(Leichte Spoiler möglich)
Unglaublich, wie die Meinungen bei diesem Film wieder auseinanderdriften... ich tendiere aufgrund des bisher überall Beschriebenen dazu, euch zu glauben, denn die Argumente der Pro-Fraktion wirken bisher weniger schlüssig.
Tjoa, das meine Mutmaßungen bei Kinostart... am Arsch!
Wir schreiben das Jahr 1931, als Universal "Dracula" herausbringt und eine neue Filmepoche einläutet. Ein oftmals übersehener Bestandteil des Horrors von "Dracula" war der: Er spielte in den Karpaten. Was zum Teufel sind die Karpaten? WO sind die Karpaten? Was ist Transsylvanien? Ungarn? Für den Amerikaner eine schwammige Vorstellung, die nur mit einem assoziiert wird: Es ist verflucht weit weg von zu Hause. Es ist dunkel, ungemütlich und unheimlich. Niemand kennt die Karpaten (übrigens nicht einmal Bram Stoker selbst ist jemals dort gewesen), jeder hat Angst davor.
2005: Eli Roth wiederholt diesen Kniff, der “Dracula” unterschwellig so creepy gemacht hat. Ein junger, durchgeknallter Regisseur, der mit seinem diskussionswürdigen Debüt “Cabin Fever” die Gemüter spaltete. Diesen Ruf hat er sich mit “Hostel” gefestigt. Und wenn uns das Showbusiness eines gelehrt hat, dann das: Wer Wellen schlägt, wird an der Oberfläche bleiben. Eli Roth bleibt dieser Luxus vorerst gewährt, denn die Kritiker können sich das Maul zerreißen, sie können zetern, fluchen und wie Rumpelstilzchen im Dreizack springen. Anstatt es zu verhindern, dass dieser Mann Erfolg haben wird, werden sie es sogar forcieren.
Warum ich diese nunmehr achtzigste (!!!) OFDb-Kritik (die Kurzkommentare nicht einbezogen) schreibe? In diesem Fall zählt einfach jede Meinung. Wenn sich die Rezensenten, auf deren Meinung ich viel gebe, so säuberlich in zwei Lager aufteilen, muss ich mich ganz einfach auch noch als Gewicht in die Gleichung werfen.
Vorweg: “Hostel” macht es selbstverständlich nicht “Dracula” nach; er öffnet kein neues Kapitel der Filmgeschichte, sondern ist und bleibt nichts als ein weiterer Absatz eines bereits vor einiger Zeit begonnenen Kapitels der neuen Terrorwelle. Aus diesem Kapitel ragt der vorliegende Absatz rein wirkungstechnisch nicht einmal besonders heraus... “The Hills Have Eyes” von Alexandre Aja war trotz mutierter Monster mit teils übermenschlichen Fähigkeiten dutzendfach eindringlicher und bedrückender. Dennoch ist “Hostel” der bislang meistdiskutierte Vertreter der Welle. Warum? Weil sein Szenario möglich erscheint. Weil gesellschaftskritische Aspekte herausscheinen, egal ob nun wahrhaftig vorhanden oder nur Hirngespinste des Regisseurs und derer, die etwas in “Hostel” sehen wollen, was vielleicht gar nicht da ist. Fakt ist, wenigstens ein Hirngespinst ist da. Wenigstens das, und das reicht auch schon für hitzige Diskussionen.
Ist “Hostel” wirklich Gesellschaftskritik? Anders formuliert: Kann ein Gemälde, das ein Elefant mit einem Pinsel produziert hat, als Kunst gelten? Oder müssen wir jene Kritiker auslachen, die hinter dem Bild einen tieferen Sinn erblickt haben, bis ihnen offenbart wird, dass ein Tier für den Pinselstrich verantwortlich war? Selbst wenn wir Eli Roth und seinem Schirmherren Quentin Tarantino unterstellen, dass sie nur Qual und Folter im Sinne der Unterhaltung schaffen wollten, kann es nicht dennoch durch zufällige Partikelanlegung passieren, dass sich doch so etwas wie Gesellschaftskritik einstellt, und sei sie auch nur unbewusster, latenter Natur?
