„North Country“ basiert auf der wahren Lebensgeschichte von Lois Jenson, welche die erste Sammelklage in der Geschichte der USA wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz eingereicht und damit einen markanten Präzedenzfall geschaffen hat. Das Erstaunliche daran ist, dass dies (erst) vor rund 20 Jahren geschah. Auf der Basis dieser Tatsachen schrieb die Journalistin Clara Bingham gemeinsam mit der Anwältin Leedy Gansler den Roman „Class Action: the Landmark Case that changed Sexual Harassment Law“, auf welchem das Drehbuch von Michael Seitzman („Here on Earth“) vornehmlich beruht. Die Kombination einer stimmigen (Arbeiter-) Milieustudie mit einem ergreifenden „Individuum vs. Großkonzern“-Konflikt, also der der klassischen Underdog-Thematik, vor dem Hintergrund eines wichtigen Kapitels der amerikanischen Rechtsgeschichte: Das ist der Stoff, aus dem Hollywood großes, emotional mitreißendes Kino zu erschaffen vermag (siehe “Silkwood“,“Norma Rae“ oder “Erin Brokovich“) – sofern in den richtigen Händen. In Gestalt der Regisseurin Niki Caro („Whale Rider“) gelang es, diese wichtige Voraussetzung optimal zu erfüllen, denn die Neuseeländerin vermochte es, genau die richtigen Eigenschaften (primär: Talent und Passion für die Materie) in das Projekt mit einfließen zu lassen. Für die andere Seite der Kamera gewann man zudem eine angemessene Starbesetzung, welche sich glücklicherweise nicht nur durch klanghafte Namen auszeichnet, sondern primär mit ihrem darstellerischen Können auf sich Aufmerksam macht…
Seit ihrer Jugend, in welcher sie schon früh schwanger wurde, hat Josie Aimes (Charlize Theron) kein wirkliches Glück mehr in ihrem Leben finden bzw zurückerlangen können – stattdessen war jenes fast permanent von verschiedenen Missbrauchsformen geprägt verlaufen: Ihr konservativer Vater Hank (Richard Jenkins) hatte sie nach ihrer ersten Schwangerschaft (aus welcher ihr Sohn Sammy (Thomas Curtis) hervorging) innerlich verstoßen, worunter sie so schwer litt, dass sie förmlich in eine Ehe floh und ein weiteres Kind (Tochter Karen (Elle Peterson)) von ihrem Mann bekam, welcher sie jedoch regelmäßig schlug. Im Jahre 1989 schließlich, nachdem sie von ihm erneut (am helllichten Tage) zusammengeschlagen wurde, kann sie einfach nicht mehr und flüchtet mit ihren Kindern sowie nur wenigen Habseligkeiten zu ihren Eltern, die im Bergbaugebiet des nördlichen Minnesotas leben – ein (Rück-) Schritt, welcher sehr schmerzt. Ihr Mutter Alice (Sissy Spacek) freut sich trotzdem über ihre Wiederkehr, während Hank ihr gar die Schuld am Scheitern der Beziehung gibt.
Um wenigstens etwas Geld zu verdienen, jobbt sie als Haarwäscherin im örtlichen Friseursalon, was die Erniedrigung des Scheiterns förmlich vollendet, da viele sie noch von damals kennen, als sie wegen ihrer Schönheit beneidet wurde und man ihr nachsagte, dass sie sich für etwas besseres halten würde. Per Zufall trifft Josie auf ihre ehemalige Freundin Glory (Frances McDormand), welche in der Mienengesellschaft als LKW-Fahrerin und Gewerkschaftlerin tätig ist. Sie ist es, die ihr erzählt, dass gerade Personal gesucht wird, dass auch Frauen genommen werden und die Bezahlung sehr gut sei. Ihr Vater, welcher schon sein Leben lang dort arbeitet, hält entsprechend wenig von dem Vorhaben („You want to be a lesbian now?“), zumal Frauen erst seit kurzem eingeheuert werden sowie nicht gern gesehen sind. Als sie die Stelle antritt, kommt es erneut zu einem großen Streit, worauf sie zusammen mit Karen und Sammy übergangsweise bei Glory und deren Mann Kyle (Sean Bean) einzieht. Nach einer gynäkologischen Untersuchung ist die Einstellung offiziell. Ihr Vorarbeiter (Xander Berkeley) teilt ihr allerdings gleich im ersten Gespräch mit, dass Frauen (es herrscht das Verhältnis 1:30 gegenüber Männern) wenig willkommen sind – das sei natürlich hart, aber die Bezahlung würde stimmen.
