„Je Nachfolger, desto mehr…“
Viel Geld gemacht = viel Geld für einen neuen Teil – „mehr Budget…“
„Saw II“ hatte von Anfang an kein einfaches Los. War doch sein Vorgänger der Überraschungshit aus dem Bereich Independent-Horror und mauserte sich ganz schnell zu einem Geheimtipp und hat jetzt schon einen gewissen Kultstatus. Profitgier wird heute ganz groß geschrieben, also wurde nicht lange (erschreckend kurz sogar; man könnte meinen, eine Fortsetzung war schon geplant, sodass diese bei entsprechendem Erfolg nur schnell hinterher geschickt werden musste) gefackelt und nun ist es an der Zeit, die Fallen ein weiteres Mal aufzustellen. Ziemlich genau ein Jahr nach „Saw“ kommt „Saw II“, für den es diesmal knapp 4x soviel Budget gab. Dass viele das schon im Voraus als Schnellschuss und Geldmacherei abtaten, ist verständlich, zählte ich doch auch in gewisser Weise dazu. Dennoch konnte ich meine Freude auf einen zweiten Teil nicht verbergen. Und nun ist es soweit – lassen wir die Spiele erneut beginnen…
Acht statt zwei – „mehr Opfer…“
Detective Eric Mathews (Donnie Wahlberg; „Dreamcatcher“) wird zu einem Mordfall gerufen und erkennt auf Anhieb, dass das die Handschrift des Jigsaw (Tobin Bell; „Good Neighbor“) ist. Und prompt findet er am Tatort auch einen Hinweis, dass genau er die richtige Person für diesen Fall ist, da er an der Decke liest, er solle genauer hinsehen. Erst in der Nacht darauf bemerkt er, was das heißen soll. Am Toten befand sich ein Hinweis auf eine alte Fabrik, die am nächsten Tag gestürmt wird. Dort drin sitzt Jigsaw, wartet auf sie und alles scheint gelaufen. Doch weit gefehlt. Das ist nur der Aufhänger für ein neues, böses Spiel von ihm. Schnell findet die Polizei eine Reihe Monitore, auf denen sie „Big Brother“-artig einige Leute in einem Haus sehen. Geht es da aber noch um Einschaltquoten und Sex, ist das ganze hier ein wenig härter ausgefallen. Die Acht, darunter Mathews Sohn Daniel (Erik Knudsen), atmen ein tödliches Nervengas ein, haben noch gut zwei Stunden Zeit, um das Gegenmittel zu finden und werden dabei von etlichen Einfällen von Jigsaw an dessen Auffinden gehindert. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt…
The game continues – „mehr Spielchen, mehr böse…“
Schon der Pre-Titel kündigt es an – der Film macht da weiter, wo der erste Teil aufhörte (zeitlich nicht ganz, aber optisch und atmosphärisch). Ein Mann sitzt auf einem Stuhl, dreht einen kleinen Spiegel so, dass er entsetzt in sein Gesicht blicken kann. Ein Auge wurde anscheinend zerschnitten und um seinen Hals hängt irgendwas Entsetzliches, eine Falle innen mit spitzen Stahlstacheln versehen. Dann knistert der Fernseher, die Jigsaw-Maske stellt sich vor und erklärt ihm die Spielregeln. Sobald die Zeitschaltuhr an der Falle ausgelöst wird, hat er kurz Zeit, diese aufzuschließen. Dafür braucht er einen Schlüssel. Einen Tipp, wo sich dieser befindet wird gleich präsentiert: ein Röntgenbild mit seinem Kopf und einem Schlüssel unter seinem Auge. Nun hat er die Wahl: entweder sterben oder sich den Schlüssel aus dem Gesicht schneiden. Das ist aber nur der Anfang aller Spiele. Da es diesmal genau acht Opfer sind, gibt es auch mehr Fallen, die alle noch mal ein gutes Stück fieser und böser ausfallen als im Vorgänger. Viel mehr darf man auch nicht schreiben, da das Ungewisse, was sich das kranke, aber in gewisser Weise sehr raffinierte Hirn Jigsaws wieder ausdachte, gerade die Spannung aufrecht erhält und jeder Spoiler den ganzen Film verderben würde.
