Der zweite Real-Spielfilm des britischen Brüderpaares hat ein Motiv zum Thema, das den Schöpfern zahlreicher Puppentrickfilme besonders am Herzen gelegen haben dürfte: den Automatendiskurs, der sich um 1800 größerer Popularität erfreute.
Der Flötenspieler Jacques Vaucansons (um 1738), die drei "Jaquet-Droz Automaten" von Pierre Jaquet-Droz (1770-1774), in gewisser Weise auch der Schachtürke von Wolfgang von Kempelen (1769) - den noch Johann Nepomuk Mälzel neben seinen Musikmaschinen bis 1825 ausstellte, ehe man die Funktionsweise als Schwindel enttarnte, womit sich noch E. A. Poe 1936 in seinem Aufsatz "Maelzel's Chess Player" beschäftigte - sind ebenso bedeutende Stationen des Diskurses wie Julien Offray de La Mettries Abhandlung "L'Homme Machine" (1748), sowie die Erzählungen und Aufsätze "Auswahl aus des Teufels Papieren" (1789) von Jean Paul, "Über das Marionettentheater" (1810) von Heinrich von Kleist und "Die Automate" (1814) & "Der Sandmann" (1817) von E. T. A. Hoffmann.
Diesem Thema widmen sich die Gebrüder Quay weit deutlicher als in früheren Werken, wobei die direktesten Ideenlieferanten nicht der (schwarzen) Romantik entstammen, sondern wesentlich jünger sind. Etwa "La Invención de Morel" (1940), Adolfo Bioy Cesares Kurzroman - von Jorge Luis Borges hochgelobt - über einen Flüchtling, der auf einer verlassenen Insel auf "Menschen" stößt, die sich schließlich als hologrammatische Projektionen entpuppen, als Schatten längst dahingeschiedener Menschen, denen "Morels Erfindung" (so der dt. Titel des hierzulande bei Suhrkamp erschienenen Werks) ein lebloses Weiterexistieren beschert hat: wie im Falle einer schönen, jungen Frau, die jeden Abend aufs Meers hinaus schaut. Und ebenso Jules Vernes "Le Château des Carpathes" (1892), der - 1981 vom tschechischen Regieexzentriker Oldrich Lipsky als Gruselkomödie "Tajemství hradu v Karpatech" umgesetzte - Roman über eine in "Das Karpatenschloss" (so der dt. Titel) "entführte" Opernsängerin, die eigentlich den Grafen von Telek heiraten wollte, aber bei ihrer Abschiedsvorstellung verstirbt und vom Baron von Gortz und dem Erfinder Orfanik mit Phonograph und Spiegeltricks in ein singendes Abbild ihrer selbst verwandelt wird, auf welches Graf von Telek schließlich trifft. Als eine dritte, noch recht direkte Quelle, wird von den Gebrüder Quay der Roman "Locus Solus" (1914) von Raymond Roussel genannt, der hierzulande wie der Autor selbst (auch trotz der Bemühungen Jens Malte Fischers und Rein A. Zondergelds) weitestgehend unbekannt geblieben ist und mittlerweile nur noch antiquarisch für kleinere Unsummen zu greifen ist. An Roussels Figur Canterel lehnen die Quays ihre Figur des Dr. Droz an (der Name freilich stammt vom Automatenbauer Pierre Jaquet-Droz): beide führen ihre Gäste durch eine Anordnung lebender Bilder, hergestellt aus menschlichen Wesen zwischen Leben und Tod.
Sowohl weil Roussel und ganz besonders Verne mit ihren Texten teils überdeutlich dem Schauerroman verhaftet sind, aber auch weil sich die Gebrüder Quay mit ihren animierten Puppen weniger dem Hologramm, der Aufzeichnung, als vielmehr dem traditionellen Automaten genähert haben, stehen sie der schwarzromantischen Unheimlichkeit der Automaten um 1800 nicht weniger nahe, ja sogar näher als der frühen Science Fiction um 1900. Nicht nur in dieser Hinsicht entpuppt sich auch E. T. A. Hoffmann - den die Quays mehrfach als Inspirationsquelle genannt haben (an einer Ballettumsetzung seines "Der Sandmann" waren sie ebenfalls beteiligt) - noch als weiterer literarischer Bezugspunkt: neben der Automaten-Thematik liefert er den Quays auch noch die Frage nach Künstler-/Schöpfertum (ohnehin nicht weit weg vom Thema des Automaten!). Neben "Die Automate" und "Der Sandmann" lässt sich daher etwa auch "Rat Krespel" (1817) als Ideenlieferant für "The Piano Tuner of Earthquakes" auffassen.
