Staffeln 8 und 9
Nachdem die beliebte deutsche SitCom „Pastewka“ von 2005 bis 2014 beim frei empfangbaren Privatsender Sat.1 lief, wechselte sie 2018 zum Video-on-Demand-Anbieter amazonPrime. Damit hatten es sowohl die Privatsender als auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen versäumt, sich eine der besten zeitgenössischen deutschen Comedy-Serien zu sichern. Fans der Reihe mit entsprechendem amazonPrime-Abo wiederum bekamen dadurch die Möglichkeit, die komplette zehnteilige Staffel bereits bei ihrem Erscheinen im Januar 2018 in einem Rutsch per Streaming durchzugucken. Dieser Rückblick auf die Staffeln 8 und 9 (letztere erschien im Januar 2019 ebenfalls bei amazonPrime) ist als Ergänzung meiner Kritik der Staffeln eins bis sieben zu verstehen.
Die vierjährige Pause geht mit einer Weiterentwicklung des (glücklicherweise identischen) Figuren-Ensembles einher: Bastians Ex-Freundin Anne hat ihr Medizinstudium erfolgreich abgeschlossen und ist nun als Frauenärztin tätig. Sein Bruder Hagen ist mit der verhassten Svenja Bruck verheiratet. Beide betreiben einen Bio-Imbisswagen und Svenja erwartet ein Kind von Hagen. Bastians Nichte Kim ist nun Mitglied einer Pop-Band. Bastians persönliche Entwicklung jedoch verlief negativ: Nachdem er sich vier Jahre lang in Annette Friers SitCom „Frier“ als fetthalsige Tunte hat verheizen lassen, schmeißt er entnervt hin. Mitten in der Midlife Crisis steckend, bezieht er ein Wohnmobil und lässt sich zunächst einmal gehen, bevor er neuen Mut schöpft und seinem Leben einen neuen Antrieb zu geben versucht. Doch wenngleich sich neue Liebschaften ergeben, ist er noch immer nicht über die Trennung von Anne hinweg. So stolpert er weiterhin von einer Semikatastrophe in die nächste, wobei sich sämtliche kleine Intrigen und Manipulationsversuche letztlich gegen ihn verkehren…
Diese erste VoD-Staffel wirkt, als habe man die neuen Möglichkeiten, die der Anbieterwechsel mit sich brachte, ausloten und sich deutlich sichtbar von den TV-Produktionen abgrenzen wollen. So entspricht der Tonfall nun eher dem einer Dramödie, ist also etwas ernster geworden. Das Bild wirkt kinematischer und damit höherwertiger, was jedoch von den zahlreichen, offenbar der Finanzierung gedient habenden Product Placements konterkariert wird, die mitunter reichlich plump wirken und leider auch nicht unbedingt für die sympathischsten Konzerne werben. Was die Darstellung nackter Haut betrifft, ist bei Amazon allem Anschein nach mehr möglich als bei Sat.1, was nicht nur die Nudisten-Camp-Episode betrifft, jedoch auch nicht unangenehm selbstzweckhaft wirkt. Ob man Svenja Bruck oder Bastian Pastewka nun in relativ freizügigen Sexszenen sehen will, liegt indes im Auge des Betrachters. Meines Erachtens verleihen diese Momente der Serie ein Plus an Natürlichkeit, was zu ihrem veränderten Tonfall passt, der darüber hinaus mehr Raum für Melancholie lässt als zuvor.
Die Pilotfolge in doppelter Länge zeigt Bastian Pastewka an einem absoluten Nullpunkt seines Lebens und stellt die Weichen für die weiteren, aufeinander aufbauenden Episoden, wobei die vierte stark aus der Reihe fällt: Sie persifliert den Hang zum Powerbingen, also zum sofortigen Durchgucken einer ganzen Serienstaffel bei Erscheinen, von Seriensüchtigen am Beispiel von „Game of Thrones“, deren Faszination Bastian erliegt und sich einen absurden Wettkampf mit Michael Kessler liefert. Die Parallelen zu Drogenabhängigen inkl. Beschaffungskriminalität sind offensichtlich. In der episodenübergreifenden Handlung gelingt es sowohl den Autoren als auch Pastewka persönlich doch immer wieder, auch erfahrenes Publikum der Serie zu überraschen, sodass es nie langatmig und nur selten repetitiv wird. Bastians und Hagens Vater Volker bekommt ebenfalls wieder einen starken Auftritt zugeschrieben, und um Anne etwas mehr Spielzeit einzuräumen, konstruierte man eine Episode, in der Anne und Bastian Annes Eltern eine heile Beziehungswelt vorspielen müssen – das ist köstlich und beinahe unerträglich zugleich. Am schwächsten ist die Kaufhaus-Episode, in der der Ejakulatshumor dann doch zu erzwungen und infantil erscheint.
