Review

Berliner Stadtluft und ein Stück deutsches Lebensgefühl

Andreas Dresen, als einer der bekannten aktiven deutschen Filmemacher, hat mit seinen Werken einen ganz eigenen Stil geschaffen. Von "Nachtgestalten" über "Halbe Treppe" und "Willenbrock" bis "Sommer vorm Balkon": Dresens werkübergreifendes Motiv ist das Leben typischer Individuen bzw. Gesellschaftsschichten um uns herum. Mal tragisch, mal komisch portraitiert er präzise den Menschen von nebenan, widmet seine Werke voll und ganz jenen Existenzen. Seine Filme sind daher Dokumente unserer Zeit und tiefgreifende Darstellungen des damit verbundenen Lebensgefühls.

Tragikomischer Sommerfilm
"Sommer vorm Balkon" ist eine kleine, auf 16mm gedrehte Komödie. Sie erzählt von einem Sommer aus dem Leben zweier Freundinnen in einem Berliner Wohnhaus. Die eine, Nike, ist Single im mittleren Alter, lebt ohne große Ziele, wie Familie, für den Moment. Kathrin hingegen ist etwa 40, alleinstehende Mutter eines Jungen in der beginnenden Pubertät. Sie ist arbeitslos und hat Probleme mit Alkohol. Der Sommer bringt das Leben der beiden besten Freundinnen gehörig durcheinander: Nike lernt einen Trucker kennen und verfällt der großen Liebe, an die sie nie geglaubt hat, während Kathrin sich dadurch vernachlässigt fühlt und in den Alkohol flüchtet. Einige Schicksalswendungen folgen, woraufhin beide an einen Punkt kommen, wo sie auf ihr bisheriges Leben kritisch zurückschauen müssen.

Scharfer Blick und feiner Humor
So banal die Geschichte auch klingen mag, aber Dresens Film ist einer derer, in die man sich total hineinfallen lassen kann, sodass man sich wünscht, sie würden einfach so weiter gehen. Der Regisseur versteht sein Handwerk und lässt sich viel Ruhe beim Ausleuchten seiner Charaktere von allen Seiten. Es dauert nicht lange, bis der Zuschauer sie ins Herz schließt, ohne jedoch sofort ihre bis ins Detail druchdachten Wesenszüge durchschaut. Da und dort erkennt man womöglich sich selbst in den Figuren, als sie ja auch recht typische Individuen der heutigen Single-Gesellschaft sind. Die Situationen, die sie erleben, die Art wie sie reagieren, sind bereits Quellen für packende Dramaturgie und feinen Humor. Wir haben es hier nicht mit schlechtem Klamauk zu tun, sondern mit einer brilliant sitzenden Situationskomik. Manchmal reicht nur ein im richtigen Moment eingespielter Schlager für eine Pointe. Überhaupt tragen die unaufdringliche, schlichte Inszenierung und die sommerliche Schlager-Filmmusik viel zur Atmosphäre des Filmes bei.

Unterschwelliger Kommentar zum Zeitgeist
Besonders wirkungsvoll ist "Sommer vorm Balkon" aber vor allem deshalb, weil hinter der lockeren Erzählung eine unterschwellige, nie zu aufdringliche Schwere mitschwingt. Beispielsweise bemerkt man Kathrins Alkoholismus zunächst nur beiläufig, doch als sie nach einer Vergiftung in eine Entziehungskur muss, wird einem bewusst, wie fragil dieses unbeschwerte Leben ist, wenn man arbeitslos, alleinstehend und Mutter ist. Aber nicht nur das; Nikes Arbeit als mobile Altenpflegerin in Kombination mit ihrem scheinbar sorgenfreien, perspektivenlosen Single-Dasein zeichnet beiläufig aber deutlich ein treffendes Bild des modernen Deutschen. Da ist nicht nur Unbeschwertheit und Spaß, sondern ab und zu, obwohl man es gar nicht zulässt, kommen innere Unsicherheit sowie unangenehme existentielle Fragen ans Tageslicht. So muss Nike gegen Ende lernen, dass ihr unbekümmertes Leben-für-den-Augenblick mitunter auf wackeligen Beinen steht. Freundschaften können leicht zerbrechen, doch das Leben geht weiter. Auf das Thema Beziehungen wirft Dresen mit dem nötigen Witz übrigens ebenfalls einen sehr scharfen Blick.

Fazit

Dresens kleines Menschenportrait ist eine lockere Sommerkomödie mit intelligentem, spritzigem Humor und ernstem Hintergrund. Als das funktioniert der Film bereits sehr gut, weil der Regisseur es wie kein anderer versteht, mit kleinen, aus dem Leben gegriffenen Geschichten mitzureißen und gleichermaßen lebendige Charaktere zu schaffen. Doch dann sind da die Momente, die dem Film plötzlich unterschwellig Bedeutung verleihen. Nach einem Streit sagt Nike zu Kathrin: "Mutter sein, das kann doch jeder!" Gleich danach stirbt vor ihren Augen, während ihrer Pflege eine ihrer Rentnerinnen. Da wird sie unsicher, nachdenklich. Was ist mit dem Sterben, dem Augenblick des Endes, wenn man sein Leben nur für den Augenblick lebt? Andreas Dresen verfolgt durchaus eine klare Aussage, nur vereinnahmt die Botschaft den Film nicht. Sie kommt unauffällig, differenziert und hinterlässt einen bittersüßen Nachgeschmack. Das ist es dann auch, was den Film aus der Belanglosigkeit einfacher Komödien heraushebt, also sehenswert macht, obwohl er auf einen großen fiktiven Überbau verzichtet.

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