"The Piano Tuner of Earthquakes" erzählt [Achtung: Spoiler!] von Dr. Emmanuel Droz (Gottfried John), der am Tage vor der Hochzeit der Opernsängerin Malvina van Stille (Amira Casar) mit Adolfo Blin (César Sarachu) einem ihrer Auftritte beiwohnt und sie für tot erklärt, als sie zusammenbricht. (Der Film suggeriert, dass er den Zusammenbruch mit seinen unheimlichen, technischen Mitteln herbeigeführt hat; doch diese Mittel bleiben immer im Unklaren...) Er nimmt Malvina mit sich auf seine Villa Azucena[1] auf einer abgelegenen Insel (die die Quays nach dem Vorbild von Böcklins "Toteninsel" (1880-1886 in fünf Versionen entstanden) gestalten), wo er sie wiederbelebt und sich vorgeblich um ihre Behandlung bemüht, um ihr Trauma zu kurieren; ihr Trauma scheint offensichtlich, ergeht sie sich doch der Welt entrückt in immergleichen, repetiven Handlungen, sitzt abends mit Blick aufs Meer am Strand, auf Adolfo wartend. Recht ähnlich verhalten sich auch die sechs Gärtner, die Dr. Droz mit strengen Kommandos befehligt.
Eines Tages kommt der Klavierstimmer Felisberto Fernandez (erneut Sarachu in einer Doppelrolle) hinzu, der für Dr. Droz sieben Automaten stimmen soll - denn Droz interessiert sich gleichermaßen für die Musik wie für die Technik und plant (was der Zuschauer erst nach und nach erfährt) schon lange eine Oper, mit der er es denen, die ihn bisher verlacht haben, so richtig zeigen will.
Assumpta, die Haushälterin des Dr. Droz, empfängt Fernandez und betitelt den Klavierstimmer kurzerhand als "Piano Tuner of Earthquakes", während sie das Fresko des Lissaboner Erdbebens im Jahre 1755 betrachten, auf dem sich der gegebenen Situation entsprechende Figurenkonstellation zeigen. Fernandez, dem es seltsam vorkommt, dass er als Klavierstimmer herbeigeholt worden ist, obwohl es nirgends Klaviere gibt, fragt sich kurz danach, an das Fresko zurückdenkend: "Was it me stepping into a painting already painted?" (00:15:10) Dass er damit nicht bloß im übertragenen, sondern (zumindest, wenn man ein sich bewegendes Gemälde gelten lässt) sogar im wortwörtlichen Sinne Recht behalten wird, ahnt er freilich noch nicht.
Assumpta wird mehr und mehr mit Annäherungen und Verführungskünsten an Fernandez herantreten, während Dr. Droz ihm seine Aufgabe erklärt, sieben wasserbetriebene Automaten zu stimmen, die zu einem nahen Zeitpunkt bei einer letzten Aufführung spielen sollen. (Erst später zeigt sich, warum Droz so sehr auf einen bestimmten Zeitpunkt Wert legt: Mit der nächsten Mondfinsternis wird das Wasser, das die Automaten antreibt, bei Flut erstmals den Ort der Aufführung erreichen.) Doch Fernandez seinerseits wird empfindlich abgelenkt von der schönen Malvina, die er am Strand auf einer Bank sitzen sieht. Und in der Nacht hört er sie - wenn er nicht gerade sonderbare Träume hat, die scheinbar von den Automaten beeinflusst sind, welche er am Tage stimmt - mitunter singen. Dr. Droz äußert ihm gegenüber daraufhin nur, dass er diese Stimme seit Jahren gesucht habe - und macht Andeutungen, aus denen der Zuschauer im Gegensatz zu Fernandez schon folgern kann, dass das, was man als Seele bezeichnet, schon längst nicht mehr in Malvina steckt.