So sehr Bastian sich über weite Staffelstrecken wie ein dummer Junge verhält, der eigentlich seine Ex-Freundin zurückhaben möchte, aber alles nur noch schlimmer macht, so sehr man ihn in diesen Momenten als empathische(r) Zuschauerin oder Zuschauer auch packen und so lange kräftig durchschütteln möchte, bis er wieder zur Besinnung kommt, so sehr muss er im Staffelfinale über sich hinauswachsen, als seine zweite Nichte auf die Welt zu kommen drängt – der aufregende Höhepunkt einer starken Staffel, die anders, aber sicher nicht schlechter ist als die vorausgegangenen sieben Staffeln. Sie ist weniger eine selbstironische Branchensatire als vielmehr das Porträt eines Mannes am Scheideweg, dessen Beziehungsunfähigkeit auf ebenso dramatische wie hintergründig komische Weise verhandelt wird. Der VoD-Umzug ist geglückt, wenngleich ich ihn weiterhin auch mit einem weinenden Auge betrachte.
Einen anderen Weg schlägt die neunte Staffel ein: Zurück zur Branchensatire, weg vom offensichtlichen Product Placement, Schluss mit Nacktszenen. Vornehmlich handelt es sich hierbei um die Parodie auf eine Krankenhausserie inkl. ihrer Dreharbeiten. Ist die wieder in doppelter Länge gedrehte Pilotfolge noch etwas klischeelastig und überkonstruiert, gewinnt die Staffel ab Episode 2 an Format: Ein halbes Jahr ist seit Mafaldas spektakulärer Geburt vergangen, Bastian lässt sich als Held feiern. Doch der Held ist pleite und sieht sich schließlich gezwungen, das Angebot anzunehmen, in einer neuen kitschigen ZDF-Krankenhausserie Chefarzt Dr. Roman Engel zu mimen – vor allem, weil in einem echten Krankenhaus gedreht wird, nämlich ausgerechnet dem, in dem Anne angestellt ist. Bastian wird zum Stelzbock, der permanent seiner Ex-Freundin nachstellt, muss sich am Set jedoch mit der zickigen, fiesen Schauspielkollegin Katja Woywood („Das Traumschiff“) herumärgern. Außerdem ist Bastian mittlerweile aufs Land zur Bruck und zu Hagen gezogen, wo er sehr gut mit Mafalda umgehen kann, sich nach Svenjas Empfinden jedoch spätestens dann zu sehr einmischt, als er darauf besteht, seine Nicht zu schutzimpfen. Und ab der dritten Folge ist Kim auch wieder mit von der Partie, die mit ihrer neuen Band auf den Bruck’schen Hof zieht und für Chaos sorgt.
Die neunte Staffel lebt in erster Linie von den sich über fast alle Folgen ziehenden Konflikten zwischen Bastian und seiner Nemesis, der Woywood, eingearbeitet in eine urkomische Verballhornung kitschiger Arztserien, inkl. ihrer Regisseure und der (in diesem Falle) öffentlich-rechtlichen Auftraggeber, was im Staffelfinale sogar in einem herrlich absurden seriengenreübergreifenden Rundumschlag mündet – von der Pointe ganz zu schweigen. Zweiter Dauerbrenner der Staffel ist natürlich Bastians unablässiges Ringen um die zunehmend genervte Anne, mit der er sich in Bezug auf Mafalda sogar kurzzeitig zwecks Kooperation zusammenrauft. Dies bietet zudem Anlass für Impfgegner(innen)-Schelte, eines Menschenschlags also, der sich aufgrund von Wohlstandsverblödung zunehmend ausbreitet. Ob diese Attitüde jetzt wirklich so gut zur Bruck passt, weiß ich nicht – tendenziell ist sie eher bei verwirrten Esoterik-Hippies und neurechten Verschwörungstheoretikern sowie Sieg-Heilpraktikern zu verorten als bei feministischen, vegan lebenden Öko-Antifas, aber sei’s drum.
In Bezug auf Anne übertritt Bastian derart eindeutig Grenzen, dass die Empathie mit ihm schwerer fällt als zuvor. Stattdessen macht sich eher Verständnis für die entnervte Anne breit, die, wie sich herausstellt, nicht nur mit Bastian kein Glück hatte. Das ist intelligent geschrieben und veranschaulicht eindrucksvoll, wie man es nicht machen sollte. Die unsägliche Trash-Semiprominente Carmen Geiss stellte sich überraschenderweise für eine kurze Selbstverarschung in Folge 4 zur Verfügung, Kim bezeichnet ihre ehemalige Menschen-Leben-Tanzen-Welt-Band korrekterweise als „seichte Popscheiße“ und jede Folge endet mit einem Cliffhanger, was zum flotten Durchgucken einlädt.
Auch Staffel 9 bietet hervorragende Unterhaltung und tollen Humor, seit Staffel 8 mit deutlich tragikomischer Schlagseite und leichten Seifenoper-Anleihen. Eine zehnte Staffel ist bereits angekündigt, die jedoch die letzte sein wird. Das ist einerseits schade, bietet andererseits aber die Möglichkeit, auf dem Zenit abzutreten, bevor das Format sich evtl. doch noch abzunutzen droht. Zehn Staffeln sind für eine deutsche SitCom eine mehr als ordentliche Hausnummer.