Review

DUELIST von Lee Myung-se
Südkorea 2005

Im Jahr 1999 löste der Südkoreaner Lee Myung-se mit seinem Thriller Nowhere to Hide bei Publikum und Rezensenten teilweise heftige Reaktionen aus, wobei einer vergleichsweise kleinen Schar von ehrlichen Bewunderern zahlreiche Filmfreunde gegenüberstanden, die sich zu harscher Kritik herausgefordert sahen. Der mit mehr oder weniger Nachdruck an den Regisseur gerichtete Hauptvorwurf war, dass er zugunsten einer unmittelbar vom Stil dominierten Inszenierung die inhaltlichen Aspekte seines Films sträflich vernachlässigt hat. Um solch schnödes Genörgel schert sich Lee Myung-se freilich einen Teufel: Sein sechs Jahre später erschienenes Nachfolgewerk Duelist verdeutlicht unmissverständlich, dass er nicht gewillt ist, seine einmal bezogene Position zu verlassen. „Ein Film ist ein Gedicht, kein Drama", äußert er diesbezüglich in einem Interview. Wer Duelist gesehen hat, weiß ganz genau, was er damit meint.

Korea in der Epoche der Choson-Dynastie: Im Land tauchen immer größere Mengen an Falschgeld auf, die bald solche Ausmaße erreichen, dass sie das gesamte Wirtschaftsgefüge gefährden. Die junge, hitzköpfige Polizistin Nam-soon (Ha Ji-won) und ihr Mentor Ahn (Ahn Sung-ki) gehören zu den zahlreichen Beamten, welche Jagd auf die Geldfälscher machen. Bei ihren Ermittlungen stoßen sie auf Spuren, die darauf hindeuten, dass der amtierende Verteidigungsminister maßgeblich in die Affäre verwickelt ist. In der Folge geraten sie immer wieder an dessen Vertrauten und Leibwächter, den geheimnisvollen Schwertkünstler „Sad Eyes" (Kang Dong-won). Nam-soon sucht den Kampf mit dem Fremden, der für eine Reihe von Attentaten verantwortlich ist, entwickelt aber gleichzeitig tiefe Gefühle für ihn ...

