entzückend dargeboten, die Flausen gern schnell aus dem Kopfe schlagen möchte. Doch Der Satan lockt eben mit Liebe.
Unterdessen sucht der flüchtige Carlos Unterschlupf auf dem Schiff des Kapitäns Philipp (Heinz Engelmann). Selbst im Hafen ist dieses nächste Bild formal eindrucksvoll umgesetzt. Da sind die kleinen Details der bunt gemischten Crew, unter denen Li Fang (Osman Ragheb) als politisch unkorrekt mit Sprachschwierigkeiten dargestellter Asiate hervorsticht und damit eine unrühmliche Tradition des Hollywoodkinos in Erinnerung ruft, nach dessen Standards die Figur in Der Satan lockt mit Liebe gezeichnet ist. Andererseits ist Heinz Engelmann, heute weiterhin als deutsche Synchronstimme unter anderem John Waynes immer noch legendär, der ideale Haudegen, der sein Schiff als von ihm regierte Sonderzone führen kann.
Hier ist nun eine andere Form des Fortbewegungsmittels zu finden. Das Schiff ist in seiner Bewegung frei und es ist auch Sache der Besatzung, Recht und Ordnung des begrenzten Raumes zu bestimmen. Seefahrt nämlich ist in gewissem Maße durchaus demokratisch, wie die meuternde Mannschaft unter Beweis stellt, die den Entschluß ihres Vorgesetzten mit der Forderung eines Schweigegeldes in Höhe der auch in Nachts auf den Straßen vorkommenden Zwanzigtausend beantwortet.
In dieser ausweglosen Situation liegt es auf der Hand, daß sich Carlos des Jünglings mit den Moneten besinnt, der ihm auf der Reise über den Weg gelaufen ist. Gleichwohl ist es jedoch töricht, Der Satan lockt mit Liebe mit diesen klischeehaften Wendungen als zu seiner Zeit bereits altbackenen Scherenschnitt des Film Noir zu rezipieren. Mit seinem Film geht Rudolf Jugert dieses eine Schrittchen weiter auf dem Weg zwischen dem durch Überholung der Lächerlichkeit gegenüberstehenden Genrefilm und den liebevollen Neuinterpretationen dessen, die sich als beinharte Destillation wie in Allan Barons Explosion des Schweigens oder als schelmenhafte Melange in Jean-Luc Godards Außer Atem niederschlagen.
Das Problem, dem sich Der Satan lockt mit Liebe gegenüber sieht, ist sicher zunächst, nicht so ausdruckstark erneuert zu wirken. Das deutsche Verständnis des harten Krimis scheint, wenn man der zeitgenössisch überlieferten Werbung Glauben schenken mag, außerdem in der aufwogenden Wallace-Welle gelegen zu haben, was eine Ironisierung verlangt, die sich in Rudolf Jugerts Film ebenso wenig wiederfindet.
Wie er Der Satan lockt mit Liebe umsetzt, ist dennoch als eine Überspitzung allgemeiner Standards zu verstehen. Nur finden sich diese absolut ernst dargeboten eher in Nuancen wieder, die den Film mit der nötigen Empathie nicht als Verballhornung, sondern als Liebeserklärung an den Film Noir wirken lassen. Es sind kleine Spielereien, bei denen zum Beispiel in der Montage zunächst auf zwei Personen gehalten wird. Ein Beobachter löst sich aus seinem Versteck, doch der Zuschauer wird durch den Schnitt in die Irre geführt, als der Rücken einer anderen Person beim Sprung zurück auf das Duo im Bild erscheint.
Es sind aber vor allem auch die Paradigmenwechsel der Handlung, die in ihrer Ausartung einen gewissen Nihilismus enthalten. Während Belinda Lee einerseits Dreh- und Angelpunkt für die Schicksale der drei männlichen Hauptfiguren bleibt, so ist es charakteristisch, wie im Gegensatz zu den oft bodenlos erscheinenden Abgründen der echten Noirs gerade die Femme Fatale hier den moralischen Wimpel hisst und somit nicht nur zu ihrem eigenen Verhängnis beiträgt, sondern diese Legende mit in ein stilles Grab nimmt. Wo einerseits menschenverachtende Ballistik Freund und Feind umreißt, war der Schritt in den Abgrund mehr ein albtraumhafter Blick durch ein Fenster, welches sich im letzten Moment verschließt, als der Zug wieder in die Ferne saust. Eine Auflösung stellt dies jedoch nicht dar.