Dreckiger, dunkler, böser – „mehr Atmosphäre…“
Diesmal brauchte es etwas anderes, denn diesmal wissen wir, wer Jigsaw ist. Also benötigte man einen raffinierten Trick, damit die Identität keine Rolle spielt und zeitgleich die Spannung aufrecht erhalten wird. Und die fand man auch sogleich in den oben angesprochenen makaberen Spielchen. Jigsaw sitzt den ganzen Film über neben seinen Monitoren, hat die Polizei und insbesondere Mathews vor sich und spielt sozusagen ein doppeltes Spielchen. Während die acht Eingesperrten einen Weg nach draußen oder zumindest das Gegenmittel finden wollen, will er selbst mit Mathews reden, sein Leben und seine Polizeiarbeit hinterfragen und ihn belehren. Er leidet an Krebs und damit zieht Folter oder Ähnliches nicht. Wenn er stirbt, stirbt er. Ihm kann es egal sein. Dadurch ist die Polizei gezwungen, einen anderen Weg zu finden. Doch die Zeit wird knapp.
Während Mathews verhandelt, sitzt die gut gemischte, achtköpfige Gruppe in einem alten verfallenen Haus fest. Und schnell wird das Tonband gefunden, die Kassette eingelegt und die Bedrohung steigt, da sie nun erst wissen, was hier eigentlich abläuft – jedenfalls in den Grundzügen. Ein Rätsel wird ihnen aufgegeben (das zwar nie gelöst wird, aber trotzdem einen Sinn macht), jedoch soll es nicht bei dem einen bleiben. Es werden noch mehrere Tonbänder, für jeden eines, gefunden, die dann immer zum nächsten Spielchen überleiten. Die Atmosphäre im Haus ist dann auch ebenso hervorragend wie sie es schon letztes Jahr war. Alle Türen sind verschlossen, es sei denn sie beinhalten eine Falle, die Fallen abartig krank und die Überlebenskämpfe immer höllisch spannend. Das ganze Haus sieht aus wie nach einem Bombeneinschlag, alles ist demoliert, kaputt, heruntergekommen und man fühlt sich sofort, selbst im Kinosessel, unsicher und abgestoßen. Die Szenen außerhalb des Hauses sind da aber nicht besser, da die zum Großteil in der alten Fabrik spielen, ebenso dreckig, mit allerlei Jigsaw-Spielzeug ausgestattet und düster.
Auch sehr stimmig, nur leicht überladen, sind dann die Todeskämpfe. Gerade der oben beschriebene Pre-Titel ist im Sekundentakt der Anzeige des Zeitzünders geschnitten: Closeups des Mannes, wieder die Uhr, eine Kamera, die sich währenddessen um ihn dreht, die Falle. Die fünf Sekunden vor dem Zuschnappen lassen jeden Überblick vermissen, passen aber, da der Mann selbst auch am durchdrehen ist (ähnlich wie die Szene mit Amanda aus dem ersten Teil). Sonst ist die Kamera glücklicherweise etwas ruhiger, wird jedoch zusehends hektischer je näher der Tod in der Falle rückt.
Auf jeden Fall kann man dank der Ungewissheit sagen, dass „Saw II“ in die gleiche Spannungsqualität schlägt wie der erste Teil. Man weiß nie, was hinter der nächsten dunklen Ecke lauert, ob wieder ein Zünder ausgelöst wird oder ob jemand aus der Gruppe aus der Reihe tanzt. Denn mit zunehmender Gasinhalation steigt die Verzweiflung und einer spielt den großen Egoisten. Angetrieben von der Ausweglosigkeit, Wut und dem Nichtwissen, entdeckt er das Geheimnis des Eingangsrätsels und muss es jetzt nur noch in die Tat umsetzen. Beängstigend, wenn man mit ansehen muss, was solche Situationen aus einem machen können.