Er hat nicht untertrieben: Da die Männer nicht gewohnt sind, neben Frauen zu arbeiten und zudem glauben, sie würden ihnen eh nur die Stellen wegnehmen, machen sie keinen Hehl daraus, dass das weibliche Geschlecht unerwünscht ist. Nur wer eine harte Schale entwickelt, kann dem vorherrschenden Druck überhaupt standhalten. Einer Handvoll Kolleginnen, neben Glory u.a. die schlagfertige Big Betty (Rusty Schwimmer) sowie die junge Sherry (Michelle Monaghan), scheint dies einigermaßen zu gelingen, doch Josie ist die permanente Aussetzung von anzüglichen Aktionen, Beleidigungen und Demütigungen nicht gewohnt. Trotzdem gibt sie sich alle Mühe, die Situation zu ertragen, denn sie will ihre Familie unbedingt alleine versorgen können. Besonders schlimm ist es, neben ihrem Jugendfreund Bobby (Jeremy Renner) arbeiten zu müssen, der einen tief verwurzelten Hass ihr gegenüber mit sich herumträgt. Ihre Schönheit macht sie zudem zu einem besonders „beliebten“ Opfer, was gleichwohl für Sherry gilt – sie werden als bloße Objekte angesehen.
Zwischen den unangenehmen Kommentaren und Berührungen, an den Wänden der Umkleiden geschmierte Fäkalien oder Sexspielzeug in den Spinden, schafft es Josie, ein Haus für sich und die Kinder zu mieten – aber inzwischen wird sie auch außerhalb der Miene von den Ehefrauen der Männer als „Hure“ beschimpft, da zig erniedrigende Gerüchte im Umlauf sind. Als Glory, der man(n) aufgrund ihrer Rolle in der Gewerkschaft wenigstens etwas Achtung entgegenbringt, ihr wegen einer Krankheit nicht mehr zur Seite stehen kann und die Übergriffe immer intensiver werden, trägt Josie ihr Anliegen dem Firmenchef Don Pearson (James Cada) vor, der die Sache umgehend als unwichtig abtut und ihr im Gegenzug die Option unterbreitet, „gehen“ zu „dürfen“ – sogar ohne die nötige Kündigungsfrist beachten zu müssen. Nachdem sie nicht darauf eingeht, lässt ihr Gang zur Unternehmensführung die Situation für die Frauen noch schlimmer werden, weshalb sie selbst bei ihren Kolleginnen größtenteils in Ungnade fällt. Ein direkter Angriff von Bobby bricht schließlich ihren Willen: Sie nimmt ihren Abschied und richtet ihre Bemühungen darauf aus, mit Hilfe von Kyle´s Kumpel, dem Anwalt Bill White (Woody Harrelson), die Firma wegen sexueller Belästigung zu verklagen. Da das alleine kaum Aussicht auf Erfolg hat (dank der gängigen „Nuts-or-Sluts“-Ansicht), sieht er die einzige Chance auf Erfolg in einer Sammelklage – etwas, das es noch nie zuvor in der US-Rechtsprechung in diesem Bereich gegeben hat. Von da an ist nahezu die gesamte Stadt gegen sie – aus Angst, dass die lebenswichtige Miene geschlossen werden könnte. Verleumdungen, Lügen und Drohungen nehmen Überhand. Der Prozess beginnt, aber keiner will sie (u.a. aus Angst vor Kündigung) unterstützen…
„North Country“ ist einer dieser Filme, bei denen man sich als Mann angesichts der Thematik unweigerlich nicht sonderlich wohl fühlt, denn letztendlich stellt das eigene Geschlecht das eindeutige Problem dar – auch wenn man selbst ganz anders denkt und handelt als die gezeigten Personen bzw klar auf Seiten der Opfer steht. Unweigerlich werden Empfindungen erzeugt: Mitleid vermischt sich mit Wut, wenn man in dieser Form aufgezeigt bekommt, was täglich überall auf der Welt (noch immer) geschieht. Die Stärken resultieren aus der Glaubwürdigkeit der Situationen. Seitzmans Skript, welches drei Zeitebenen (Josies Jugend, ihren Neuanfang nach der Ehe sowie den Prozess) umfasst, bietet intensive Emotionen ohne manipulierenden Beigeschmack. Die komplexen Beziehungen zwischen einzelnen Personen berühren unaufgedrängt – sei es zwischen Josie und ihrem Sohn, der nicht unter ihrem Job leiden will und sie deshalb ebenfalls gar als eine Hure beschimpft, die Frauengemeinschaft, welche bis zur Existenzbedrohung zusammenhält, oder das Verhältnis von Vater und Tochter. Gerade letzterer Aspekt bleibt in Erinnerung: Als Josie mit Prügelspuren im Gesicht wieder daheim einzieht, fragt er sie „He caught you with another man? That's why he laid hands on you?“ Das schmerzt, nicht nur ihr. „You can actually ask me that question?“, erwidert sie nur. Eine Antwort bekommt sie nicht. An anderer Stelle hält er eine sehr persönliche Ansprache vor den Mitarbeitern, nachdem seine Tochter gerade die Firma verklagt hat. Solche gefühlsstarken Szenen sind es, die dieses Drama (gemeinsam mit den verkörpernden Darstellern) tragen. Man wird unweigerlich in den Verlauf hineingesogen, erhält den gesamten Leidensweg präsentiert, ohne dass dieser je ausgeschlachtet wird. Die Augenblicke im Gerichtssaal bilden da (weitestgehend) keine Ausnahme. Der Zweck dieser 126 Minuten besteht darin, den Zuschauer zu bewegen – fraglos erfüllen sie diesen.