Nach einem von Assumpta beobachteten Gespräch zwischen Malvina und Fernandez, bei dem nur herauskommt, dass Malvina nicht weiß, wer sie ist, planen Dr. Droz und Assumpta auch für Fernandez eine Rolle in ihrem undurchsichtigen Spiel ein: Droz bittet Fernandez darum, eine Rolle in einer Oper zu übernehmen, um Umstände zu schaffen, die Malvinas Trauma heilen könnten - diese Oper wird dann auch zugleich die angestrebte Vorführung seines siebenten Automaten sein. (Droz hat Fernandez schon davon berichtet, als dieser sich nach Malvinas Gesang in der Nacht erkundigt hat.)
Auch ansonsten verlaufen die Gespräche zwischen Fernandez und Droz eher sonderbar: einmal berichtet Droz ihm von einer Ameisenart, die die Sporen eines Pilzes einatmet, welcher sich in ihrem Gehirn einnistet, woraufhin sie auf Sträucher klettern würden, um dort wochenlang zu verharren, bis ihnen eine Art Dorn aus dem Kopf wächst, aus welchem der Pilz neue Sporen absondert. (Eine Erfindung des "Museum of Jurassic Technology" in Los Angeles, die sich die Quays für ihren Film ausgeborgt haben.) Und ein andermal berichtet Droz von Opernliebhaberinnen, mit denen er sich vergleicht, und ihren Fähigkeiten, mit der Klitoris Musik wahrzunehmen.
Beunruhigt ist Fernandez aber erst, als er bemerken muss, dass ein Automat sein Pfeifen in sich aufgenommen und ihm sein Spiegelbild genommen hat (auch dies ist ein Verweis auf die gestohlenen, verlorenen Spiegelbilder und Schatten der Romantik - von Adelbert von Chamisso, Friedrich Heinrich Karl Baron de la Motte Fouqué und E. T. A. Hoffmann bishin zum freilich nicht mehr der Romantik zugehörigen, aber von ihr inspirierten Hanns Heinz Ewers) - woraufhin Droz ihn als seine Ameise bezeichnet. (Zu einem anderen Zeitpunkt wird Fernandez seinerseits Droz die Rolle der Ameise zuweisen: "Doctor, clearly it's you who's inhaled the spore of Malvina's voice." (01:02:54))
Erst nun dämmert ihm langsam, was Dr. Droz plant: aus dem Leben der Menschen um ihn herum ein andauerndes automatisches Puppentheater erschaffen. Fernandez wird daraufhin nicht nur seine Macht als Klavierstimmer über die Automaten ausnutzen - ohne jedoch sich und vor allem Malvina damit zu befreien.
Bei der finalen Aufführung, bei der Droz auf Kosten seines Lebens und zum Leidwesen seiner Helferin Assumpta in seiner Kunst neu aufgehen will, werden die Gäste - darunter auch Adolfo - Betrachter eines lebensgroßen Guckgastentheaters, in dem Fernandez und Malvina in den Rollen von Adolfo und Malvina die Oper des Dr. Droz aufführen. Pünktlich zur Mondfinsternis kommt es jedoch zu einem Beben, auf welches Fernandez mit seinem feinen Gehör rechtzeitig reagiert, um Malvina vor herabstürzenden Steinen und Balken zu retten. Während Dr. Droz auf dem Höhepunkt seiner Schaffensphase aus einem Dorn in seiner Stirn Sporen ergießt (ein voll und ganz sexualisiertes Bild von cronenbergschen Ausmaßen, unterstützt von der Mimik Gottfried Johns, die die Verzückung im Orgasmus nachahmt), finden sich Fernandez und Malvina nach ihrem Verschwinden in einem Spalt in der Erde im sechsten Automaten wieder, gefangen für immer, zum ewig gleichen Bewegungsablauf gezwungen. Assumpta rudert von der Insel fort, auf der sich in einem Schaukasten eingefangen Fernandez und Malvina für alle Ewigkeit wieder und wieder begehren und treffen.