Genau genommen war das eben ein grober Spoiler, denn ich habe schon fast die ganze Handlung verraten. Viel mehr davon gibt es in Duelist nicht. Es wird ziemlich schnell klar, dass Lee Myung-se nichts zu erzählen hat und auch gar nichts erzählen will. Ihm steht der Sinn nach anderem: Er will etwas zeigen. Und da das in einem Spielfilm nicht ganz ohne so etwas Lästiges wie eine Handlung geht, bedient er sich der oben erwähnten dünnen Geschichte, um seine Intentionen zu verwirklichen.
Das allein wäre nun noch lange kein Grund zum Verzweifeln, zumal die Umsetzung dieses Vorhabens, das sei hier vorweggenommen, tatsächlich in geradezu phänomenalen Bildern mündet. Zunächst jedoch krankt Duelist an einem ganz anderen Problem. Das Konzept des Regisseurs beinhaltet nämlich noch einen weiteren, folgenschweren Grundgedanken, der möglicherweise der Vorlage für das Drehbuch, einem Comic seines Landsmannes Banh Hak-ki, geschuldet ist: Er möchte das magere Geschehen mit einer gehörigen Portion Humor würzen. Dabei scheitert er jedoch auf der ganzen Linie, denn alles, was hier zur Erheiterung beitragen soll, ist nicht nur absolut unpassend, sondern auch von mehr als zweifelhafter Qualität.
Asiatischer Humor ist ohnehin nicht dafür bekannt, ausnehmend subtil zu sein, aber in Duelist kommt er besonders rustikal daher und überschreitet mehr als einmal mit Brachialgewalt die Grenze zur Peinlichkeit. Letztendlich stößt Lee Myung-se damit nicht nur den Zuschauern, die älter als zwölf sind, vor den Kopf, sondern bringt auch seine Schauspieler in eine unangenehme Lage.
Vornehmlich in der ersten Stunde des Films schwingt sich Grimassenkönigin Ha Ji-won einmal mehr zu einer Vorstellung auf, die jeder Beschreibung spottet. Es gibt kaum einen Moment, in dem sie ihre Gesichtsmuskeln in einer annähernd natürlichen Stellung hält oder sich auch nur halbwegs normal bewegt. Ihren Text trägt sie mit schöner Regelmäßigkeit abwechselnd gehaucht oder gebrüllt vor. Dieses maßlos überdrehte Agieren dürfte indessen bei der überwiegenden Zahl der Zuschauer vorerst nicht die erwünschte Heiterkeit, sondern vielmehr blankes Entsetzen auslösen.
Es wäre allerdings ungerecht, wenn man der armen Ha Ji-won wieder einmal die Hauptschuld an derartigen Exzessen in die Schuhe schieben würde. Da man davon ausgehen darf, dass der Regisseur während der Dreharbeiten anwesend war, kann ihm nicht entgangen sein, dass seine Hauptdarstellerin in jeder zweiten Szene einen ihrer Mundwinkel fast bis zum Auge zieht, wie ein Schimpanse läuft oder völlig banale Dinge ohne Sinn und Verstand in die Kamera schreit. Wenn er sie folglich dazu angewiesen beziehungsweise nicht wenigstens leidlich gebremst hat, trägt er die volle Verantwortung für diesen bizarren Auftritt. In der Tat wird Ha Ji-won durch das Making of in dieser Beziehung eindeutig entlastet.
Auch der erfahrene „Nationalschauspieler" Ahn Sung-ki, der seit mehr als einem halben Jahrhundert vor der Kamera steht, im Alter von fünf Jahren seine erste Rolle spielte und mit acht seinen ersten Preis entgegennehmen durfte, bekommt genügend Gelegenheiten, sich lächerlich zu machen.
Einzig Kang Dong-won muss sich nicht am infantilen Herumalbern beteiligen. Ganz im Gegenteil: Als „Sad Eyes" hat er lediglich seinem Namen eine Berechtigung zu geben und muss nicht viel mehr tun als unentwegt traurig und ein wenig geheimnisvoll dreinzublicken. Das gelingt ihm tatsächlich recht gut, auch wenn sein Blick eher weltfremd als wirklich traurig aussieht.
Im Endeffekt können sich Bildsprache und Komik an keiner Stelle zu einem organischen Ganzen vereinen. Dieser Antagonismus bricht das Gefüge des Films immer wieder auf, lässt ihn über längere Strecken holprig, mitunter regelrecht zerrissen erscheinen.