Oscar-Preisträgerin Charlize Theron´s Leistung kann man (mal wieder) einfach nur als „absolut herausragend“ umschreiben, wodurch sie beweist, dass ihr der Spagat zwischen anspruchsvollen und eher Kommerz-orientierten Produktionen (wie „Aeon Flux“) mühelos gelingt. Nach „Monster“ vermag sie erneut voll und ganz in die Rolle einer Person zu schlüpfen, die sich weit entfernt von dem glamourösen, wunderschönen Geschöpf befindet, welches sie eigentlich im „normalen Leben“ ist. Als eine hart arbeitende, allein erziehende Mutter agiert sie genauso überzeugend, so dass das Bild des Zuschauers zu keiner Zeit irritierend angekratzt wird. Man nimmt ihr die Figur anstandslos ab – dieses Mal ganz ohne künstliche Hässlichkeit, sondern nur mit einem Verzicht auf Make-up, einer billigen Frisur und ihrer Ausstrahlung. Die großen und kleinen Emotionen beherrscht sie perfekt, wie auch die feinen Details (Blicke, Gesten, die Art der Aussprache etc), welche das Gesamtbild abrunden.
Ihr zur Seite steht eine nicht minder bemerkenswerte Ensemble-Cast, klar angeführt von dem starken Richard Jenkins (bestbekannt als (verstorbener) Dad in TV´s“6 Feet Under“). Er spielt Josies (innerlich zwischen Liebe und Enttäuschung hin und her gerissenen) Vater, der sich seinen wahren Gefühlen einfach nicht zu stellen vermag, kraftvoll und intensiv – die Szenen zwischen ihm und Theron gehören zu den stärksten des Films. Ein weiterer zentraler Part (der von Glory) wurde mit Frances McDormand („Fargo“) treffend besetzt. Sie kann sich ebenfalls schauspielerisch voll entfalten – sowohl vor als auch nach Ausbruch ihrer Krankheit. Ich habe mich zudem gefreut, Sissy Spacek („Carrie“) mal wieder zu sehen. Zwar bietet ihr das Skript nicht gerade viel Raum, doch das schmälert ihre Ausstrahlung als liebevolle, altmodisch erzogene Mutter nicht im Geringsten, welche sich irgendwann mit einer wichtigen Entscheidung in ihrem Leben konfrontiert sieht. Sean Bean („National Treasure“), Gott sei dank mal kein Villain oder Verräter, spielt Glorys Mann angemessen zurückhaltend, wodurch er aber wenig Eindruck hinterlassen kann. Jeremy Renner („Dahmer“) erweckt die gewünschte Verachtung angesichts seiner Verhaltens- und Handlungsweisen, was auch für Xander Berkeley (TV´s“24“) und Chris Mulkey („Sub Down“) gilt, nur dass dessen Parts als wandelnde Klischees daherkommen. Aus der Riege von Josies Co-Arbeiterinnen ragt vor allem Michelle Monaghan („Kiss Kiss Bang Bang“) als Sherry heraus, die (trotz aller Pein) einfach nur ihren Job machen und hoffentlich mit der Zeit eine harte Schale entwickeln will. Michelle hat einige kraftvolle Momente, und man wird in Zukunft sicher viel von ihr hören – weit über „M:I 3“ hinaus. Last, but not least, wäre da noch Woody Harrelson („the People vs Larry Flint“): Früher eine lokale Berühmtheit im Eishockey, ging er fort nach New York und wurde Anwalt. Nun, mit einer Ehe in Trümmern, kehrt er in die heimatliche Provinz zurück, um sein Leben neu zu ordnen – dass das Zeit braucht, sieht man an der Tatsache, dass er gar die sehr begehrliche Sherry zurückweist, was jene nicht gewohnt ist. Nach und nach findet er an Josie Gefallen, bleibt dabei aber vorsichtig zurückhaltend, fast schüchtern. Als sie ihn um (berufliche) Hilfe bittet, willigt er (anfangs widerwillig) ein – dann jedoch nur aus dem Grund, dass er einen Präzedenzfall schaffen und somit Geschichte schreiben will, was er ihr gegenüber offen zugibt. Schade, dass Harrelsons Karriere etwas ins Stocken geraten ist – als Schauspieler ist er echt gut.