Immer wieder betonen die Gebrüder Quay, dass sie mit "The Piano Tuner of Earthquakes" weder einen typischen Science Fiction, noch einen reinen Gothic Horrorfilm abliefern wollten - gewiss stecken Elemente von beiden Genres im Film, vor allem jedoch erweist er sich als durch und durch dem Geist der Romantik verhaftet. Abgesehen von einigen Motiven auf der Bildebene - Caspar David Friedrich scheint Pate zu stehen bei den Einstellungen, in denen etwa Malvina unendlich sehnsüchtig in die Ferne blickt (ein anderer Bezugspunkt mag aber auch Murnaus "Nosferatu - Eine Symphonie des Grauens" (1921) gewesen sein) - erweisen sich E. T. A. Hoffmann und der Automatendiskurs als zentrale Bezugspunkte: wie in "Der Sandmann" verliebt sich der männliche Protagonist in eine Frau, die sich als künstlich geschaffene Gestalt erweist. Anders als Hoffmanns Olimpia ist sie allerdings nicht komplett künstlichen Ursprungs, sondern vom normalen Menschen über Magie, Wissenschaft und Konditionierung erst zur Marionette, zum Automaten gemacht worden - dennoch entspricht sie ihr insofern, dass sie mit ihrem automatischen Verhalten zum Objekt der Begierde der Hauptfigur wird.
In diesem Punkt bleiben die Quays etwas unklar: anfangs verguckt sich Fernandez in die Frau, dann will er sie vor Droz und seinem Einfluss beschützen, schlussendlich jedoch scheint er sein ewiges Schicksal mit ihr im sechsten Automaten als eine endlose melancholische Wiederholung sehnsüchtigen Begehrens durchaus zu genießen. Klarer werden die Quays, wenn es um das Interesse des diabolischen Genies an seiner Schöpfung geht: wie bei Kleist scheint Droz der bewusstlose, mechanisch agierende Körper das höchste Ideal zu sein, dem Theater zieht er seine Puppentheater-Schaukästen vor (und im Hinblick auf Hoffmanns "Die Automate", wo die Automatenmusikanten leb- und heillose, entsetzliche Musik produzieren, ist Droz bereits dadurch schon ein schauerlicher Charakter) - und wie eine der finsteren Schurkenfiguren Hoffmanns übertritt er in seiner Obsession jedoch sämtliche moralische Grenzen. Droz erscheint als düsterere Version eines "Rat Krespel": wo dieser noch im nachvollziehbaren Irrglauben, etwas Gutes zu tun, handelt, wenn er seiner Tochter den lebensbedrohlichen Gesang verbietet und ihr damit ein möglichst langes, aber freudloses Leben aufbürdet, und wenn er ihre Stimme in einer Geige nachzuahmen versteht, um ihr somit noch eine Freude zu verschaffen, da handelt Droz aus reinem Eigennutz, wenn er Malvina samt ihrer Stimme für alle Zeiten konserviert, um somit seine Kunst zu verwirklichen. Für diese setzt er sich über alle Grenzen hinweg, vergleichbar einem Coppelius (aus "Der Sandmann") oder einem Cardillac (aus "Das Fräulein von Scuderi" (1919)); auch sein eigenes Leben achtet er wenig und ordnet es seiner Kunst unter, insofern gleicht er zugleich auch Krespels Tochter, die sich freiwillig in den Tod singt.
Insgesamt ist Droz eine typisch hoffmanneske Schurkenfigur (und setzt damit die Tradition der oftmals ebenfalls auf Hoffmann basierenden - oder von der Kritik auf ihn zurückgeführten - Filmschurken des deutschen expressionistischen Stummfilms fort, mit welchem "The Piano Tuner of Earthquakes" wegen der Figur des Droz oft verglichen worden ist): ideal besetzt mit Gottfried John, der sich schon in Fassbinders "Berlin Alexanderplatz" (1980) und dem ersten Pierce Brosnan Bond "GoldenEye" (1995) als faszinierender Bösewicht zu präsentieren wusste.
Die Besessenheit des Künstlers, aber auch die Opferbereitschaft des Künstlers; die Faszination der menschlich agierenden Automaten, wie auch der leblos wirkenden Menschen; das Verlieren des Spiegelbildes als Unheil verkündender Mangel - stets befinden sich die Quays im Dunstkreis Hoffmanns und seiner populäreren Motive.
