Wie soll man diesen Film einordnen, welche Kategorie paßt am Besten ?
Schon wenn man sich diese Frage stellt liegt man falsch, denn Dresens Film paßt in keine Schublade, zumindest in keine mit dem typischen Beiwerk für die typische Erwartungshaltung des jeweiligen Zielpublikums. Im Grunde verabschiedet sich Regisseur Dresen mit seinem "Sommer vorm Balkon" von eigenen Gewohnheiten. Während er noch in "Halbe Treppe" auch auf eine möglichst authentisch wirkende und damit grobkörnig verwackelte Optik setzt mit eher durchschnittlich bis unattraktiv aussehenden Darstellern, so macht "Sommer vorm Balkon" einen durchaus gefälligen Eindruck.
Das fängt damit an, daß er Berlin abseits der hauptstädtischen Prachtbauten von seiner schönsten, sprich sommerlichen Seite zeigt - voll heller Farben am Tag und einem schönen Himmel bei Nacht. Dazu sind die Protagonisten allesamt attraktiv und entsprechend sommerlich bekleidet und so beginnt der Film in einer heiteren Stimmung mit den Freundinnen Nike (Katja Uhl) und Katrin (Inka Friedrich), die sich auf Nikes Balkon einen ausgelassenen Abend mit reichlich Alkohol gönnen.
Doch dann steigt der Film gleich in den Alltag ein, zeigt Nike bei ihrer Arbeit als Altenpflegerin und Katrin, die seit Jahren arbeitslos ist und alleinerziehend mit ihrem Sohn Max im Erdgeschoss des gemeinsamen Mietshauses wohnt, bei einem Training für Vorstellungsgespräche. Doch auch in diesen Szenen driftet Dresens Film nicht in ein Sozialdrama ab, denn durch Nikes konkrete und doch liebevolle Art im Umgang mit den alten Menschen behält der Film auch in diesen Szenen eine gewisse Leichtigkeit.
Im Gegensatz zu Nike wirkt die geschiedene Katrin, die aus Baden-Würtemberg stammt, wesentlich unsicherer. Schon Körperhaltung und Mimik bei ihren Vorstellungsgesprächen zeigen, daß sie weit entfernt ist von den heutigen Ansprüchen eines Arbeitgebers und das sie selbst nur wenig Hoffnung hat. Nicht erstaunlich ist, daß sie diesen Frust immer stärker in Alkohol ertränkt. Dresen vermeidet auch hier jegliche Überzeichnung - trotz der offensichtlichen Probleme zeigt er Katrin immer auch als attraktive, wenn auch nur selten fröhliche Frau, die sich immer liebevoll um ihren Sohn kümmert.
Gerade durch diese Ausgewogenheit bleibt "Sommer vorm Balkon" immer auf dem schmalen Grat zwischen Alltag, Freude und Drama und wirkt dadurch sehr authentisch, nicht zu verwechseln mit dokumentarisch. Denn natürlich erzählt der Film auch eine fiktive Geschichte, die sich hier um den LKW-Fahrer Ronald windet, den die beiden Frauen kennenlernen, als er beinahe Katrin auf der Straße überfährt. Und diese Geschichten um Ronald sind durchaus amüsant, wobei Dresen hier eher die unfreiwillige Komik darstellt, die durch mangelnde Kommunikation zwischen Mann und Frau entsteht, gepaart mit dem unbedingten Willen dem Alltag irgendwie zu entkommen.
Getragen wird die gesamte Handlung von den sehr guten Schauspielern, die so natürlich spielen, daß man sie schon nach kurzer Zeit als vertraute Großstadtmitbewohner empfindet. Trotz des Plots um Ronald und einiger tragischer Momente vermeidet Dresen bewußt besondere Höhepunkte, sein Film will einen Ausschnitt aus dem Leben vermitteln. Jetzt ist Sommer, aber bald eben Herbst und so geht es immer weiter...
Letztendlich stellt sich natürlich die Frage, wen Dresen mit dieser Geschichte ,in deren Mittelpunkt zwei Frauen zwischen 30 und 40 mit ihren Alltagsproblemen weitab von Reichtum und Intellektualität stehen, erreichen will.
Für Interessierte an dokumentarischen Sozialdramen ist der Film zu leicht und auch zu wenig kritisch. Als Komödie taugt der Film auch nicht, da sein Witz im Alltäglichen liegt und der liegt eben immer sehr nahe am tragischen und Jüngere könnten zu Recht fragen, warum sie sich die Probleme von Frauen dieses Alters und in dieser Situation ansehen sollten...
Und trotzdem möchte ich diesen Film Jedem ans Herz legen, denn er berührt und zeigt ohne jeglichen moralischen Zeigefinger, ohne Pathos und Kitsch ein sehr nachvollziehbares menschliches Dasein, daß auch ohne direkte Identifikation mit den Protagonisten eine Vielzahl von emotionalen und alltäglichen Momenten anspricht, die Jeden angehen und Jeder schon einmal erlebt hat, auch wenn er für sich andere Schlüsse daraus gezogen hat.
Vielleicht hat Dresen genau deshalb auf eine ansprechende filmische Umsetzung gesetzt, um damit Niemanden zu konfrontieren oder abzuhalten, denn ansonsten ist sein Werk absolut eigenständig und gerade durch die erzählerische, manchmal spielerische, traurig schöne und nie zu ernste Art näher an der Wirklichkeit als so manche Dokumentation (9/10).