Gewalt, Gewalt, Gewalt – „mehr Blut…“
Gerade zum Ende hin, samt dem Egoisten, geht es ordentlich und vor allem äußerst blutig zu, was die Atmosphäre noch weiter in den abstoßenden Bereich zerrt. Man hat das Gefühl, dass sie den ersten Teil in allen Belangen steigern wollten. Demnach mussten es auch einige Liter mehr Kunstblut sein. Die Schlussaktion des Egoisten ist genauso übel wie der Glaskasten (die unbefriedigenden Bezeichnungen schützen bestmöglich vor eventuellen Spoilern), hart an der Grenze und man ist definitiv in keinem Frauenfilm. Diese werden sich in den eigenen Schultern festkrallen und das Ende herbeisehnen. Mitunter hat man es hier aber ein kleines Stück zu weit getrieben. Ob man ein halb herausgequollenes Gehirn wirklich viermal hintereinander zeigen muss, sei mal dahingestellt. Den Film treibt es nicht voran, die Spannung auch nicht, sondern nur das abstoßende Gefühl. Dennoch ist der Weg zum „Endresultat“ immer extrem spannend, sodass eigentlich, so gegensätzlich es sich anhört, keine Langeweile aufkommt.
Wie fertigen uns das Drehbuch wie wir wollen – „mehr Storykonstruktion…“
Was sich dann wie ein roter Faden durch den kompletten Film zieht, ist die fast gänzliche Konstruktion der Vorkommnisse. Denn im Nachhinein macht nicht viel Sinn, ist logisch oder müsste zwangsweise so abläuft, wie es denn abläuft, was den Plan Jigsaws glücklich ausgehen lässt – nämlich so, wie er das plante. Gerade Falle Nummer 1 ist dafür ein passendes Beispiel. Wäre da nicht die menschliche Neugierde, dann wären sie immer noch zu acht. Denn die Falle funktioniert nur mit eben dieser Neugierde. Solche Szenen und Zusammenhänge ziehen sich durch den gesamten Film, womit ich zwar nicht sagen will, dass der erste Teil logisch war (gerade der Überraschungseffekt zum Schluss stellt alle Logik auf den Kopf), aber hier hat man auch davon leider mehr.
Wen interessieren die Charaktere – „mehr Charakterzeichnung?“
Durch die größere Anzahl an Leuten, besser gesagt Opfern, ist es gerade dieser Punkt, der in die Reihe „mehr“ nicht passt. So viele Protagonisten lassen keine Zeit, um sich jedem einzelnen zu widmen. Über Daniel erfahren wir noch am meisten und sonst ist es einzig das Bindeglied der acht Insassen, das man erfährt. Sonst sind sie Stereotypen, von denen kaum einer einen Nutzen außer dem Fallenbegehen und –auslösen hat. Klischeehaft ihr Äußeres noch dazu: ein Schwarzer, ein Unscheinbarer, eine Blonde Tussi, ein Draufgänger etc. Damit interessiert es den Zuschauer zu keiner Sekunde, wer als nächstes spielen darf, wer stirbt, es ist einem letztlich sogar egal, ob es Daniel erwischt, zu dem man nie eine emotionale Bindung aufbaut, da er sich größtenteils aus allem heraushält und weder positiv noch sonderlich negativ auffällt. Dennoch dürfte klar sein, ob er die ganze „Belehrung“ durchhält. Trotzdem ist es genau dieser eine Faktor, der den Film dann schlechter macht als den ersten Teil.
Das liegt nicht mal an den Schauspielern. Denn gerade Tobin Bell ist als Jigsaw nach wie vor genial. Fast schon unscheinbar sitzt er da krank, mit dicken Augenringen und weiß wie ein Blatt Papier vor der Polizei und tut so, als täte er nichts Schlimmes. Mit dem Wissen was er macht, ist er dafür aber umso beängstigender.
Donnie Wahlberg hingegen wirkt dagegen schon fast überdreht als leicht cholerischer Detective, der sich plötzlich für seinen Sohn einsetzt, nachdem er nur noch Ärger mit ihm und seinen kriminellen Taten hatte. Draufgängerisch versucht er, Jigsaw auszutricksen, doch dieser ist ihm immer einen Schritt voraus.
Die Spielgruppe im Haus ist dann kaum noch der Rede wert. Erik Knudsen als Mathews Sohn macht den kompletten Film über gar nichts, starrt mit einem Gesichtsausdruck ab und an kurz in die Kamera; Franky G als Xavier dreht dagegen schön durch und ist fest entschlossen, hier herauszukommen; Beverly Mitchell sieht nur gut aus - vielleicht wäre eine Modelkarriere besser gewesen. Amanda, einzige Überlebende eines Spielchens mit Jigsaw, ist dementsprechend mit dem ganzen Ablauf vertraut und kann sich deshalb von Anfang an halbwegs auf die gegebene Situation einrichten.