Unwahrscheinlich, aber möglich. Wahrscheinlicher jedoch, dass ich einer greifbaren Intention ins Auge geblickt habe. Ich, der sinnfreien Teenieklamauk auf den Tod nicht ausstehen kann, wofür ich auch gerne gestehe, dem Genre Teen-Comedy gegenüber Vorbehalte zu haben. Und nichts weiter ist schließlich die erste Hälfte von “Hostel”. Lange Zeit keine Anzeichen von Horror, nimmt man mal die erste Szene heraus, eine Halbzeit lang wird man mit drei Dumpfbacken auf deren Sauf- und Ficktour alleine gelassen und fühlt sich arg überfordert damit, mit diesen drei Herren warm zu werden. Keine filmischen Anzeichen von einer drohenden Gefahr, keine mit schwerem Atmen unterlegten Beobachterperspektiven, keine dramatisch ertönende Musik, keine verdächtig dreinschauenden Gestalten. Warum hatte ich also durchgängig das schimmernde Gefühl, da ist noch mehr?
Das geht über den Film hinaus in die Vorvermarktung. Es ist schlussendlich zwar nicht der von vielen erhoffte Splatter-Knaller geworden, der die Grenzen wieder ein Stück weiter nach oben verschieben würde, aber die Vermarktung als solcher war ein notwendiges Unterfangen. Es musste in das Bewusstsein der Kinogänger gepresst werden, dass man an die Grenzen gehen würde, die Schwelle zur Menschlichkeit am Abgrund in die Monstrosität. Hier ist der erste Schritt dahingehend getan, dem Gezeigten einen Sinn über die Horror-Unterhaltung hinaus zu geben. Denn als wir dann in die oberflächlich harmlos erscheinende Geschichte einsteigen, haben wir unterschwellig das dreckige Bild von dem Mann mit der Bohrmaschine im Mund im Kopf.
Und dann sind wir wieder bei “Dracula”, denn unsere Amerikaner stoßen auf eine ihnen unbekannte Welt, auf ihre persönlichen Karpaten. Samuel Jacksons legendäres “Pulp Fiction”-Gebet ertönt hier in Kauderwelsch aus einem kleinen Fernseher, Gangs aus kleinen Kindern bestimmen über die Straßen und Mädchen und Drogen sind leichter zu beschaffen als Gummibärchen. Vermutlich ist “Hostel” in seiner Wirkung daher auch von der Regionalität abhängig; dies zumindest, sofern es Eli Roth gelungen ist, den Ort des Geschehens einigermaßen realistisch wiederzugeben. Eine andere Frage ist es, ob das überhaupt nötig gewesen wäre, denn es kommt einzig und alleine darauf an, eine (Untergrund-)Kultur zu erschaffen, die sich nicht mit dem aus den USA Bekannten deckt. Ob dem Ostblock ein authentisches Ebenbild geschaffen wird, ist da eher zweitrangig.
Ist sie also nun da, die tiefgehende Kritik am Menschen und seiner Natur? Natürlich. Hedonismus in Reinform ist Inhalt des Gebotenen, ein Leben des Spaßes wegen, und ein komplettes Gewerbe, das sich drumherum aufgebaut hat - mit der Prostitution auf einer Ebene, die der Öffentlichkeit bekannt ist und von ihr in Teilen auch geduldet wird. In diesem Fall aber noch auf einer zweiten Ebene, nämlich der Spaß an Tod und Folter. Der Clou, dass es hier nicht um psychologische Probleme einiger weniger Verrückter geht, sondern um die Kommerzialisierung und damit moralische Rechtfertigung der dunklen Neigungen, zündet das erste Feuerwerk... und als wäre das noch nicht genug - schließlich sind die Preise für das “Vergnügen” ausgesprochen hoch - werden am Ende noch Menschen für nichts weiter als einen Sack voll Kaugummi getötet.