Regisseurin Niki Caro, welche zuvor den Preis-gekrönten „Whale Rider“ inszenierte, gelingt eine authentisch wirkende Veranschaulichung eines vom Bergbau abhängigen Ortes (inklusive dessen Einwohner) am Ende der 80er Jahre, als Angst vor der Arbeitslosigkeit das Denken (vor allem in jenem Industriezweig) beherrschte. Zwar hatte die Emanzipationsbewegung bereits Erfolge erzielt, allerdings noch nicht das Denken der Menschen verändert – schon gar nicht auf dem Lande. Arbeitende Frauen waren nicht gern gesehen („It involves lifting, driving, and all sorts of other things a woman shouldn't be doing, if you ask me. But the Supreme Court doesn't agree.“), weshalb sie fast zwangsläufig zu Lust- und/oder Hassobjekten degradiert wurden. Für die Männer gehörte das Verhalten „einfach mit dazu“. Wenn sie in „ihr“ Revier eindringen, müssen sie halt damit leben. Die Atmosphäre ist, wie die Umgebung, kalt – und dieses stimmige Bild wird treffend unterstützt von der schönen Kameraarbeit Chris Menges´(„the Pledge“), welche viele Vogelperspektiven nutzt, um dem Betrachter einen Eindruck der rauen Landschaft Minnesotas (in Wahrheit fanden die Dreharbeiten in den Bergen New Mexicos statt) zu vermitteln, sowie dem hörenswerten Score von Gustavo Santaolalla („21 Grams“).
Trotz allem fallen leider einige Probleme ins Auge, die dem Film die Bezeichnung „meisterhaft“ verwehren: So stark die Charakterzeichnungen der Frauen auch sein mögen – die der Männer sind es nicht. Hank und Bill kommen noch ganz gut weg, Kyle gerade mal so passabel (letztere beiden sind recht „soft inside“), aber abgesehen von ihnen handelt es sich bei allen anderen um Verbindungen aus Stereotypen und Klischees. Der Einstieg ist leicht sperrig geraten, da man sprunghaft verschiedene Sequenzen vorgesetzt bekommt (Rückblenden, Szenenwechsel etc), welche man erst einmal in einen ordnenden Kontext bringen muss. Das geschieht zwar folgend ganz natürlich (wirklich gestört hat es mich nicht), doch auffällig war es schon. Die Wahl der letzten Momente (vor den unausweichlichen Texttafeln) wirkt befremdlich, da vom Inhalt her nicht schlecht, jedoch irgendwie ungewöhnlich. Der Schlussakt entfaltet sich (nahezu erwartungsgemäß) recht konventionell: Man kann sich den Emotionen des Verlaufs keineswegs entziehen und erhält zugleich zusammen mit der Hauptprotagonistin eine „Genugtuung/Entschädigung“ für die vorherigen (deprimierenden) Leiden – allerdings ist ein bestimmter „Dead Poets Society“-Moment (zumindest für mich) inzwischen überreizt worden und erscheint mir hier einen Tick zu unrealistisch (selbst wenn er seinen Zweck voll erfüllt). Ungeachtet dieser „Fleck-Erscheinungen“ ist Niki Caro ein wirklich gutes Werk gelungen, das auf der Gefühlsebene alles richtig macht und zudem einen entscheidenden Schritt in der (US-) Gleichberechtigungs-Bewegung aufzeigt. Bis heute ist dieser Prozess (in den Köpfen) keineswegs abgeschlossen – und betrachtet man mal statt der geschlechtlichen die ethnische Variante dessen, lässt sich unschwer erkennen, dass dieser vermutlich noch lange andauern wird.
Fazit: „North Country“ ist ein bewegendes, toll gespieltes Drama über die Ereignisse, welche zu der ersten „Sexual Harassment“-Sammelklage gegen ein Großunternehmen in der amerikanischen Rechtsgeschichte geführt haben … starke 8 von 10.