Es ist im Mikrokosmos des Schiffes wie auch der Nachtgestalten der Hafenstadt und der Zuginsassen stets ein sich selbst klärendes Phänomen, in welchem die Polizei mit ihrer Arbeit zwar am Ende die Arme ausbreitet, aber im gesamten Verlauf sonst nur als störendes Element auftritt, ohne eine Existenzberechtigung über das Zuschauerverständnis hinaus aufzuzeigen, daß die Gesetzeshüter geltendes Recht durchzusetzen haben.
Es ist für die Hauptfiguren aus Der Satan lockt mit Liebe durch die sich verwindenden Beziehungen ein umfassend tragisches Schicksal, bei dem die Unterwelt sich bis zum Schluß um die Fassung bedacht vor einem Menschen verschließt, den sie nicht in den eigenen Reihen sieht.
In diesem Motiv findet sich gleichwohl die Zensur in einer Übertreibung wieder, die das Aufrechterhalten einer Moral im Film aufgreift, wie auch deren vermeintlich ausgleichende Wirkung zur dargebotenen Brutalität. Ferner verbirgt sich jedoch eine fast schon anarchische Botschaft im Gezeigten, wo sich doch Gut und Böse selbst zu unterscheiden wissen und ein Reglement, fast so wie der naive Robert es am Anfang mit seinem Schicksalsglauben darstellt, auch ganz ohne äußeres Eingreifen von Statten geht. Da scheint es fast logisch, daß die Drehbuchautorin Ilse Lotz-Dupont kurz darauf Paul Kellers Roman Ferien vom Ich für die dritte Filmumsetzung adaptierte, geht es dort doch darum, gestresste Menschen zu sich finden, anstatt in eine gesellschaftliche Rolle drängen zu lassen.
Der Satan lockt mit Liebe, diese scheinbar vergessene Perle der deutschen Filmwirtschaft, findet sich im derzeit unermesslichen Ausstoß des Lizenzgiganten Filmjuwelen wieder. Die reflektive Hommage an den alten Kriminalfilm wurde auf DVD veröffentlicht, dessen Schwarz/Weiß-Bild trotz befriedigender Schwarzwerte ausreichend schattierte Details aufweist. Das Bildverhältnis wird für die Kinofassung mit 1,66:1 angegeben, während die DVD von Filmjuwelen in 1,33:1 läuft. Mängel gegenüber der Bildkomposition sind nicht konkret aufgefallen, was nahelegt, daß es sich bei Richtigkeit der Breitbildangabe um eine Open-Matte Abtastung handelt, deren Ränder eventuell leicht zur Korrektur von Defekten beschnitten worden ist. Der Ton wirkt angenehm natürlich gealtert, was entweder für eine gute Vorlage oder ein gutes Händchen an den Filtern spricht.
Neben dem Originaltrailer zu Der Satan lockt mit Liebe gibt es einen breiten Einblick in das aktuelle Filmjuwelen-Programm. Das begleitende Booklet fühlt sich zwar nicht so werbelastig an wie andere, jedoch deuten die einzigen Quellenangaben IMDb und Wikipedia darauf hin, daß der Autor sich neben kurzer Inhaltsangabe und kurzen Biographien keinen großen Reim auf das oberflächlich unscheinbare Werk machen konnte. Erfreulich ist der Schritt, das Inlay des Keepcase immerhin mit einer verkleinerten Abbildung des Originalplakates zu bedrucken. So hat der einst vollkommen identische Hochglanzschuber endlich auch eine gewisse Berechtigung.
Was im Umfang vielleicht nach einer eher mediokeren Massenveröffentlichung klingt, ist doch ein klarer Kauftip für alle, die sich ernsthaft mit dem Schicksal des Genrefilms auseinandersetzen wollen. Der Satan lockt mit Liebe ist vermutlich deshalb untergegangen, weil er so zwischen den Stühlen befindlich erscheint, so man seine Position auf dem Zeitstrahl der Entwicklung nicht dezidiert bestimmt. Der Satan lockt mit Liebe ist ein leise verklingender Nachhall eines vergangenen Jahrzehnts, ist aber gerade deshalb so interessant, weil er den Knall des neuen Kinos der 60er noch einmal verstärkt.