Der Jigsaw-Killer rückt ins videoclipästhetische Licht. Der Vorhang öffnet sich für die Vorstellung eines gebrechlichen Mannes, dessen Krebserkrankung ihn physisch zu einem kalkweißen Greis deformiert hat. Der sitzt da im rot-schwarzen Samtbademantel wie der Dorfälteste, der die letzte Lebensstunde seines zerfressenen Körpers schlagen hört. Sitzt da seelenruhig, eingekesselt von einem S.W.A.T.-Team, und spielt ein Spiel. Mit Detective Eric Matthews. Die Spielregeln sind gänzlich einfach: Matthews möge nur zuhören, zuhören, was das röchelnde Wrack zu sagen habe. Doch Matthews hört nicht zu. Sein Sohn Daniel sitzt in einem brüchigen und mit Fallen versehenen Haus fest, eingeschlossen mit den Archetypen des Genres - der Vollbusigen, dem Berserker, dem Quotenschwarzen -, und atmet mit Giftgas kontaminierte Luft.
Matthews ist ein zielstrebiger Detective. Beweise fälscht er gewissenhaft. Mit Sorgfalt prügelt er seinen Verdächtigen Geständnisse aus dem Leib. Matthews hat es deshalb nicht nötig, zuzuhören. Matthews unterschätzt den alten Mann. Matthews hat "Sieben" offenbar nicht gesehen. Denn er ahnt nicht, dass John Doe vor ihm sitzt, ein Wesen mit Hannibal-Lecter-Intellekt. In der Fortsetzung von "Saw" ist er Teil der konzeptionellen Antithese. Ein Bad Cop. Ein Unsympath. Er wird nicht triumphieren können, zu dreckig ist die Weste.
So will es das Konstrukt, das sich der Perfektion verschreibt, das den Serienkiller (der nie eigenhändig tötet) zu einem gottgleichen Wesen erhöht; nicht im Sinne der Slasher-Filme, in deren populärsten Reihen Myers und Voorhees längst zu Helden mutiert und partout nicht totzukriegen sind; nicht im Sinne dieser Unsterblichkeit, denn die Natur freilich wird Jigsaw richten. Doch gottgleich in jenem Sinne, dass sein Masterplan sich in einen undurchdringbaren Panzer hüllt, sein Werk planmäßig gärt, Vollkommenheit bedeutet und alles bis zum Ende so funktioniert, wie es eben funktionieren muss. Die Logik seines Spiels zu reflektieren und anzugreifen, indem wir mit dem Hätte, Wenn und Aber spekulieren, ist sinnlos, denn - wie auch im ersten Teil, zu dem der Bezug auf vielen Ebenen gelingt - gibt es hier nichts Zufälliges, keine unbekannte Variable x, die auch nur annähernd das Gefühl vermittelt, dass das Aufgehen der gelungenen Doppelpointe in irgendeiner Weise in der Schwebe stehe.
Der Wehrlose mit dem weißen Haar und dem bleichen Gesicht ist die allmächtige Gestalt in diesem Film, ein Schachspieler, der Zuschauer wie Ermittler mehrere Züge voraus ist. Wie in "Saw", als dem Mann hinter den Kameramonitoren alles zu entgleiten und zusammenzubrechen scheint, wiederholt sich hier wieder diese Düpierung, die Einsicht, dass doch alles, wirklich alles nach dem Plan des Genies verlief. Für diese Überlegenheit, diese Perfektion muss der Zuschauer Jigsaw schon fast bewundern, doch würde er dann zweifelsohne in eine verfängliche Situation, ja in Teufels Küche geraten und ihn zum Helden erklären, der er nicht ist, nicht sein kann. Auch der gewollt Mitleid erregende Habitus des phantastischen Tobin Bell vermag nichts daran zu ändern, dass dieser Mann im Rollstuhl ein Irrer und sein Spiel ein todernstes ist.
Der Gewalt wohnt demnach nichts Comichaftes inne. Darren Lynn Bousmans Film ist wahrer Horror, echter Horror, der atmosphärisch und psychologisch wirkt, vor allem jedoch auf den Effekt ausgelegt ist, vielmehr noch als der Erstling. Hier verbrennt einer elendig im Ofen, hier wird jemand in eine Grube voller Spritzen geworfen. Und überhaupt zerfleischt man sich lieber gegenseitig als zusammenzuarbeiten. Das alles also für die Wertschätzung des Lebens, für die Katharsis. Jigsaw selbst erfuhr die Läuterung nach der Prognose seiner Lebenserwartung. Wenn nicht in "Saw", dann wird seine Motivation jetzt überdeutlich, sein Dogma vom Bewusstsein der Vergänglichkeit und dem daraus folgenden Wert der eigenen Existenz, seine drakonische Ethik, der Bagatelldelikte fremd sind. Nur genügt es Jigsaw nicht, dass seine Opfer dem Tod ins Auge blicken. Er will den Überlebenswillen beschwören, den Selbsterhaltungstrieb agieren sehen. Wer besteht die Prüfung? Wer schafft es, sich unbetäubt sein Auge herauszuschneiden, um zu überleben? Von dieser zutiefst perversen Ideologie ist "Saw 2" durchtränkt, und doch ist dies nun keine neue Erfahrung mehr, denn im Vorgänger, da war es ja nicht anders.