Damit habt ihr nicht gerechnet – „mehr Plottwist…“
Erwartungsgemäß macht man sich nach dem Ende des ersten Teils, ähnlich wie in M. Night Shyamalan-Filmen, den ganzen Film über, sollte tatsächlich mal Zeit zum Verschnaufen sein, Gedanken, welcher Plottwist uns denn am Ende erwarten wird. Über den Film sind ein paar kleine Drehungen und Wendungen eingebaut, doch der große Knall kommt erst am Schluss – oder besser gesagt zwei davon. Während der eine recht schnell erraten ist, verblüfft der andere dann schon mehr, bleibt jedoch hinter dem genialen ersten Teil zurück. Dennoch schafft man auch hier wieder den Übergang zu Teil 3 und wird diesen wohl direkt an Teil 2 anfügen. Alles andere würde den Cliffhanger total zerstören. Man darf also gespannt sein…
Kann man den ersten Teil toppen – „mehr gut?“
Das kann man jetzt alles halten wie ein Dachdecker, fest steht, dass er alleine in den USA fast das 20fache seines Budgets einspielte und der dritte Teil schon in den Startlöchern steht (dafür spricht ebenso das offene Ende wie auch schon das Ende des ersten Teils). Der zweite Vertreter der Psychospielchen kann zwar nicht mehr so überraschen wie es vor einem Jahr der Fall war, ist aber trotzdem noch extrem spannend. Dass der Plottwist ähnlich verblasst wie der bei „Unbreakable“, bei dem man nach dem „The Sixth Sense“-Ende auch auf solch einen Schluss wartet, liegt am unübertrefflichen Ende des Vorgängers, dennoch kommt er überraschend.
Zudem sind Fallen und Hindernisse noch eine Ecke böser ausgefallen und die Ungewissheit lauert hinter jeder Ecke, weshalb es konstant spannend ist. Dadurch wird einem nie langweilig und auch wenn es nicht mehr der große innovative Horrorschocker ist, ist er Genre- und „Saw“-Fans uneingeschränkt zu empfehlen, wenngleich man kaum positive Stimmen in der Presse hört. Abnutzungserscheinungen treten auf und das führt dazu, dass man hier nicht mehr den ganz großen Wurf präsentiert bekommt und sich Enttäuschung breit macht. Im Grunde ist es, nach der „Saw“-Zeit, „nur“ ein weiterer, böser Horrorfilm, der durch eine beängstigende Atmosphäre und damit verbundene kranke Tode aufwartet. Dazu gesellen sich ein Plottwist, der im nächsten Teil nur noch durch das gänzliche Wegfallen eben dieses Twistes überraschen kann, und passable Schauspieler und fertig ist das erste Horrorhighlight des Jahres.
Die Fortsetzung ruft schon wieder – „mehr Saw?“
Ist es notwendig, die Serie jetzt tot zu reiten? Ein dritter Teil wird kommen und die Vermutung, dass noch einige Sequels folgen werden, liegt nahe, da auch der zweite Film ordentlich Kasse machte. Solange es läuft, kann man es laufen lassen, wenn man geldgeil und Produzent ist. Andererseits sollte man aufhören, wenn es am schönsten ist. Da der zweite Teil qualitätstechnisch überraschend gut ausgeht, sollte dann wohl jetzt Schluss sein, denn ob man noch irgendwas an Ideen für einen weiteren Teil mobilisieren kann, steht erstmal ein Jahr in den Sternen. Der Ideenreichtum war beim zweiten Auftritt schon deutlich eingeschränkt. Ich hoffe deshalb, dass nach einem dritten Teil endgültig Schluss ist, denn wie Serien wie „A Nightmare on Elm Street“, „Halloween“ und „Friday the 13th“ zeigen, kann ein Ruf einer Horrorserie ganz gewaltig mit jedem neuen Teil leiden.
War wieder überzeugend, wird sich aber nicht mehr oft (gar nicht?) wiederholen lassen…