In der Mitte erfolgt dann der abrupte Szenenwechsel - und ausgerechnet auf dieser simplen Ebene der technischen Ausarbeitung des Horrors ist “Hostel” nicht so effektiv, wie er sein könnte. Aufgrund des Umstandes, dass mit Jay Hernandez, Derek Richardson und Eythor Gudjonsson nicht gerade die totalen Leuchten zur Identifikationsfigur gemacht werden, fällt jene Identifikation auch dementsprechend platt aus. Ganz egal ist es einem nicht, wenn man sich plötzlich nach einer verzechten Party mit einem kleinen Guckloch aus der Egoperspektive heraus begnügen muss, wo man in ein dreckiges Zimmer mit allerlei fiesen Gerätschaften lugt. Das Szenario für sich ist grotesk genug, aber richtige Beklemmung mag sich auch nicht einstellen. Dazu wäre es vermutlich notwendig gewesen, nicht eine so extreme Situation eines Menschen zum Ausgangspunkt zu machen, in welcher dieser Mensch auf eine Dimension reduziert wird, nämlich auf seinen Hedonismus. Diesen darzustellen gehört zwar zum Plan, er kreuzt jedoch empfindlich die Effektivität des Horrors. Es hätte schon ausgesprochen guter Schauspieler gebraucht, trotz allem das Identifikationspotenzial aufrechtzuerhalten. Derer hat Roth keine zur Verfügung, also muss das Szenario und die Vorstellungskraft des Zuschauers ausreichen.
Schließlich ist “Hostel” weniger Splatter- als vielmehr Gorefilm; die Taten werden nur selten in Aktion gezeigt, erst die Resultate sind zu sehen. Der Wirkung tut das keinen Abbruch, es gibt ihr sogar einen alternativen Dreh, wenn Schmerzensschreie und Geräusche der Folterinstrumente aus dem Off die Imaginationskraft anregen. Mitunter verfällt Roth auch mal in die comichafte Überzeichnung, die er schon mit Freuden bei “Cabin Fever” pflegte (Karate-Junge). Auch hier wirkt sie wieder merkwürdig, aber nicht wirklich störend, was alles fast noch grotesker macht. Denn irgendwie akzeptiert man in dieser krass realistischen Geschichte die Absurditäten von heraushängenden Augen und eingedrückten Schädeln, teils fast gewollt komisch und den Realismus konterkarierend, als sei es ein böser Scherz. Inmitten der Schockwirkung, die auch dieser Film unter all den knallharten Konkurrenten in seinem Genre auszuüben imstande ist, mischt sich doch tatsächlich ganz dezent schwarzer Humor, ja ein ironisch kichernder Blick auf das Szenario, der nicht vom Film ausgeht, sondern vom Zuschauer. Es ist, und das hat dieser Genrevertreter allen anderen voraus, eine unmittelbare Kommunikation mit dem Betrachter vorhanden. Nicht nur eine Wirkung geht von den Bildern aus, der Zuschauer gibt auch noch Feedback zurück.
So kam es, und Eli Roth hat mit seiner zweiten Regiearbeit tatsächlich das geschaffen, was ich ein potenzielles Meisterstück nennen würde. Es ist keines, weil es als Horrorfilm nicht all seine Ressourcen ausnutzt und schlichtweg Chancen im Dreivierteltakt vergibt. Der als abrupt und schockierend gedachte Wechsel von der Party zum Horror funktioniert nicht richtig, weil die Figuren zu platt zur Identifikation sind und gesellschaftskritische Elemente hätten natürlich auch noch geistreicher verarbeitet werden können, ohne Frage. Dass etwas dahintersteckt und dass ich 90 Minuten lang gebannt auf die Mattscheibe gestarrt habe, ohne mich einen Dreck um die Uhr zu scheren, sagt mir aber, dass ich mich in den tendenziell positiven Wertungsbereich wagen muss. Alles andere wäre Selbstverarschung. Und letztendlich habe ich mich mit dieser Meinung selbst am meisten überrascht.