Aber je mehr Zeit verstreicht, umso deutlicher verschieben sich die Relationen zwischen dümmlichem Klamauk und großartigen Bildern. Nach etwa einer Stunde ist nichts mehr vom misslungenen Humor zu spüren, und spätestens jetzt darf Lee Myung-ses Werk voll und ganz das sein, was es sein will - eine überwältigende Flut audiovisueller Eindrücke, ein grandioses filmisches Gemälde, in dessen Zentrum die zum Scheitern verurteilte und gegen Ende mythisch überhöhte Liebesgeschichte von Nam-soon und Sad Eyes steht.
Dabei wird nichts dem Zufall überlassen. Schon die Ausstattung ist beeindruckend und zeugt von dem kolossalen Aufwand, mit welchem das Projekt bis in die kleinste Szene hinein verwirklicht wurde. Um seinen Bildern ein Höchstmaß an Opulenz und Farbenpracht zu verleihen, verzichtete der Regisseur ganz bewusst auf eine exakte historische Einordnung der Ereignisse und die entsprechende authentische Gestaltung von Kostümen und Kulissen. Aus einem längeren geschichtlichen Zeitabschnitt sollte nur das Schönste den Weg auf die Leinwand finden, und nicht selten ließen die Verantwortlichen auch ihre eigenen Ideen einfließen.
Wie schon in Nowhere to Hide bedient sich Lee Myung-se einer ganzen Palette technischer Verfahren, die von der Überlagerung mehrerer Bildebenen bis zu Freeze Frames reichen und immer auf höchstem Niveau umgesetzt sind. Selbst die CGIs sind nur in wenigen Ausnahmefällen deutlich als solche wahrzunehmen. Eine zentrale Rolle nehmen Aufnahmen in teilweise extremer Zeitlupe ein. Auch wenn der übertriebene Einsatz dieser Technik längst in Verruf gekommen ist, hier lohnt sich das in jedem einzelnen Fall, denn in den überbordenden Einstellungen sind derart zahlreiche Details zu bewundern, dass all die Zeit und die Mühe, die man in sie investiert hat, geradezu verschwendet wären, wenn man die entsprechenden Szenen mit der normalen Geschwindigkeit am Betrachter „vorbeijagen" würde.
Wunderschön und fast schon ein Kapitel für sich ist die Beleuchtung. Abgesehen von einer gezielten und beeindruckenden Arbeit mit Schatten ist Duelist geradezu ein Lehrbeispiel dafür, wie man dunkle Szenen effektiv und ideenreich ausleuchtet, ohne dabei die Atmosphäre zu beeinträchtigen. Das gewinnt vor allem in der letzten halben Stunde an Bedeutung, deren Ereignisse fast ausschließlich im nächtlichen Schneetreiben angesiedelt sind und einige überwältigende, auf die Farben Weiß, Rot und Schwarz beschränkte Passagen beinhalten.
Selbstredend ist auch die Kameraarbeit makellos. Verwackelte Handkameraaufnahmen zur Verschleierung kampftechnischer Defizite der Darsteller sucht man in Duelist vergebens. Solche Probleme werden hier auf andere, mitunter innovative Weise gelöst. Augenfällig sind einige sehr gelungene Kamerafahrten, deren Brillanz selbst Zuschauern, die für so etwas keinen geschulten Blick haben, nicht entgehen wird.
Höhepunkte des Films sind natürlich die Auseinandersetzungen zwischen den beiden Protagonisten, wobei sich diese Kämpfe deutlich von den gängigen Mustern unterscheiden, die man aus einer inzwischen unüberschaubaren Zahl anderer asiatischer Produktionen kennt. Eigentlich wird hier gar nicht im herkömmlichen Sinne gekämpft, vielmehr erfolgt in den Duellen die Annäherung zweier Menschen, die nicht in der Lage sind, auf vernünftige Weise miteinander zu kommunizieren oder gar in körperlichen Kontakt zu treten. In den Händen des Regisseurs entwickelt sich die eigentlich martialische Konfrontation mit tödlichen Waffen zu einem faszinierenden, erotisch aufgeladenen Tanz, einer Art Balzritual, und in den besten Momenten wird sie zur reinen Ästhetik reduziert, die ganz für sich allein steht und den Hintergrund einer komplexen Handlung nicht mehr braucht.
Eine derart konsequente Interpretation der genretypischen Kampfhandlungen als Akt vollkommener Schönheit hat man bislang höchstens in Zhang Yimous leinwandsprengendem Hero gesehen, wobei ich besonders an die Herbstlaubszene mit Maggie Cheung und Zhang Ziyi denke. Überhaupt wird man in Duelist mehr als einmal an den großen chinesischen Filmemacher erinnert, vor allem durch den wiederholten Einsatz bunter Stoffbahnen und eine vielfach streng symmetrische Bildgestaltung.