Doch in der Verbindung dieser Motive gelangen die Quays zu keiner klaren Struktur, sie irren immer nur im Dunstkreis umher: alles taucht mal auf und verschwindet wieder, zusammenfügen lässt sich all dies jedoch nicht - immer bleibt ein Rest, immer widerspricht sich etwas: das macht sich vor allem bemerkbar, wenn die Quays der (freilich unbeantwortbaren) Frage ausweichen, wie die Umwandlung der Menschen in Bestandteile der Automatenkunst des Dr. Droz überhaupt funktioniert. Mal raubt Droz Pfiffe und Spiegelbilder (wandelt also auf phantastischen Wegen), mal arbeitet er mit den Mitteln der Technik, mal mit den Mitteln der Manipulation und Konditionierung; mal treten mechanische Puppen auf, mal leblos-abwesende Menschen, und letztlich wird Fernandez noch im sechsten Automaten über ein reflektierendes Bewusstsein verfügen. Das Motiv des Automaten wird hier in unterschiedlichsten Variationen präsentiert, entzieht sich in dieser neuen Bandbreite und den jeweils verschwiegenen Funktionsweisen jeder Definition - es wird beliebig und lässt sich von Szene zu Szene mit neuen Assoziationen anreichern: mal scheint es (etwa bei den Proben und Konditionierungen des Dr. Droz), die Quays kommentieren das Verhältnis eines Regisseurs zu seinen Darstellern (das die eigentlich als Puppentrickfilmer arbeitenden Brüder durchaus interessiert), mal scheint es, sie würden die Automaten des Dr. Droz als Metaphern des Kinos verstanden wissen wollen (etwa dann, wenn sich gegen Ende des Films (01:27:59 ff.) ein Szenenwechsel von der letzten Aufführung zu Assumptas Abreise in einer der Maschinen des Dr. Droz ereignet)... und zwischendurch ist der Automat mal Mittel der Satire auf gesellschaftliche Gepflogenheiten, mal das Ideal des natürlichen, unbewusst handelnden Menschen, mal das ästhetische Zeugnis der dem Automaten eigenen, unheimlichen Faszination, der die Zeitgenossen von Vaucanson bishin zu Mälzel erlegen waren. Nicht alles davon ist zwangsläufig unvereinbar mit den anderen Möglichkeiten, aber insgesamt entsteht ein recht zerfahrener Eindruck, der alles anschneidet, nichts ausführt und den Zuschauer nach einem doch recht anrührenden Ende leider etwas ratlos zurücklässt.
Auch andere Motive des Films erwecken solch einen undurchsichtigen Eindruck: etwa die Geschichte der Ameise, die zunächst bloß dazu zu dienen scheint, um die Besessenheit sowohl von Fernandez als auch von Droz zum Ausdruck zu bringen; doch am Ende schließlich erleidet Droz tatsächlich das Schicksal der Ameise, als aus seiner Stirn ein Stachel wächst und Sporen freigibt. Nimmt man diese Szene als weitere Metapher für die Besessenheit des Droz, die nun zu voller Blüte, zum Höhepunkt, zum kleinen oder großen Tod gelangt ist, so bleibt sein tatsächliches Schicksal jenseits solch metaphorischer Bilder unklar; und nimmt man diese Szene als Bebilderung eines tatsächlich so stattfindenden Vorgangs, dann stellt sich die Frage, wie Droz an die Sporen gekommen ist und wieso er wie die von ihm erwähnte Ameisenart darauf reagiert. So oder so bleiben Fragen offen. Noch rätselhafter geben sich die Quays mit den drozschen Ausführungen über die Klitoris als ganz besonderes Sinnesorgan, das auch die Wahrnehmung von Musik ermöglicht: geht es hier um die verklärende Sicht des männlichen Künstlers auf weibliche Musen, um eine Erotisierung der künstlerischen Kommunikation, oder um die eigene sonderbare Beziehung von Droz zur Musik (da er sich doch mit den erwähnten Frauen vergleicht)?