Was immer also dem Auge angeboten wird - es ist schlicht und ergreifend perfekt. In diesem Zusammenhang offenbart sich ein weiterer Vorzug von Duelist: Es handelt sich um ein Werk, das man sich getrost mehrmals anschauen kann, ja vielleicht sogar muss. Während viele andere, auch gute Filme jeden Reiz verlieren, wenn ihre ganz auf den Spannungsaufbau orientierten Handlungsstränge erst einmal aufgelöst sind, gibt es hier auch bei mehrmaligem Betrachten noch vieles zu entdecken. Lee Myung-se nutzt immer wieder beispielhaft die ganze Breite der Leinwand, und oft genug kann man feststellen, dass man am einen Bildrand etwas völlig verpasst hat, während man fasziniert zum anderen geschaut hat. Ohnehin sind einige Szenen so überwältigend, dass die Begeisterung auch nach dem zehnten Ansehen nicht nachlassen sollte. Selbst die Eskapaden Ha Ji-wons relativieren sich mit der Zeit. Wenn man erst einmal darauf eingestellt ist, kann sich die anfängliche Bestürzung schnell in anerkennendes Staunen oder bestenfalls sogar Begeisterung über das hier dargebotene mimische Repertoire verwandeln. Insofern ist ihre Besetzung doch eher ein Glücksfall: Wenn der Regisseur schon Grimassen wollte, dann war Ha Ji-won einfach eine ausgezeichnete Wahl.
Nicht unerwähnt bleiben soll der vielseitige, mitunter bewusst gegen den Strich eingesetzte Score, welcher neben konventionellen Klängen auch Tango-, Zirkus-, Chor- und sogar Rockmusik der härteren Sorte umfasst und den Geschehnissen fast durchgehend ein interessantes akustisches Fundament verleiht.
Somit entschädigt Lee Myung-ses Werk letzten Endes reichlich für die angesprochenen Mängel und gestaltet sich mehr und mehr zu einem wahren Fest für die Sinne, das besonders in einigen Schlüsselszenen zu einer überaus beeindruckenden und nachhaltigen Erfahrung wird.

Wie nicht anders zu erwarten, hat auch Duelist überaus kontroverse Diskussionen unter den Filmliebhabern ausgelöst. Am lautesten tönen wieder die „Stil vor Substanz"-Rufer, die unter Umständen frustriert sind, weil sie nicht auf die gewohnte Weise unterhalten werden. Wer einen klassischen Martial-Arts-Film erwartet, dürfte tatsächlich enttäuscht werden - Duelist versteht sich weit eher als Kunstkino. Das ist aber absolut zulässig und noch lange kein Grund zur Aufregung. Kino definiert sich im ursprünglichen Sinn entscheidend über Bilder und steht keinesfalls in der Pflicht, sich auf nüchternes Erzählen zu beschränken. Und wenn es über dieses hinausgehen möchte, dann ist Stil kein Fremdkörper, sondern ein wesentliches Element seiner Substanz.

Das Kölner Edel-Label Rapid Eye Movies, dem man für seine Verdienste bei der Publikation ungewöhnlicher asiatischer Filme gar nicht dankbar genug sein kann, hat zwei DVD-Editionen des Films in sensationeller Qualität veröffentlicht. Die einfache, die nur den Hauptfilm enthält, kann man derzeit für Preise erstehen, die noch unter den Portokosten liegen. Für alle, die noch schwanken, könnte das ein interessantes Argument sein. Wer die schicke 2-DVD-Editon im Digipack erwerben will, deren Bonusdisk nicht weniger als 160 Minuten ausgezeichnetes Zusatzmaterial beinhaltet, sollte gut aufpassen: Mehrere Internetanbieter haben sie angeblich im Programm, schicken dann aber die Single-Ausgabe. Es kann auf keinen Fall schaden, vor dem Kauf noch einmal gezielt nachzufragen.

Fazit:
Duelist ist ein Film zum Zurücklehnen und Genießen, dessen visuelle Pracht mit fortschreitender Laufzeit eine Reihe von Problemen fast völlig in den Hintergrund drängt. Man kann ihm einiges vorwerfen, wie die spärlichen Handlungsfragmente, die lediglich ein Mittel zum Zweck sind, längere Zeit fehlende Konvergenz oder den überflüssigen Einsatz ziemlich niveauloser humoristischer Elemente, aber all das kann man umso gelassener nehmen, je mehr man in den Sog der großartigen Bilder gerät, die Lee Muyng-se gelungen sind. Und spätestens wenn Nam-soon und Sad Eyes am Ende eins werden mit den tanzenden Schneeflocken, dann ist alles, was hier je gestört hat, längst egal.
Ich will's mal so sagen: Duelist ist ganz sicher kein außergewöhnlich guter Film, aber ganz großes, unvergessliches Kino.
8.5 von 10 Punkten.

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