Dieser Mix aus immer nur angerissenen Verweisen, aus eingestreuten Elementen, die nie ganz zu einem klaren Abschluss gebracht werden, ist aber zugleich auch die große Stärke des Films, insofern er von ebenso undurchsichtigen, vagen Bildern begleitet wird: gleißendes Glitzern, undurchlässige Nebelschleier sorgen für unscharfe, diffuse Bilder (Sokurov, eines der großen Idole der Quays, dürfte mit einigen seiner Filme sicherlich ein weiteres Vorbild - diesmal aus der Filmgeschichte - gewesen sein), die eine ganz unwirklich Atmosphäre erschaffen, in der die immer etwas unscharfe Handlung wunderbar gedeiht - unscharfe Geschehnisse in unscharfen Bildern. Die Wirkung des Films kommt der eines Traums damit unglaublich nahe (zumal die Handlung mehrfach auch von animierten Traumsequenzen unterbrochen wird): man ist ganz nah dabei, dennoch bleibt alles in einer diffusen Schwebe - und um den Film wirklich genießen zu können, ist es vielleicht sogar kontraproduktiv alle Elemente vollständig deuten und mit anderen in Einklang bringen zu wollen; man sollte sich eher auf die Undurchsichtigkeit, ja auch auf die Unlogik oder zumindest Inkonsequenz (die die Verwandlung von Menschen in Automaten begleitet) einlassen, sie hinnehmen wie die Seltsamkeiten eines Traumes, um diese sehnsüchtig-melancholische, unheimlich-beklemmende, wunderschön-rätselhafte Geschichte zu genießen.
Wer versucht, mit "The Piano Tuner of Earthquakes" Hoffmann, dem Automatendiskurs, oder den jüngeren Vorlagen Jules Vernes und Bioy Cesares auf den Grund zu gehen, der wird vermutlich nicht allzuweit kommen - die Quays haben keinen Kommentar auf ihre Vorbilder liefern wollen, keinen erklärenden Interpretationsansatz. Der umgekehrte Weg, also die Quays über ihre Vorbilder zu deuten, dürfte ähnlich unbefriedigend wirken: Bezüge sind da, fügen sich aber nicht zu einem einheitlichen Ganzen oder gar einer gemeinsamen Aussage zusammen. "The Piano Tuner of Earthquakes" ist vielleicht am ehesten als traumartige Fieberphantasie aufzufassen, in der einer Traumlogik gemäß diverse Vorbilder Hand in Hand gehen, zu einer kuriosen Verbindung verschmelzen, die bei zuviel Gedanken über das Wie und Warum der dargestellten Ereignisse genauso unbefriedigend gerät, wie ein sonderbarer Traum, den man bereits nach dem Erwachen nicht mehr verstehen kann.
Wer sich bei den Vorbildern aus Literatur- und Kunstgeschichte heimisch fühlt, der dürfte sich auch bei den Quays wie zuhause fühlen. Wem es darum geht, intertextuelle Verweise zu deuten, der wird etwas unbefriedigt bleiben müssen. Überhaupt dürfte es schwer fallen, aus "The Piano Tuner of Earthquakes" eine allgemeingültige Aussage zu abstrahieren, die über die konkrete, erzählte Geschichte hinausgeht - nur ein Punkt ist da sicherlich die Ausnahme: die Andeutungen, dass auch die Figuren außerhalb der Automaten sich in einem weiteren, größeren Automaten befinden, die letztlich dahin führen, jeder Ebene eine übergeordnete zuzuschreiben. Im Stile von "Welt am Draht" (1973) gelangen die Quays so zu einer Aussage auf einer selbstreflexiven Metaebene, auf der die Quays selbst die obersten Schöpfer der Automaten werden, auf der die Filme der Gebrüder Quay zu den letzten Nachfahren der Automaten des 18. (und frühen 19.) Jahrhunderts werden. Auf dieser Metaebene machen sich die Quays zu den Erben einer Tradition, aus der sie hier (ganz besonders) und auch anderswo ihre Motive geschöpft haben.
Insgesamt ein hübscher, überstilisierter, mit allerlei Effekthascherei verzierter, Film gewordener Traum zweier Romantiker über ihre Wurzeln: wild verweisend, nicht immer erklärbar, rätselhaft und aufgrund des langsamen Erzähltempos für einige Zuschauer sicherlich etwas langweilig.
7,5/10
1.) Azucena, also Lilie, ist ein Name, der wie Droz oder van Stille durchaus mit Bedacht gewählt worden ist: der Name der Lilie, ein Symbol sowohl für Reinheit, als auch für die Schönheit, sowie für den Tod, charakterisiert den Ort ebenso wie die Nähe zu Böcklins "Toteninsel".